Essen. 1,6 Millionen Fans auf Instagram: Warum der Weg an die Spitze der Techno-Szene nicht einfach war, verrät Lilly Palmer im Interview.
An ihr gibt es bei den großen Techno- und Elektro-Festivals dieser Welt kaum noch ein Vorbeikommen: Lilly Palmer gehört heute zu den gefragtesten Szene-DJs und -Produzentinnen der Welt. Am kommenden Dienstag legt sie zur besten Rave-Zeit um 1 Uhr für 100 Minuten bei der Mayday in Dortmund (alle wichtigen Infos zum Event hier), Deutschlands größtem Indoor-Event für elektronische Musik, auf. Im Sommer folgen ein Headliner-Auftritt bei Ruhr in Love im Oberhausener Olga-Park sowie ein Set bei Parookaville in Weeze.
Darüber hinaus absolviert die aus der Nähe von Nürnberg stammende Palmer, die zurzeit mit ihrem Mann in der Nähe von Amsterdam lebt, aber auch immer wieder Gigs am anderen Ende der Welt. Mitte Mai steht sie beispielsweise zweimal in Las Vegas an den Decks. Warum sie besonders das Publikum in Indien in ihr Herz geschlossen hat, wie sie zwischen den Auftritten und stundenlangen Flügen zur Ruhe kommt und wie ihr Werdegang als Frau in einer von Männern dominierten Branche verlief, verriet sie uns im Interview.
Sie spielten vergangenes Jahr schon auf der Mayday-Hauptbühne – wie war es?
Schon richtig cool. Ich war im Jahr davor schon auf einer der etwas kleineren Empire Bühne, das war auch was Besonderes. Aber die Hauptbühne ist so hoch, dieser Überblick, dieses Logo dahinter – da kriegt man Gänsehaut.
Was unterscheidet das Event von anderen?
Wir haben in Deutschland schon sehr viele gute Veranstaltungen, aber ich glaube, die Mayday ist schon irgendwie wie die Mutter der Elektronischen Events, super organisiert für DJs und Fans, mit Liebe zum Detail. Was das Team da reinsteckt, ist schon richtig cool und ich weiß: Wenn ich da spiele, muss ich mir keine Sorgen machen. Orga, Sound, Equipment, die Leute sind supernett und irgendwie eröffnet die Mayday immer die Festival Saison für mich.
Zudem steht im Juli ein Headliner-Auftritt bei Ruhr in Love in Oberhausen an. Auch da waren Sie vergangenes Jahr schon …
Das war auch schön, coole Vibes und tolle Farben. Darüber hinaus kann ich leider gar nicht so viel zu Ruhr in Love sagen, da ich das Event als Besucherin nicht kenne. Ich musste letztes Jahr nach meinem Auftritt sofort wieder weg und konnte so vom eigentlichen Festival leider nicht viel sehen. Aber generell: Die ganze Ecke da bei Euch ist immer schön und voller verrückter Raver.
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Das hören wir gerne. Wie ist das bei Ihnen zuhause – Sie leben ja in der Nähe von Amsterdam. Ich nehme an, das ist dann auch die bevorzugte Ausgeh-Stadt?
Für mich tatsächlich gar nicht (lacht). Klar, für Sachen wie das Amsterdam Dance Event bin ich gerne da, aber ich würde zum Beispiel nie dort essen gehen. Mein Mann und ich sind keine Amsterdam-Fans. Das ist da so touristisch, so übervoll. Es gibt andere Städte in den Niederlanden, die auch dieses klassisch „Holländische“ haben, aber eben besser zu erreichen und nicht so überlaufen sind, wie Leiden, Gouda oder Delft.
Kommen wir mal zu Ihren Karrieresprüngen der vergangenen Jahre. Was hätte die Lilly in 2019 geantwortet, wenn man ihr damals gesagt hätte: „In fünf Jahren hast du 600.000 Fans mehr bei Instagram als Helene Fischer“?
Auf der einen Seite hätte ich wohl gesagt: ‚Das kann ja gar nicht sein‘. Andererseits habe ich von Anfang an gefühlt, dass das mit meiner Karriere etwas Großes wird. Sonst wäre ich nicht so durch die Pandemie gegangen und hätte meinen damaligen Job auch nicht aufgegeben. Ich habe auch das Gefühl, dass mein Team und speziell mein Manager und Egbert, mein Ehemann, immer an diesen Erfolg geglaubt haben.
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Wie sind heute die Reaktionen von Familie und Freunden?
