Essen. Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner hat mit „Club Zero“ eine bissige Satire auf Weltverbesserung mit Leistungsdruck gedreht.

Fiese Satire: „Club Zero“

Achtsames Essen liegt im Trend. Dahinter steht die Idee, den Körper zu entschlacken, sich glücklicher zu fühlen – und etwas für das Weltklima zu tun: weniger CO2-Ausstoß. Was aber, wenn man das Ganze auf die Spitze treibt? Nahrungsverweigerung als Selbstoptimierung, der totale Konsumverzicht als ultimative Lösung? Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner („Lourdes“) hat daraus eine Geschichte gemacht. Ihr neuer Film „Club Zero“ ist fiese Satire und schockierendes Drama zugleich.

Eine Elite-Schule, Frau Novak ist neu im Kollegium. Sie unterrichtet das Fach „Ernährung und Gesundheit“, hat einen eigenen Fastentee auf den Markt gebracht und ist ein Muster an Selbstkontrolle. Das will sie auch ihren Schülern vermitteln: Nur durch dosiertes, achtsames Essen lassen sich Zivilisationskrankheiten und Klimakatastrophe verhindern.

„Club Zero“ mit Luke Barker, Florence Baker und Ksenia Devriendt

Hausner hat eine filmische Versuchsanordnung geschaffen, Stereotype bestimmen das Bild. Die Schüler und Schülerinnen in ihren altmodischen Schuluniformen, sterile Klassenräume, puppenhafte Mädchenzimmer in reichen Elternhäusern, in denen die Hunde auf den Sofas sitzen – überkandidelte Erwachsene, die sich nicht um die Seele ihre Kinder kümmern. Fred (Luke Barker), der sich schminkt und am liebsten tanzt, gilt als schwierig und ist sogar an Weihnachten allein, weil seine Eltern in Ghana Gutes tun. Ragna (Florence Baker) mit den langen Zöpfen soll abnehmen, damit sie auf dem Trampolin bessere Leistungen zeigt. Elsa (Ksenia Devriendt) leidet unter dem Druck daheim und steckt sich nach dem Essen den Finger in den Hals.

Der Druck der Gemeinschaft zeigt Wirkung: „Club Zero“.
Der Druck der Gemeinschaft zeigt Wirkung: „Club Zero“. © Neue Visionen | Neue Visionen

Da kommt die neue Lehrerin genau richtig. In ihrer Unterrichtsgruppe herrscht ein sektenähnlicher Zusammenhalt, einer achtet auf den anderen: Wer ausschert wie Ben (Samuel D Anderson) und heimlich Schokoladenriegel isst, wird via Noten-Druck und „Gemeinschaftsgeist“ zur Räson gebracht. Dabei liegt die Latte immer höher. Ging es anfangs noch um „bewusstes“ Essen, steht plötzlich die Idee von einem „Club Zero“ im Raum. Eine weltweite Bewegung von Menschen, die gar nichts mehr zu sich nehmen. Die jungen Leute wollen dazugehören und stellen die Nahrungsaufnahme ein. Eine stille, grausige Revolte, gipfelnd in einer widerlichen (und völlig überflüssigen) Kotz-Szene.

„Club Zero“: Mia Wasikowska („Alice im Wunderland“) spielt Frau Novak

Hausner spart eben nicht mit Gift und Galle, wenn sie ihre Figuren zeichnet, ein hemmungsloses Spiel mit Klischees. Die magersüchtige Mutter, der Karriere-Vater, die überkorrekten Eltern, getrieben von gesellschaftlichen Erwartungen, die sie an ihre Kinder weitergeben: Leiste, also bist du. Oder: Greife nach den Sternen! Markus Binder hat dazu einen ebenso faszinierenden wie beklemmenden Soundteppich aus Percussion geschaffen, der die Unbehaglichkeit auf die Spitze treibt.

