Essen. Sophia Fritz illustriert im Essay „Toxische Weiblichkeit“, wie Frauen Überlebensstrategien in der Gesellschaft nutzen, oft zum eigenen Nachteil.
„Männer haben Muskeln/Männer sind furchtbar stark/Männer können alles/Männer kriegen ‘nen Herzinfarkt/Oh, Männer sind einsame Streiter/Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter.“ Es ist schon verblüffend, wie Herbert Grönemeyer in einer einzigen Strophe seines 1984er Gassenhauers „Männer“ gleich eine ganze Reihe von Eigenschaften abarbeitet, die wir heute zum Begriff „Toxische Männlichkeit“ zählen. Und wenn wir „Toxische Männlichkeit“ hören, zucken die meisten nicht einmal mehr mit den Wimpern. Denn die Vorstellung hat sich längst etabliert: Männer sind aggressiv, sprechen nicht über Sorgen und Ängste, sie trinken und nehmen Drogen - und üben Macht über Frauen aus, sie unterbrechen sie, erklären ihnen alles von oben herab, engen sie ein. So schlimm sind also Männer.
Zwischen gutem Mädchen, Powerfrau, Mutter, Opfer und Bitch
Und jetzt das: „Toxische Weiblichkeit“ heißt ein fast 200 Seiten starkes Essay von Sophia Fritz. Und wer jetzt denkt, dabei handele es sich um exakt dieselben negativen Verhaltensweisen, nur eben von Frauen ausgeübt, liegt daneben. Denn der Autorin und Feministin geht es darum: Welche Verhaltensweisen, die sie an sich selbst und anderen Frauen entdeckt, sind schädlich für sie und für andere. Dabei gibt es einen großen Unterschied zu den Verhaltensweisen, die Männern zugeschrieben werden: Frauen schaden mit ihrem Verhalten meist sich selbst - und anderen Frauen. „Toxische Weiblichkeit ist nicht tödlich und sie gilt nicht dem Erhalt einer Machtposition. Im Gegensatz zur toxischen Männlichkeit ist sie eine Notlösung, eine Strategie für das Fortbestehen in einem patriarchalen System.“
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Viele werden sich gleich am Titel stoßen: „Toxische Weiblichkeit“. Tatsächlich ging es Sophia Fritz selbst so: „Ich möchte über dieses Phänomen schreiben, weil es mich, als ich zum ersten Mal davon hörte, sofort in Aufruhr versetzt hat. Toxische Weiblichkeit - allein die Kombination dieser beiden Wörter triggerte sofort etwas in mir. Da war zum einen die Wut, in meiner Weiblichkeit angegriffen zu werden, zum anderen aber das Unbehagen, eventuell selbst davon betroffen zu sein“, schreibt sie. Und an Unbehagen mangelt es auf den 200 Seiten wahrlich nicht, denn Sophia Fritz analysiert schonungslos ihre eigenen Verhaltensweisen und die ihrer Freundinnen, deckt Unstimmigkeiten im Verhalten auf. Und natürlich immer wieder die patriarchale Prägung schon in der Erziehung, die teils auch durch Erziehung der Mütter verstärkt worden ist. Das ist nicht gerade angenehme Bettlektüre, aber es geht ja auch darum, die Leserinnen und Leser zu berühren, möglichst in ihrem Inneren. Und um einen „idealerweise gemeinschaftlichen Prozess der unerschrockenen Selbsterkenntnis.“
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Sie bedient sich dabei zahlreicher selbst erlebter Geschichten, liefert an den richtigen Stellen Passagen aus der feministischen Literatur und bettet sie oft auf einen soliden popkulturellen Untergrund.
Um ihre die verschiedenen Verhaltensweisen zu illustrieren, bedient sie sich einer Unterteilung in fünf verschiedene weibliche Prototypen. Das gute Mädchen will sich perfekt an ihre Mitmenschen anpassen - und vergisst dabei in vorauseilendem Gehorsam ihre eigenen Bedürfnisse und verleugnet ihre Persönlichkeit. Die Powerfrau arbeitet hart und ist erfolgreich, ihr ganzes Leben ist auf Selbstoptimierung getrimmt, dabei beutet sie sich bis zu Erschöpfung aus. Die Mutti geht ganz in ihrer Rolle auf, opfert sich für Mann und Kind, ohne ausreichend auf sich selbst zu achten - und erfüllt so patriarchale Vorstellungen. Das Opfer macht sich selbst klein und entzieht sich so jeder Verantwortung. Und schließlich die Bitch, die die Nettigkeit komplett abgelegt hat und bewusst rücksichtslos auftritt, immer auf Angriff eingestellt - und die bewusst auch mit ihrem Äußeren und der offensiv zur Schau gestellten Sexualität provozieren will. Auch dies lässt sich als eine Reaktion auf die patriachal geprägten Verhältnisse lesen.
Frauen lassen ihren Charakter nicht in Schablonen pressen
Die Unterteilung in die fünf Prototypen ist zugleich eine Stärke wie eine Schwäche des Buchs: Sie dient natürlich dazu, typische Eigenschaften von Frauen heraus zu meißeln und die Konsequenzen des daraus resultierenden Verhaltens aufzuzeigen. Sie krankt allerdings daran, dass sich kaum eine Frau über die Zugehörigkeit zu einem dieser Prototypen allein definieren lässt.
Dabei geht es Fritz allerdings gerade um das Gegenteil, denn sie will Frauen eben nicht in diese Formen und Schablonen pressen, sondern ihnen lediglich klarmachen, welches Überlebensstrategien von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft häufig angewandt werden. Damit will sie eben den Weg zu einer schonungslosen Selbsterkenntnis frei machen: Frau muss nicht einem dieser Stereotypen nacheifern oder sich aus verschiedenen Eigenschaften dieser Typen das Passende heraussuchen. Sie sollte vielmehr die Augen dafür öffnen, an welchen Stellen sie sich selbst konditioniert. Und sich dann davon befreien, um zu einem authentischen Verhalten für sich selbst zu finden. Denn die unterschiedlichen Typen bei Fritz haben eines gemein: Sie haben die ihre Authentizität geopfert, um eine erfolgreiche Überlebensstrategie in der Gesellschaft anzuwenden. Die Zurückeroberung der Authentizität ist eines der Kernanliegen dieses Buches, ganz im Sinne eines unangepassten weiblichen Selbstbewusstseins.
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Dass sie dabei oft einen sehr harten und kritischen Blick auf sich selbst und auf andere Frauen richtet, macht es nicht gerade leicht, dieses Buch zu lesen. Aber Fritz geht davon aus, dass eben diese Selbsterkenntnis und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst auch zu mehr Solidarität unter den Frauen führt. Und damit wäre zumindest für die Befindlichkeit der Frauen ein großer Schritt getan. Ob der schon ausreicht, um auch das System, das Frauen noch immer einengt und bevormundet, zu ändern, kann man bezweifeln. Aber dazu, wie das funktionieren könnte, kann Fritz ja weitere Vorschläge machen.
Ein wichtiger Schritt ist jedenfalls getan: Sophia Fritz hat mit ihrem Essay den Begriff „Toxische Weiblichkeit“ ins Bewusstsein gerückt, ihn mit einer feministischen Argumentation für sich vereinnahmt - und vielleicht wird er sich in den kommenden Jahren ja als feste Größe in der Geschlechterdiskussion etablieren.
Sophia Fritz: Toxische Weiblichkeit, Hanser, 192 Seiten, 22 Euro
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