Die wissen von mir, dass ich immer schon meinen eigenen Weg gegangen und ziemlich verrückt bin. Total überrascht sind die glaube ich nicht. Aber sie verstehen oft auch das Musikbusiness nicht, da muss ich sie schon mal wohin mitnehmen. Erst letzte Woche war eine Freundin bei mir, wir gingen mit meinen zwei Pferden reiten und währenddessen musste ich ans Telefon, um mit meinem Manager die nächsten Bookings zu besprechen. Es gibt auch nach acht Jahren noch Momente, wo sie fragen ‚Hää, wie geht das überhaupt?‘ Zum Beispiel das Reisen, wenn wir innerhalb eines Monats mehrere Kontinente besuchen. Das geht schon.
Zuletzt waren Sie in Indien auf Tour. Unüblich für deutsche Musik-Acts …
Mit Indien habe ich irgendwie eine besondere Verbindung. Vor Jahren spielte ich dort das Sunburn-Festival und ich merkte schon damals, dass das Publikum dort mega gut auf mich reagiert. Ein tolles Volk, mit sehr positiven Menschen, die immer Spaß haben. Das Reisen ist nur anstrengend, weil es dort eben so voll ist. Gerade habe ich den Track „Hare Ram“ mit einem indischen Gesangssample veröffentlicht. Da hatten erst Einige Bedenken, weil das in Teilen eine religiöse Bedeutung hat, aber es wurde gerade von Millionen von Indern extrem und auch wahnsinnig positiv aufgenommen. Ich erhielt viele Kommentare wie „Endlich jemand aus dem Westen, der unsere Kultur wertschätzt und aufnimmt“. Zudem hatte ich ein Musikvideo dazu gedreht, in einem Sari, was ja auch heikel sein kann, aber auch das wurde super angenommen.
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Ein anderes, stets aktuelles Thema: die Rolle von Frauen in der elektronischen Musikszene. Bei der Mayday sind nun beispielsweise vier der ersten fünf Hauptbühnen-Acts weiblich. Wie nehmen Sie die ganze Entwicklung und Situation wahr?
Als ich anfing, kannte ich überhaupt keine Frau. Eine Freundin pushte mich damals, dass ich DJ werden soll und ich sagte ‚Nee, das kann ich doch nicht, das ist doch so ein Männer-Ding.‘ Ich habe es zum Glück trotzdem gemacht. Ich glaube, dass viele Frauen Vorbehalte gegenüber der technischen Seite haben, dieses ‚Ohje, ich kann das nicht, das ist mir zu viel, das ist wie Mathe – Jungs können das, Mädchen nicht.‘ Aber das hat sich mittlerweile und zum Glück geändert.
Wodurch?
Social Media spielt da eine große Rolle. Dieses sich präsentieren, Fotos machen, ist eine Sache, die Frauen oft gerne machen und Männer vielleicht nicht so. Dann sehen andere Frauen online: ‚Hey, das geht ja doch, dann kann ich das vielleicht auch‘. Als ich anfing, waren Amelie Lens und Charlotte de Witte die Vorreiterinnen, da schaute ich auch, wie die das denn machen. Und fragte mich dann, wie ich das selber angehen will. Und …
Ja?
Was krass ist: Ich bin jetzt an einem Punkt angekommen, wo ich Musikvideos selber machen und mich komplett anziehen und präsentieren kann, wie ich das möchte. Auf einem Level, wo mich diese stereotypen Hass-Kommentare nicht mehr tangieren. Wenn ich das vor acht Jahren gemacht hätte, als ich anfing, hätte mich niemand ernst genommen. Da gab es diese Gedanken: Nur in schwarzen T-Shirts spielen, kein Make-up, 100pro natürlich sein, sonst wirst du als ‚die Tussi‘ abgestempelt. Das ist immer noch in unseren Köpfen drin und das ist schade.
Wie sehen Sie Ihre Position heute?
Ich will mich nicht beschweren. Ich bin ja da, wo ich bin, auch weil ich eine Frau bin. Das ist ein Grund für meinen Erfolg. Und ich finde es toll, eine Frau zu sein, ich finde es toll, mich als Künstlerin ausdrücken zu können, auch mit Make-up. Aber trotzdem gibt es Nachteile, wobei ich glaube, dass das gar nicht so viel mit der Musikindustrie zu tun hat. Das gibt es fast überall. Eine Managerin in einer Bank, die sich megacool stylt, kriegt wahrscheinlich auch mehr Hass ab als der xte 08/15-Manager im Anzug. Das liegt vielleicht in der Natur der Menschen, dass wir da diese Unterschiede machen. Wahrscheinlich wird sich das auch nie komplett ändern. Ich finde es wichtig, dass man darüber redet, aber manches ist mir auch zu viel. Gendern zum Beispiel. Ich brauche das für mich nicht, bin da recht entspannt. Aber ich verstehe, dass man darüber reden muss. Ich fände es andererseits aber auch heuchlerisch, mich jetzt zu beschweren, wie schwer wir es als Frauen haben. Weil: Schau doch mal, wo ich hingekommen bin.
