Essen. Der Schauspieler im Interview über sein Buch „Der Lärm des Lebens“, den „Ruhrpott“ und Autos. Er bleibt der Faber im Dortmund-„Tatort“.
Vieles hat sich verändert während der letzten Jahrzehnte im Ruhrgebiet – was ist Ihnen denn hier noch vertraut?
Ich würde sagen: Die Art, wie die Leute miteinander reden. Man kommt immer noch wahnsinnig schnell miteinander ins Gespräch, die Ruhrpottler sind nicht auf den Mund gefallen und der Humor sitzt ihnen immer noch locker auf der Zunge. Dieser Menschenschlag und dieses Miteinander, dieser Ton, das ist schon etwas, das ich vermisse. Aber selbst im Pott ist dieser schwere Schleier, der sich in letzter Zeit über alles gelegt hat, zu spüren. Ich beschreibe in meinem Buch ja ein Lebensgefühl, wie man es als Kind mitbekommt. Und da nimmt man nicht alles wahr, was die Eltern geleistet oder von den Kindern ferngehalten haben. Als Erwachsener sehnt man sich immer noch ein bisschen nach diesem verantwortungslosen Leben.
Aber die Entschlossenheit, das Leben zu feiern, in Kneipen oder sonst wo, die ist weniger geworden, oder?
Man ist sich früher einfach mehr begegnet, hat auch ganz schön gesoffen, sicherlich. Aber man hat Spaß gehabt. Ich habe das Leben damals genau so wahrgenommen, dass es vor allem ein großer Spaß ist. Das Glas war immer halb voll, und man war jetzt nicht reich, aber in der alten Bundesrepublik, da konnten auch die einfachen Menschen gut leben. Man hatte nie das Gefühl, dass was Existenzielles fehlte. Da wurden einfach Partys gefeiert, man hat sich nicht so’n Kopp gemacht. Es gab auch nicht diese Helikopter-Eltern. Man ist sich begegnet. Aber heute tauchen alle ab ins Digitale und man trifft sich nicht mehr. Man ist am Handy, man streamt Filme, zieht sich ins Private zurück. In Herdecke gab’s früher 60 Kneipen auf kleiner Fläche in der Altstadt. Da war Leben!
Ihr Vater war ein großer Spaßvogel, Sie haben dafür aber eine etwas beklemmende Erklärung…
Tja, dass meine Großeltern, also die Eltern meines Vaters, gehörlos waren oder „taubstumm“, wie man damals sagte, das zog schon viel Spott nach sich. Nicht nur in Nazideutschland, sondern auch später noch, viel später. Sie wurden mit ihren Lauten mitunter nachgeäfft und der eine oder andere glaubte, die seien doof. Da war es für meinen Vater eine Möglichkeit, damit umzugehen, indem er es selbst verballhornt hat, um dem Spott den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es könnte die Geburtsstunde seines Schabernacks gewesen sein.
Sie haben dann auch eine Weile gebraucht, um zu realisieren, in welcher Gefahr ihre Großeltern und deren Kinder in der NS-Zeit schwebten, oder?
„Wir waren bei Adolf auf der Liste“, sagte mein Vater häufiger, oder „Wir waren nicht vollwertig“. Das habe ich als Kind in seiner tieferen Bedeutung alles nicht so wahrgenommen, das kam erst in einem gewissen Alter. Aber ich hätte noch viel mehr fragen müssen. Und irgendwann kam bei mir dieses Gefühl auf: O Gott, du hast so viele Chancen verpasst. Und dann war’s teilweise schon zu spät.
Haben Sie Ihr Buch eigentlich in der Corona-Zeit geschrieben?
Der Impuls, dieses Buch zu schreiben, war vorher schon die Demenz meines Vaters. Als ich ihn im Heim besucht und gemerkt habe, diese Krankheit wird bald alle seine Erinnerungen auffressen, war das unerträglich. Und auch meine Selbstvorwürfe, im entscheidenden Moment nicht bei ihm gewesen zu sein. Damals habe ich angefangen, Erinnerungen zu sammeln, Notizen zu machen. Und hebe bereits geahnt: Wer weiß, vielleicht verwandle ich das mal in einen Text. Das eigentliche Schreiben ging dann in der Tat mit dem Lockdown los.
Hatten Sie Tagebücher geführt, die Sie benutzen konnten?
