Essen. Ins Jungsein ist sie reingestolpert, das Alter kam Schritt für Schritt: Elke Heidenreich ist 81 und fast vorbildlich glücklich damit.

Zu den Vorzügen des Alters, schreibt Elke Heidenreich in ihrem neuen Buch, gehöre für sie auch, nicht mehr jeden Schreibauftrag annehmen zu müssen. Sie sei nicht reich, aber wohlhabend genug. So hat die ewig Streitbare des Jahrgangs 1943 spürbar mit Wonne auf sich geblickt und auf ihre Altersgenossen.

Zudem hat sie ordentlich ihren Zettelkasten mit all den Früchten ihrer weitläufigen Lektüren geplündert – die Klassiker der Alters-Literatur von Seneca („De Senectute“) bis zum großen Philosophen Noberto Bobbio („Vom Alter“), wir lesen Worte von Natalia Ginzburg, Christine Lavant, Marguerite Duras, Truman Capote, Robert Frost, Ennio Flaiano, Nataly Bleuel, Kierkegaard, Jean Paul, Vladimir Nabokov, Tolstoi, Rilke, Silvia Bovenschen, Elias Canetti, Albert Einstein, Horst Bienek, Sven Kuntze, Fanny Ardant, Hugo von Hofmannsthal, Ernst Bloch, Imre Kertész, Simone de Beauvoir, Ludwig Wittgenstein, Keith Richards, André Maurois, Edith Clever, Schopenhauer, Montaigne, Pierre Imhalsy, Julien Green, Joan Didion, Oscar Wilde, Gerhard Polt, George Steiner, Siegmund Freud, Goethe, Beckett, Voltaire, Paolo Conte, Trotzki, Annette Mingels, Octavio Paz – und das sind nur die Namen aus der ersten Hälfte der gut 100 Seiten!

„Altern“ von Elke Heidenreich ist keine wissenschaftliche Abhandlung

Das ist ein bisschen zu viel Zitiererei, aber zum Glück hat Elke Heidenreich keine wissenschaftliche Abhandlung geschrieben, sondern ein sehr heidenreiches Buch: Bei jedem zweiten Satz, der von ihr ist, hat man wirklich ihre Stimme im Ohr, mit all der Leidenschaft, dem Witz und Trotz, der Liebe und der willensgestählten Urteilskraft, die man an ihr so schätzen kann. „Ich bin mit Disziplin einigermaßen in Schwung geblieben“, und damit meint sie nicht das Glas Wein zum Mittag- und zum Abendessen, sondern das Schreiben.

Und nicht selten schreibt sie ein „Finde ich nicht“ hinter ein Zitat oder „Wenn er sich da mal nicht irrt“ oder „das Gegenteil ist der Fall“. Voller Streitlust auch die Todesanzeige, die sie sich überlegt hat, für die Titelseiten der großen Zeitungen: „Was für ein ängstlicher, anspruchsloser, mittelmäßiger Haufen seid ihr alle miteinander! (...) Ich bin tot, aber ihr seid es auch, jetzt schon, ihr habt mich alle miteinander enttäuscht, fahrt zur Hölle, ich geh schon mal vor und heize für euch ein.“ Mit dickem Trauerrand.

Man liest hier und da bei Elke Heidenreich auch eine Plattitüde, aber im Großen und Ganzen beschreibt sie an sich, wie ein Mensch, eine Frau geradezu vorbildlich altern kann, glücklich sein, mit sich selbst im Reinen und finden: „Jungsein war schlimmer. Ins Jungsein bin ich reingerasselt, das Alter kam Schritt für Schritt“. Und dass die Jugend schön wäre, wenn sie etwas später käme. Aber eines stimmt nun gar nicht – dass niemand sagen würde „Ich bin alt. Und das ist gut so“. Elke Heidenreich sagt es auf jeder Seite dieses Buchs.

Elke Heidenreich: Altern. Hanser Berlin, 111 S., 20 €.