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Bemühen sich Veranstalter heute nicht schon deutlich mehr um weibliche Präsenz in den Line-ups?
Schon, aber auch da muss man vorsichtig sein. Ich möchte zum Beispiel nicht gebucht werden, nur weil ich eine Frau bin. Da habe ich keinen Bock drauf. Stell dir vor: Wir haben 20 DJs zur Auswahl, mit Männern, die richtig toll auflegen und dann sind da Frauen, die nicht gut auflegen und nur dabei sind, weil sie eine Frau sind. Dann würde ich sagen: Sorry, dann werden die Männer gebucht. Es kann nicht nur nach Gender gehen. Das Problem ist glaube ich eher, dass die Szene sehr konservativ ist, und das muss sich jetzt ändern. Viele aus der älteren Generation sind eben männlich. Und jetzt kommen wir Frauen. Ich nehme dann aber keiner Frau den Slot weg, sondern einem Mann. Davor haben viele Männer Angst.
Zudem hat sich die Wahrnehmung von DJs in der Öffentlichkeit geändert.
Früher legten alle mit Vinyl auf, es ging nur um die Musik. Heutzutage geht es eben auch darum, wie viele Follower du hast, wie viele Tickets du verkaufst. Und ist eben spannender, eine schöne Frau mit Skills zu sehen, gerade online, als vielleicht den 100. DJ, der im schwarzen T-Shirt dasteht und das Gleiche macht wie alle anderen. Ist doch klar, dass Menschen dann nach „dem anderen“ gucken. Nur dafür können wir Frauen nichts. Ich habe mir das Spiel nicht überlegt, so sind Menschen halt. Wir sollten aber auch nicht irgendwie sagen „Hey, in dem Line-up sind nur Männer“, sondern wir sollten danach gehen, was die Gründe dafür sein könnten und dann, wenn man es will, urteilen. Ist im Hintergrund jemand, der andere Gender nicht dabei haben will oder gab es einfach keine passenden nicht-männlichen DJs, die Zeit hatten oder eventuell nur welche, die vom Sound nicht gepasst haben? Vielleicht hatten die Frauen keine Zeit, weil sie schon woanders gebucht waren. Ein interessantes und schwieriges Thema, ich kann da nicht nur zwei, drei Sätze zu sagen.
Gab es denn DJs, zu denen Sie aufgeschaut haben?
Das waren zumeist Männer. Monika Kruse muss ich aber nennen. Sie ist die Frau in Deutschland. Mit 18, 19 bin ich zu ihren Sets gegangen und fand es total toll. Ich dachte aber nie: ‚Oh wow, das ist ne Frau‘, sondern ich dachte ‚Oh wow, das ist Monika Kruse‘. Das Geschlecht war da für mich kein Thema. Das fing für mich erst an, als ich selber die Karriere startete. Das kann man aber nicht nur auf die Männer schieben, wir Frauen müssen auch sagen ‚Scheiß drauf, ich mach’s einfach‘. Ich will nicht jammern, ich will Leute positiv inspirieren. Ich will zeigen, was du als Frau für Optionen hast. Man muss sich selbst mal fragen, ob man zu viel Angst hat oder ob man sich zu viel mit dem beschäftigt, was andere über einen denken und reden. Und da gibt es noch was …
Gerne.
Das Thema Kinder. Als Frau, so viel, wie ich reise, wie soll ich jetzt ein Kind bekommen? Ich sehe viele Frauen, die bis 30 diese Karriere durchziehen und dann nicht mehr richtig weiterwissen. Amelie Lens macht das ja gerade ziemlich öffentlich mit ihrem Kind, aber sie macht ihren Job auch auf einem Level, auf dem man sich zumindest eine oder auch mehrere Nannies leisten könnte, wenn sie will. Aber da musst du erstmal hinkommen und dieser Job gibt eben auch null Sicherheit, es kann sofort vorbei sein. Da kommt eine Pandemie oder du wirst schwer krank. Und der Job frisst wahnsinnig Zeit.