Solche Erlebnisse wie mein Besuch, bei dem er plötzlich federleicht aus dem Bett springt, als er mich erkennt, das war so berührend, dass ich gleich danach Notizen gemacht habe. Da wusste ich: Das ist mir so nahegegangen, ich möchte nicht, dass es verschwindet. Tagebuch habe ich leider nicht geführt, ich beneide jeden, der’s gemacht hat. Ich hab in Kalendern hin und wieder mal Notizen gemacht. Aber vieles hat sich mir auch eingebrannt. Vielleicht hat das mit meinem Job zu tun, dass ich ja immer sammeln und beobachten muss.
Ihre Umsetzung des Zungenschlags im östlichen Ruhrgebiet in Buchstaben ist, Kompliment, sehr gelungen!
Ich hab versucht, genau zuzuhören: Wie reden die denn da in Herdecke? Da sind ein paar sauerländische Anklänge, dieses „woll“ und „wonnich“, aber auch ein bisschen von Dortmund her. Man kriegt dadurch gleich ein Gefühl für die Menschen dort und wie sie ticken. Ich hätte mir nicht vorstellen können, das in einem Hochdeutsch aufzuschreiben. So begreift man auch, was ich verlassen habe, als ich in einem bestimmten Alter auf Teufel komm raus dieses Bühnenhochdeutsch lernen wollte.
Ihre Eltern hatten nie einen Führerschein und auch Sie haben früh gelernt, ohne Auto auszukommen. Bis heute?
Als Familie würde es uns doch fehlen, aber ich habe nie Wert auf Autos gelegt. Und das ist wirklich die letzte Beule, die wir hier fahren. Wir werden von den Nachbarn schon komisch angeguckt, glaube ich, so nach dem Motto: Wollt Ihr Euch nicht mal nen neuen Wagen…? Nee, der fährt doch noch! Ist doch super!
Die letzten Worte Ihres Buchs sind „Wir spielen.“ Das sagen allerdings ihre Kinder.
Naja, die Spiellust des Kindes habe ich immer noch in mir, bei allem Hadern und Zweifeln, was den Beruf, den Theater- und Filmbetrieb angeht, spüre ich sie, diese Neugier. Kinder erinnern einen daran, dass sie das Entscheidende ist. Und ich wollte das Buch mit der nächsten Generation enden lassen, mit dem Gefühl, dass es immer weitergeht, mit einer gewissen Hoffnung.
Was mögen Sie mehr, Theater oder Film?
Es hat beides seine Reize. Am Theater hast du richtig Zeit, eine Rolle zu entwickeln über sechs, an der Schaubühne meistens sogar acht Wochen hinweg. Und man kriegt auf der Bühne sofort die Reaktion des Publikums, das finde ich gerade in diesen Zeiten, in denen sich alle zurückziehen, so wichtig: Dass man sich begegnet an einem Ort und im besten Fall, einen gemeinsamen Atem bekommt, einen gemeinsamen Rhythmus. Das schafft kein Film, das möchte ich nicht missen. Ich habe auch in der Corona-Zeit nie geglaubt, dass Theater online funktionieren kann. Das hat für mich mit Theater nichts zu tun.
Spielen Sie denn zurzeit?
Ende März werde ich wieder an der Schaubühne spielen, da läuft immer noch der „Professor Bernardi“. Und Ende des Jahres werde ich dort eine neue Produktion machen. Ich kann noch nicht sagen, was es ist, aber da wird wieder was kommen.
Beim Dortmunder „Tatort“ sind allerdings in jüngster Zeit wieder zwei Leute ausgestiegen, haben Sie auch schon mal dran gedacht?
Nein. Ich habe ja zuletzt eine Geschichte entwickelt und ein Drehbuch geschrieben. Das ist ein schönes Privileg, dass ich mich da sehr einbringen kann in die Weiterentwicklung der Geschichte, da wir ja seriell erzählen im Dortmunder „Tatort“. Die Rolle ist Fluch und Segen zugleich, ich möchte natürlich als Schauspieler und Künstler wahrgenommen werden und nicht nur als „Tatort-Kommissar“. Und gleichzeitig freue ich mich und nehme es auch als Lob an, dass die Leute mich so sehr akzeptiert haben in dieser Figur, dann ist man halt „Tatort-Kommissar“, ja mein Gott, damit kann ich leben.
Also: Sie bleiben.
Ja. Ganz konkret gesagt: Ich habe jetzt erst mal wieder für drei Jahre unterschrieben. Ich mach also nicht Schluss, es geht noch Jahre weiter mit Herrn Faber.