Essen. US-Star Beyoncé hat den Country-Sound für sich entdeckt - und bricht damit in eine weiße, konservative Domäne Amerikas ein. Der Erfolg ist enorm.
Es bleibt dabei: Was immer Beyoncé Knowles auch anpackt, es wird zum Triumph. Dieses Mal revolutioniert die schwarze Texanerin mit der Single „Texas Hold ‘Em“ das traditionell als schneeweiß geltende Country-Genre und baut nebenbei die eigene Reichweite massiv aus.
Jetzt sind gerade alle so super überrascht, dass sich Beyoncé scheinbar urplötzlich nicht nur im Countrymusic-Genre tummelt, sondern selbiges gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellt. Dabei hätte man es doch schon locker vor zwei Jahren ahnen können, was für einen Kreativcoup diese nicht zuletzt in Sachen Bildsprache geniale Künstlerin womöglich als nächstes plant.
Saß sie doch auf dem Cover ihres letzten Albums auf dem Rücken eines glühenden, silber-futuristisch und wie aus der Zukunft entsandt wirkenden Pferdes. Heute weiß man: Das Bild war gleichzeitig Hommage an Bianca Jagger und ihren Hoch-zu-Ross-Ritt in die legendäre New Yorker Disco „Studio 54“ – und ein gar nicht mal so kleiner Wink mit dem Zaunpfahl.
Vom weißen Mainstream gekapert
Als also Beyoncé Giselle Knowles-Carter, verheiratet mit dem Rapper und Unternehmer Jay-Z und Mutter dreier Kinder, Ende Juli 2022 ebenjenes siebtes Studioalbum „Act I: Renaissance“ veröffentlichte, kündigte sie diese schon für sich genommen großartige Disco-, Soul- und House-Platte als ersten Baustein von etwas Größerem, ja etwas wirklich Großem, an: einer Albumtrilogie, auf der sich Beyoncé jeweils einer Musikstilrichtung annimmt, die ihre Wurzeln in der schwarzen Kultur hat, die aber dann sozusagen vom weißen Mainstream gekapert und durchkommerzialisiert wurde.
So wurden House und Disco schon bald zu einer Bastion des Weißseins – allerdings nie so vollumfänglich wie das in den USA unvermindert höchst populäre Genre der Country-Musik. Country gilt, durchaus nicht völlig zu Unrecht, als Hort der Ultrakonservativen, der Trump-Anhänger, nicht selten auch der Rassisten und Misogynen.
Zuletzt brachten unter anderem der rechtspopulistische und latent zur Selbstjustiz aufrufende Jason Aldean („Try That In A Small Town“) und der reaktionär anmutende sowie Wut und Politikverachtung verbreitende Oliver Anthony („Rich Men North Of Richmond“) das Country-Segment in die Negativschlagzeilen.
Beyoncés Stadiontournee weltweit ausverkauft
Wenn es also ein Genre gibt, das eine positive Imageauffrischung, eine anständige Dosis Diversität und das wohlwollende Interesse bisher naserümpfender Hörerinnen und Hörer gut gebrauchen kann, dann ist das die Country-Musik. Und umgekehrt wird auch für Beyoncé ein Cowboystiefel draus. In so gut wie allen anderen Stilen hat die 42-Jährige, die schon als Teenager mit der Girl-Group Destiny’s Child zur weltberühmten Hitlieferantin wurde und solo seit 20 Jahren zu den einflussreichsten, mächtigsten und strahlkräftigsten Stars der Welt gilt, schließlich schon triumphiert: Soul, Pop, R&B, Gospel, Hip-Hop, dazu hat sie kluge und oft auch gesellschaftspolitisch relevante Albumbegleitfilme gedreht sowie 2023 eine weltweit ausverkaufte Stadiontournee gespielt.
Unterm Strich stehen neben unzähliger weiterer Meriten 200 Millionen verkaufte Tonträger und 32 gewonnene Grammy-Awards – mehr geht höchstens noch, wenn man Taylor Swift heißt (die beiden verstehen sich übrigens gut, keine Sorge). Kann ja trotzdem nicht verkehrt sein, das eigene Portfolio um ein großes Stück vom Musikstilkuchen zu erweitern und ein paar hundert Millionen Countrymusik-Freunde einzuladen, die eigene Kunst für sich zu entdecken.