Wieviel Freizeit bleibt Ihnen?
Ich nehme mir drei Stunden pro Tag. Vorwiegend für meine Pferde, da habe ich dann auch kein Handy mit, bin in der Natur mit meinen Tieren. Das bringt mich runter. Ich bin sonst nonstop erreichbar, kreativ und das macht mir megaviel Spaß und gibt mir so viel. Aber mal ein Beispiel aus dem Alltag: Letztens war meine Katze krank und ich musste zum Flughafen zu dem nächsten Gig, ich bin schon durchgedreht. Wie soll das dann mit einem Kind funktionieren? So, wie es jetzt ist, könnte ich es nicht.
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Hilft Ihnen auch Ihr früherer Job, um runterzukommen und gesund zu bleiben?
Ich studierte Ernährungsberatung und vermietete EMS-Trainings, ich habe für mich die Ernährung gefunden, die passt. Davor war ich Model, wo Ernährung ja auch ein Thema ist. Wie bleibt man schlank und schön? Jetzt ist es nicht mehr dieses ‚Ich will einfach dünn sein‘, sondern ‚Ich will stark sein, um das alles zu bewältigen.‘ Ich trinke fast keinen Alkohol, nehme keine Drogen, ich bin sehr langweilig, was das angeht. Sonst kann ich das nicht überleben, der Schlafmangel ist übelst.
Sie fliegen oft und lange – gab es irgendwelche besondere Erlebnisse auf Reisen, vielleicht auch negative?
In Südamerika kann manches schon mal schwierig sein, auch, weil ich kein Spanisch spreche. So richtig gefährlich wurde es noch nie, aber es waren Sachen dabei wie eine Bühne, die fast zusammengebrochen wäre, Vulkanausbrüche in der Nähe oder das eine Mal, wo ich ein Erdbeben in Chile mitbekam.
Welche Pläne haben Sie denn noch?
Gute Frage. Ich bin jetzt seit diesem Jahr unabhängig von vielen kleineren Techno-Labels, da ich bei Armada und Kontor Records mit einem wirklichen tollen Deal gelandet bin. Beide Labels und deren Teams sind eine echte Familie für mich geworden. Sie geben mir diese für mich so wichtige künstlerische Freiheit. Dadurch ist dieses ‚Ich muss jetzt noch bei Label XY erscheinen, damit meine Karriere höhergeht‘ nicht mehr da und das gibt mir und auch meinem Label Spannung Records viel mehr Raum und weniger Stress, und dadurch kann ich mich nun etwas entspannter und noch viel kreativer ausleben, so wie ich es auch mag. Mir würde es wohl zukünftig viel Spaß machen, mich auch um andere Künstler zu kümmern, gerade im Marketing- und Social-Media-Bereich. Ich bin nicht der „Boah, ich muss jetzt wieder was posten“-Typ, ich mache das gerne und überlege viel und oft, was man da Besonderes kreieren kann.
Gibt es noch Wunschpartner für eine musikalische Zusammenarbeit?
Ich habe zwei Riesen-Kollaborationen, die dieses Jahr noch erscheinen. Bei der einen sind schon Gerüchte im Umlauf. Und das sind tatsächlich meine Traum-Kollabos. Ich würde aber gerne mal Rap-Vocals selber machen, das ist nur echt hart. Ich hätte mal Lust auf einen Workshop, um das zu lernen.
Was noch fehlt, ist ein Album. Woran liegt’s?
Witzig, das wurde ich noch nie gefragt. Wir reden da viel mit Armada und Kontor drüber, ich habe auch viel Musik fertig, die unveröffentlicht ist. So viele Singles könnte ich hintereinander gar nicht rausbringen. Ein Album funktioniert heute nur nicht mehr so wie früher, es wird immer seltener, dass Fans eines am Stück durchhören. Heute bringen viele zehn Singles raus und irgendwann kommen die gesammelt auf eine Platte. Alben sind heute mehr Fan-Service, für Liebhaber. Wir haben noch nicht den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden, aber sind an dem Punkt, wo es erstmals Sinn ergibt, ernsthaft darüber zu sprechen. Da könnten wir auch eine schöne Tour drumherum bauen.
Lilly Palmer live in der Region:
30.4. Mayday (Westfalenhallen Dortmund, Karten ca. 85 €)., 6.7. Ruhr In Love (Olga-Park Oberhausen, Karten ca. 45 €), 21.7. Parookaville (Flughafen Weeze, Tageskarten ca. 128 €).