Essen. Neuerscheinung: Duisburgs Bibliotheks-Chef Jan-Pieter Barbian hat sein Standardwerk über „Literaturpolitik im NS-Staat“ aktualisiert.

„Die Weimarer Republik“, sagt Jan-Pieter Barbian, „wurde von ihren inneren Feinden zerstört, nicht von außen. Und es haben sich zahlreiche Intellektuelle in den Dienst der NS-Bewegung gestellt – nicht erst 1933.“ Das ist einer der Gründe, warum der Duisburger Stadtbibliotheks-Direktor nun sein Standardwerk „Literaturpolitik im NS-Staat“ gründlich aktualisiert und in einer gebundenen Ausgabe neu herausgebracht hat. Barbian (65) hat neue Quellen erschlossen und zeigt in ungeahnter Dichte und faktenreich, wie die deutsche Literatur nach 1933 unter absolute staatliche Kontrolle gebracht wurde.

Bis Joseph Goebbels, der sich in seiner Ernennungsurkunde als „Schriftsteller“ bezeichnen ließ, mit dem Propagandaministerium die totale Macht errungen hatte, musste er sich Machtkämpfe mit diversen Rivalen um dieses Feld liefern. Etwa mit dem Wissenschafts- und Erziehungsministerium, aber auch mit dem Außenministerium oder der Gestapo und dem Sicherheitsdienst der SS. Mit Kriegsbeginn kam auch noch die Wehrmacht als mächtiger Akteur hinzu – der Aufbau des NS-Staates war ja alles andere als stringent und rational durchgeplant.

Die Nazis profitierten auch finanziell vom Buchmarkt, Hitler und Goebbels persönlich auch

Bis 1938/39 habe es noch gewisse Spielräume gegeben, auch weil hier verschiedene Akteure rivalisierten. Danach aber, spätestens mit Einsetzen der Kriegswirtschaft, habe das NS-Regime die totale Kontrolle über die Literatur, aber – vielleicht wichtiger noch – auch über den Buchmarkt übernommen. Denn Bücher waren ein lukratives Handelsgut. Sie standen sowohl im Wert (nach Steinkohle und Weizen) als auch im Umsatz (nach Zigaretten und Frauenkleidung) an dritter Stelle der Warenwirtschaft. Vor allem der aus sehr bescheidenen Anfängen aufgestiegene Franz Eher Verlag als Parteiverlag der NSDAP wuchs über die Jahre zu einem wirtschaftlichen Schwergewicht, zumal er sich sehr früh den rund 60 Millionen Reichsmark schweren Ullstein-Verlagskonzern für gerade einmal 9 Millionen einverleibt hatte. Und mit Hitlers „Mein Kampf“ einen todsicheren „Bestseller“ der besonderen Art im Programm hatte.

Überhaupt sei, so Jan-Pieter Barbian, ins allgemeine Bewusstsein immer noch nicht vorgedrungen, welches Ausmaß die persönliche wie auch die unternehmerische Bereicherung von Verlegern und Buchhändlern durch Ausschaltung, Verdrängung, Enteignung von jüdischen Konkurrenten im Deutschen NS-Reich angenommen hatte: „Die Tatsache, dass die kulturellen Eliten nicht anders als die gesamte ,Volksgemeinschaft‘ den staatlich verordneten Antisemitismus zu ihrem Vorteil zu nutzen versucht haben, wurde nach 1945 systematisch verschwiegen und ist in ihrer Dimension erst seit der Jahrtausendwende immer deutlicher herausgearbeitet worden.“

Die Wehrmacht beteiligte sich im Krieg am Schwarzmarkt für Papier

Barbian zeigt sich überrascht davon, wie verbreitet die geldgierige Korruption in der gesamten NS-Diktatur war, wie sehr gerade die Führungsfiguren darauf aus waren, ihre Macht in Mammon zu verwandeln: „Autoren wie Hitler, Goebbels und Alfred Rosenberg und viele Literaturfunktionäre“ hätten ihre Verlage unablässig „zu hohen Auflagen gedrängt, um damit ihre persönlichen Einnahmen zu steigern.“ Zudem florierte während des Zweiten Weltkriegs ein Schwarzmarkt für Papier, an dem sich „die Wehrmacht gemeinsam mit einer Reihe von Verlagen“ wie Bertelsmann beteiligte.

Für den Nationalsozialismus-Kenner Barbian ist die „vielleicht die wichtigste Lehre aus der Geschichte: Sind die Dämme der Verfassung, des Parlamentarismus, der Freiheit der Medien, der ethischen Grundsätze und der Solidarität mit Minderheiten erst einmal gebrochen, ist eine Diktatur kaum noch aufzuhalten. Eine Demokratie muss immer aktiv verteidigt werden.“

Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat. Von der „Gleichschaltung“ bis zum Ruin. S. Fischer Verlag, 512 S., 36 €.