Die gruseligste Person ist jedoch Mia Wasikowska („Alice im Wunderland“) als Frau Novak, ein dünnes Frauchen, das sich kerzengrade hält und einen durch kalte, wohldosierte Freundlichkeit das Fürchten lehrt: Eine leise Diktatorin, verstört, verstörend, manipulativ. Oder: Ein Diät-Hitler im Damenrock.

Es steckt viel gutes Theater in diesem Film, der auch auf einer Bühne stattfinden könnte. Hausner hat ein feines Gefühl für Timing und Spannung, langweilig wird es im „Club Zero“ nicht. Trotzdem bleibt ein unbehagliches Gefühl: Am Anfang des Films steht eine Warnung vor „potenziell verstörenden Szenen über Verhaltensauffälligkeiten und Essstörungen“. Im Kino ist er ab 12 freigegeben. Das will und kann nicht recht zusammenpassen.

Biedere Heldentat: „One Life“

Nicholas Winton, ein Herr Ende 70, erfüllt den Wunsch seiner Frau, endlich einmal zu Hause aufzuräumen. Er stößt dabei auf alte Unterlagen; sie verweisen auf Vorgänge, die 50 Jahre zurückliegen. 1938 ist Nicholas ein junger Börsenmakler, der zu humanitären Zwecken nach Prag reist und dort über eine Hilfsorganisation in Kontakt mit jüdischen Familien kommt. Die konnten zwar aus Deutschland fliehen, sitzen nun aber mittellos in Prag fest. Nicholas will helfen und beginnt, im großen Stil eine Kinderverschickung nach England zu organisieren. Dann rückt der Einmarsch der Nazis immer näher.

Ein außerordentliches, historisch verbrieftes Lebenswerk findet seine filmische Aufarbeitung in dieser englischen Produktion, die so eifrig um die Synthese von geschichtlicher Genauigkeit und maximaler Gefühlsmobilisierung bemüht ist, dass sie in beiden Punkten verkrampft. Der unbedarfte Regiehandwerker James Hawes wird den beiden Zeitebenen der Erzählung zu keiner Zeit gerecht, weil er stets dann zwischen den Zeiten wechselt, wenn es gerade spannend werden könnte. Der andere Grund ist die Besetzung des alten Winton mit Anthony Hopkins, der die Rolle mühelos aus dem Ärmel schüttelt, aber eitel genug ist, um allen anderen Beteiligten keine Entfaltung zu gönnen. Was großes Kino hätte werden müssen, bleibt letztlich nur biedere Bebilderung im gediegenen BBC-Stil.

Schief: „Kleine schmutzige Briefe“

Littlehampton ist um 1920 ein kleiner Ort an der englischen Ärmelkanalküste, strikt an der bürgerliche Tradition festhaltend, in der die Frau Heim und Herd brav zu hüten hat, beengt im geistigen Horizont. In dieses Klima platzen anonyme Briefe, die ihre Adressaten in übelster Sprache beschimpfen. Der Verdacht fällt schnell auf die hitzige Irin Rose (die stets souveräne Betty Buckley), was durch die unmittelbare Nachbarschaft der Familie Swan noch befeuert wird. Nur Edith (Olivia Coleman, zugleich Produzentin des Films), die unverheiratete Tochter des Hauses, hält sich vornehm zurück. Das hätte einen hübschen Häkelkrimi aus der muffigen Ära Georges V. ergeben können, bei dem zwar kein Mord geschieht, aber genügend Unruhe da ist, um schlimmste Charaktereigenschaften ans Tageslicht zu zerren.

Unter der Regie von Thea Sharrock (sie verfilmte 2016 den Jojo-Moyes-Roman „Ein ganzes halbes Jahr“) schleichen sich Anachronismen ins Ambiente der frühen 1920er-Jahre. Vor allem eine gewitzte Polizistin mit indischen Wurzeln ist dabei nur eine von vielen gut gemeinten Feminismusfacetten, die dem heutigen Zeitgeist entgegenkommen, den historischen Rahmen aber zum reinen Kasperletheater entwerten.