Bochum. In der Bochumer Zeche Hannover zeigt der bekannte Ruhrgebiets-Fotograf Joachim Schumacher seine Bilder vom Pionier der Industrienatur.

Mitten in der Anthrazitwüste leuchtet lindgrün und hoffnungsgelb ein einzelner Birkenstrauch. So geht es los. Aber das ist nur ein zarter Anfang: Die Wiedereroberung verlassener Industrie-Areale durch die Natur beginnt mit Birken – und wohl niemand im gesamten Ruhrgebiet hat das so gut gesehen wie Joachim Schumacher. Der 73-jährige Grandseigneur der Ruhrgebietsfotografie rückte mit seiner Großbild-Plattenkamera in den Jahren von 2015 bis 2023 aus in die „gebrauchten Landschaften“, in die auf- und zurückgelassenen Industriebrachen und porträtierte den Pionier der Renaturierung, der überall dort anrückt, wo man ihn lässt, vom zartblassgrünen Keimling (der nur zwei Krümel Erde und einen Tropfen Wasser braucht) bis zum uralten Stamm, der beim Wachsen ganz witzig ein dickes gelbes Geländerrohr irgendwo am Kanal umarmt, umschlossen hat.

„Birke und Brache“: Gelsenkirchen-Bismarck, Hafen Grimberg, 2017.
„Birke und Brache“: Gelsenkirchen-Bismarck, Hafen Grimberg, 2017. © Joachim Schumacher

Als schlanke Schönheit, als besonderer Baum mit zunächst weißer, dann immer grüner werdender Rinde passt die Birke wie kaum eine andere Pflanze zum Revier. Besonders da, wo es sich selbst überlassen ist. Da entstehen „bescheidene Wäldchen auf bescheidenem Boden“, wie es der Fotograf nennt. Birken wachsen an den unmöglichsten Stellen, zwischen Gitterrosten hindurch, aus winzigen Ritzen im Beton und auf alten Gleisanlagen wie dem ehemaligen Güterbahnhof Dortmund-Huckarde. Und man sieht natürlich auch Birken rund um die Zeche Hannover, wenn man zur Galerie im Malakowturm heraufsteigt, wo Joachim Schumachers Fotos in einer Mischung aus Intimität und Rostmoderne bestens aufgehoben sind.

Dortmund, ehemaliger Güterbahnhof Huckarde, 2017
Dortmund, ehemaliger Güterbahnhof Huckarde, 2017 © Joachim Schumacher, Bochum | Joachim Schumacher, Bochum

Die wilden Reihen der dünnen Jungbäume kommen natürlich am besten im Winter zur Geltung, und Joachim Schumacher findet immer einen Blick, der die starre Geometrie des schnellen Wachsens nach oben mit einem Quertreiber durchbricht: Irgendwo ist immer schon ein Stamm oder Stämmchen umgefallen, und gerade diese Mischung aus natürlicher und nachindustrieller Anarchie (auch mit Grafitti und herumliegendem Müll) fangen die Fotos punktgenau ein. Genauso wie den abenteuerlichen Kinderspielplatz, der sich aus Birkenstämmchen auch ganz einfach zusammenzimmern lässt.

„Birke und Brache“: Gelsenkirchen-Ückendorf, ehemaliges Stahlwerk Schalker Verein, 2015.
  

 
 
„Birke und Brache“: Gelsenkirchen-Ückendorf, ehemaliges Stahlwerk Schalker Verein, 2015.       © Joachim Schumacher | Joachim Schumacher

Schumacher hat den Prozess dokumentiert, mit dem aus Birkenhaseln, Birkensamen und Myriaden von Birkenblättern im Laufe der Jahre eine Humus-Schicht über dem ausgenutzten, ausgelaugten, oft ja auch vergifteten Boden alter Industrieflächen entsteht. Idyllen mit Fliegenpilz sind auch dabei.

„Birke und Brache“: Gelsenkirchen-Ückendorf, Gelände des ehemaligen StahlwerKs „Schalker Verein“, 2015. 
„Birke und Brache“: Gelsenkirchen-Ückendorf, Gelände des ehemaligen StahlwerKs „Schalker Verein“, 2015. 

Und so wie die Birke ein Pionier der Industrienatur ist, muss Joachim Schumacher als einer auf dem weiten Feld der Ruhrgebietsfotografie gelten: Er rückt, mit technischer Meisterschaft, stets aufs Neue das ins Bild, was besonders ist am Ruhrgebiet. Endlich so wie überall? Nicht mit ihm.

Joachim Schumacher: Birke und Brache. Zeche Hannover, Günningfelder Straße 251, 44793 Bochum. Bis 30. Juni. Geöffnet: Mi-Sa 14-18 Uhr, So 11-18 Uhr. Eintritt frei. Das Katalogbuch zur Ausstellung (84 Seiten) ist im Klartext Verlag erschienen: 19,95 €.