Beyoncé sorgt für Schnappatmung im Netz
Der – mutmaßlich jahrelang vorausgeplante – Spielzug aufs mitunter verminte Feld der Countrymusik ist somit fraglos ein brillanter. Auf einmal saß Beyoncé nun mit weißem Cowgirl-Hut und schwarzem Louis-Vuitton-Anzug Anfang Februar bei der Grammy-Verleihung, eine Woche später veröffentlichte sie während des Superbowl ihre zwei Country-Songs „Texas Hold ‘Em“ und „16 Carriages“, unterfütterte den PR-Stunt mit einem selbstironischen Werbeclip und brachte das Internet erwartungsgemäß blitzschnell regelrecht zum Schnappatmen.
Was sie da macht, ist nicht etwa so eine Art cleverer Pop-Country-Crossover wie bei Lil Nas X (übrigens schwarz und schwul, seinerzeit war auch schon ganz gut was los) und seinem „Old Town Road“ vor fünf Jahren. Sondern Country in seiner klassischen und ziemlich puren Version. Lässig und authentisch bringt Beyoncé die Nummer aufs Parkett – fast so, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Begleitet wird sie von der akustischen Gitarre.
Aber auch Banjo und Viola sind im Einsatz, gespielt von der schwarzen amerikanischen Folk-Sängerin Rhiannon Giddens (47), die ihrerseits bis dato zwei Grammys und einen Pulitzerpreis erhalten hat, letzteren 2023 für die Oper „Omar“ über das Lebensschicksal eines arabischen Sklaven, die sie gemeinsam mit dem Komponisten Michael Abels schrieb. „Texas Hold ‘Em“ ist mitnichten eine eitle Fingerübung, sondern ein wunderbar verspielter und melodischer, sehr tanzbarer und bestens gelaunter Frühlingshitsong.
Ein paar besonders konservative Country-Sender wollten ihn, wohl aus einer Mischung aus Ignoranz und Rassismus, nicht spielen, wurden jedoch von Knowles‘ sehr geballt und überzeugend tretenden Fans sehr schnell umgestimmt. Ergebnis: Der Song schnellte ohne Umschweife an die Spitze der US-Pop-Charts, was keine Überraschung ist. Er schaffte es aber auch direkt auf Platz eins der Country-Charts, was einer riesigen Sensation gleichkommt. Zum allerersten Mal in der Geschichte ist einer schwarzen Frau das Kunststück gelungen, die US-amerikanische Country-Hitliste anzuführen.
Beyoncé ist in Texas aufgewachsen
Beyoncé hat hier mit „Texas Hold ‘Em“ (und auch mit dem nachdenklicheren, die eigene Coming-of-Age-Geschichte als Jugendliche im Popzirkus reflektierenden „16 Carriages“) nicht nur eine massive Barriere durchbrochen. Sondern mit großer Wucht ihr Ziel erreicht: nämlich zu unterstreichen, dass die Country-Musik sehr wohl auch eine Musik der Schwarzen ist. So veröffentlichte Ray Charles 1962 sein Cover-Album „Modern Sounds In Country And Western“, während der schwarze Countrysänger Charley Pride in den sechziger und siebziger Jahren 30 Nummer-1-Hits in den Country-Charts landete.
Schließlich, das haben viele ein bisschen vergessen, hat auch die in Texas geborene und aufgewachsene Beyoncé selbst eine durchaus einschlägige Country-Vergangenheit. So wies ihre Mutter Tina Knowles auf Instagram darauf hin, dass die Töchter (Beyoncés jüngere Schwester Solange ist ebenfalls als Musikkünstlerin erfolgreich) immer schon die Mode und Musik der Cowgirls und -boys geliebt hätten, außerdem trat Beyoncé früher fast jährlich bei der „Texas Livestock Show Rodeo“, einem Festival rund um die Western-Kultur, auf. „Wir hatten nie den Eindruck, dass Cowboy-Kultur eine rein weiße Kultur ist“, sagt Tina Knowles.
Großes Lob von Dolly Parton für Beyoncé
Später, im Jahr 2016, reichte Beyoncé ihren Song „Daddy Lessons“ bei den Grammys in der Country-Kategorie ein (die Zulassung wurde vom zuständigen Komitee blockiert), später bei der Verleihung der Country Music Awards sang sie das Stück gemeinsam mit den Chicks, damals noch Dixie Chicks. Und selbst die möglicherweise größte Instanz, wenn es um Coolness in der Country-Welt geht, gibt ihren Segen. „Beyoncé macht das fantastisch und richtig schön“, so Dolly Parton. „Ich bin ein riesiger Fan und freue mich auf ihr Country-Album.“
Das wird am 29. März veröffentlicht, unter dem Arbeitstitel „Act II: Cowboy Carter“ und gibt bestimmt auch ein paar Hinweise darauf, welches Genre sich Beyoncé Knowles dann zum Finale ihrer Trilogie vorknöpfen wird. Kleiner Verdacht: Rockmusik.
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.