Dortmund. Judas Priest zementieren in der Dortmunder Westfalenhalle ihren Status als Legende des Heavy Metal – für die Alter kein Thema ist.
Als der lüsterne Lärm des gleichnamigen Sex-Maschinen-Songs verklungen ist, steht „Turbo Lover“ Rob Halford einfach nur da, am Bühnenrand. Unter seinem Leder-Nieten-Mantel blickt er reglos ins Publikum, drei Sekunden lang, fünf, zehn, fünfzehn. Schließlich hebt der Sänger ganz langsam beide Arme zur Erlöser-Pose, und mit jedem Zentimeter schwillt der Jubel stärker an. Wer vielleicht doch leise Zweifel hatte, ob es 55 Jahre nach der Bandgründung noch Judas-Priest-Konzerte braucht, bekommt die nötige Lektion erteilt: In der ausverkauften Westfalenhalle ist heute Abend eine Legende des britischen Heavy Metal zu Gast, die trotz Rentenalters nichts von ihrer Strahlkraft verloren hat.
Eigentlich waren Judas Priest 2010 schon auf Abschiedstour. Noch vor deren Ende stieg Gitarristen-Legende K. K. Downing aus; Ersatzmann Richie Faulkner entfachte dann in der nach Black Sabbath und zusammen mit Iron Maiden wichtigsten britischen Heavy-Metal-Band aller Zeiten neues Feuer. Seitdem befinden sich Judas Priest auf einer unerwartet mitreißenden Karriere-Ehrenrunde, die sie jüngst mit dem so gar nicht altersmilden Album „Invincible Shield“ gekrönt haben.
Judas Priest in der Dortmunder Westfalenhalle: drückend laut, irre spielfreudig
Auf der laufenden Welttour mit Uriah Heep und Saxon feuern sie nun halsbrecherische Heavy-Metal-Meilensteine wie „Painkiller“ so drückend laut und spielfreudig auf das Dortmunder Publikum ab, als hätten die 80er-Jahre nie aufgehört. Die Gitarren kreischen, das Schlagzeug donnert. Und die spitzen Schreie von Sänger Rob Halford dringen einem (mutmaßlich dank etwas Schützenhilfe durch moderne Produktionstechnik) noch immer bis ins Mark – der Mann ist 72 Jahre alt! Es könnten auch 20 weniger sein.
So viel Lust am Heavy Metal beflügelt auch die Vorbands: Die Hardrock-Urgesteine Uriah Heep kommen eher von Räucherstäbchen und progressiven Orgel-Soli, wirken heute aber fest entschlossen, zur Metal-Weltspitze aufzuschließen. Gleich zum Einstieg treibt Gitarrist Mick Box im neuen „Save Me Tonight“ seine Sologitarre in spektakuläre Höhen. Klassiker wie „Easy Livin‘“, „Gypsy“ und „Free ‚n‘ Easy“ dröhnen extra wuchtig aus den Boxen, „so haben wir das in den 70ern gemacht“, sagt Sänger Bernie Shaw grinsend nach letzterem in den Jubel hinein. Und auch ihren Welthit „Lady In Black“, der die Halle in ein großes Lagerfeuersingen zu Akustikgitarre verwandelt, deklariert die Band erfolgreich zum „einzigen Metal-Folksong“ ihres Repertoires um.
15.000 begeisterte Metal-Fans feiern in der Westfalenhalle Dortmund
Nach Uriah Heep geben sich auch Saxon intensiv wie selten dem Heavy Metal hin
Bei Saxon, in den 80er-Jahren Teil der New Wave Of British Heavy Metal (NWOBHM), wird es dann nochmal lauter und wilder. Wie eine rasante Fahrt auf einem Motorrad fühlen sich deren Songs an, das Doublebass-Pedal am Schlagzeug glüht im Dauerfeuer, es geht um rollenden Stahl, Donnervögel, Höllenfeuer und natürlich um „Denim And Leather“ – die Arbeiter-Jeanshose und die Lederjacke der Punk-Rebellen. Dieser „Uniform“ des Heavy Metal haben Saxon damals früh ein Denkmal gesetzt. Begeistert werfen einige Fans ihre mit Aufnähern übersäten Kutten auf die Bühne, die die Bandmitglieder prompt überstreifen.
Um wen es heute aber in erster Linie geht, daran lassen die Fans keinen Zweifel: „Priest! Priest! Priest!“ schallt es schon vor dem Auftritt der Band erstmals aus zehntausend Kehlen, während des Konzerts füllt der Schlachtruf immer wieder jede Andeutung von Ruhe. Von der gibt es aber ohnehin nicht viel: „Breaking The Law“, „You‘ve Got Another Thing Comin‘“, „Electric Eye“ – Hit reiht sich an Hit, mit Macht erfüllt dieses Best Of aus sechs Jahrzehnten die Halle bis unters Dach; oft muss Rob Halford der Menge nur noch das Mikrofon hinhalten und selbst gar keine Zeile mehr singen. Stattdessen schiebt er irgendwann ein kurzes Vorsing-Nachsing-Spiel mit dem Publikum ein, und wer will, darf sich ein ganz klein bisschen wie 1986 bei Freddie Mercury im Londoner Wembley-Stadion fühlen – auch weil selbst das Publikum erstaunlich souverän die Töne trifft.
Der weiße Bart von Sänger Rob Halford täuscht: Heavy Metal bleibt ein Jungbrunnen
Man muss das nochmal betonen: Alt fühlt sich hier heute niemand. Da kann Rob Halfords Bart noch so weiß mit den langen Zotteln mancher Besucher um die Wette leuchten. Diese von Judas Priest miterfundene Musik, die vom Untergrund-Phänomen zur wohl größten Subkultur der Welt gewachsen ist, bleibt selbst routiniert durchgeplant ein brüllend lauter Jungbrunnen nonkonformer Auszeit, in den man sich mit Begeisterung wirft. Es könnte mittlerweile hochnotpeinlich sein, wie Halford da in der Zugabe wie gewohnt zu „Hell Bent For Leather“ mit einem Chopper auf die Bühne rollt. Stattdessen kitzelt es noch immer die alte Teenager-Euphorie, schweißt wildfremde Menschen bierselig Arm in Arm zusammen, lässt zudem tausende Baby-Boomer ganz selbstverständlich einer homosexuellen Ikone zujubeln, die sich mit Lederkappe und Reitgerte an ein chromglänzendes Motorrad schmiegt.
Die Band denke kein bisschen ans Aufhören, hat Bassist Ian Hill neulich noch gesagt. Warum auch? Es gibt nach so einem Konzert wie heute Abend ja noch weniger Gründe als vorher, für die Band wie für die Fans. Heavy Metal, das ist für immer.