Essen. „How Have You Been?“: Die Giant Rooks haben ihr zweites Album draußen. Und Mega-Erfolg. Warum sie trotzdem nicht abheben: ein Gespräch.
Sie waren schon als Schülerband im Ruhrgebiet erfolgreich und schafften es mit ihrem 2020 veröffentlichten Debütalbum „Rookery“ auf Platz drei der deutschen Charts. Mittlerweile sind sie auch international eine ziemlich große Nummer. Gerade haben die Giant Rooks aus Hamm ihr mit Spannung erwartetes zweites Album. „How Have You Been?“ veröffentlicht, mit dem sie auch auf Tournee sind. Und es ist wirklich stark geworden: Die Mittzwanziger Fred Rabe (Gesang), Finn Schwieters (Gitarre), Luca Göttner (Bass), Jonathan Wischniowski (Keyboards) und Finn Thomas (Schlagzeug) präsentieren ein sehr buntes Pop-Panorama zwischen glitzernder Euphorie und Schlafzimmermelancholie, das wahlweise an Coldplay, The 1975, die Arctic Monkeys oder die Beatles erinnert. Aber doch glücklicherweise auch einen ganz eigenen Charakter hat. Steffen Rüth unterhielt sich mit Rabe und Schwieters, im echten Leben übrigens Cousins.
Jungs, Ihr seid schon seit Anfang Januar auf Europatournee, demnächst geht es in die USA. Ihr habt jetzt in liebevoller und akribischer Detailarbeit vierzehn Songs auf „How Have You Been?“ versammelt, das Ganze läuft eine gute Dreiviertelstunde. Ihr könntet aber natürlich auch einfach einen Song nach dem anderen auf den Streaming-Plattformen veröffentlichen. Ist das Pop-Album als solches nicht ein Oldschool-Format?
Finn Schwieters: Das stimmt, und tatsächlich haben wir neulich noch lange über dieses Thema gesprochen. Wir mögen und nutzen Social Media, wir bedienen diese Formate und füttern sie mit Inhalten. Aber das Internet steht für uns nicht an oberster Stelle. Als wir Kinder waren und mit dem Musikmachen anfingen, da gab es auch noch gar keine Smartphones. Ich habe mein erstes Handy mit 13 bekommen, und Plattformen wie TikTok und Instagram etablierten sich erst, nachdem wir als Band schon unsere ersten Schritte gemacht hatten. Ausschließlich vom Internet abhängig zu sein, um als Newcomer-Band erste Aufmerksamkeit zu erzeugen, stelle ich mir extrem schwierig vor.
Fred Rabe: Wir haben unsere Fanbasis ganz klassisch und, ja: Oldschool, durch Konzerte aufgebaut. Dafür sind wir superdankbar. Es ist beruhigend zu wissen, dass die Leute nicht nur wegen ein paar 20-Sekunden-Clips auf TikTok zu unseren Shows kommen.
Wie gemischt, gerade altersmäßig, ist Euer Publikum denn?
Rabe: Ich habe den Eindruck, dass unsere Hörerinnen und Hörer sehr divers sind. Es sind sehr junge Menschen dabei, aber es kommen definitiv auch Ältere. Und das Schöne ist: Sie kommen wirklich wegen unserer Musik.
Schwieters: Ich habe neulich die Dokumentation über Echt gesehen, und mir ist aufgefallen, dass die irgendwann fast schon von ihren Fans genervt waren, weil die gar nicht mehr richtig zuhörten.
Sind da viele Parallelen zwischen der Band Echt, die um die Jahrtausendwende herum sehr groß war, und den Giant Rooks?
Schwieters: Ich sehe eher die Unterschiede. Echt wurde wirklich fast über Nacht berühmt, und die Jungs waren noch sehr jung. Wir dagegen haben sehr klein und bescheiden angefangen, nach und nach kamen immer mehr Menschen zu unseren Konzerten. Es ging wirklich Schritt für Schritt nach vorne.
Auf dem Album fällt auf, dass Ihr Euch immer wieder vor den alten Meistern verneigt. Das kunstvoll poppige „For You“ zum Beispiel erinnert ganz schön an „Strawberry Fields Forever“ von den Beatles.
Schwieters: Es klingt absurd, aber es ist tatsächlich so, dass ich die Beatles erst vor zwei Jahren so richtig entdeckt habe. Seitdem habe ich die Beatles echt viel gehört. Diese Songs stehen für sich, sie sind wahnsinnig gut geschrieben, und man kann gar nicht anders, als zu dieser Band aufzuschauen. Für uns waren sie beim Songschreiben eine große Inspiration.
Worauf kommt es Euch bei Euren Liedern besonders an?
Rabe: Dass sie zeitlos sind. Wir möchten Songs aufnehmen, die bleiben. Die zwar einen modernen Sound haben, sich aber trotzdem nicht irgendwelchen Moden und Trends andienen. Und die wir noch in zehn Jahren gerne auf der Bühne spielen werden. Wir wollen langfristig Musik machen und auch langfristig davon leben können. Unsere große Herausforderung besteht darin, das Level, das wir jetzt erreicht haben, in den nächsten Jahren zu halten.
In „Pink Skies“ zitiert Ihr sogar ein Stück der Beatles. „Sing ‚Love me do‘, like it’s 1962“ lautet die Zeile.
Rabe: Eine leichtfüßige Referenz. Solche kleinen Details machen uns großen Spaß.
Die Beatles wurden vor 60 Jahren von der Fanbegeisterung schier erdrückt. Wir geht Ihr mit der Aufmerksamkeit der Massen um?
Rabe: Ach, wenn wir unterwegs sind, dann sind wir Cousins und Freunde, keine Rockstars. Wir kennen uns, seit wir denken können. Wir machen zusammen Musik und haben einen gewissen Erfolg, doch wir sind ja jetzt keine Berühmtheiten. Es ist auch eine ganz spezielle Sache, auf der Bühne zu stehen, denn das ist wirklich immer wieder ein surreales Erlebnis. Sobald es von der Bühne runtergeht, sind wir wieder wie alle anderen.
Offiziell gibt es die Band seit zehn Jahren.
Schwieters: Das kommt darauf an, wie man zählt. Für uns war der offizielle Startschuss die Veröffentlichung der ersten EP „The Times Are Bursting The Lines“ 2015.
Wart Ihr da mit der Schule schon fertig?
Rabe: Finn und ich hatten gerade das Abitur in der Tasche. Die anderen drei mussten noch zwei Jahre absitzen. Das haben sie auch geschafft, obwohl es mit der Band parallel echt schon ziemlich abging.
Habt Ihr angefangen zu studieren oder eine Ausbildung zu machen?
Rabe: Haben wir tatsächlich nicht, nein. Wir sind von den Abi-Klausuren direkt in den Proberaum gegangen und haben getan, was wir jetzt immer noch tun. Zum Studieren gab es nie die Zeit, aber wir sind nicht abgeneigt, das irgendwann nachzuholen. Finn und ich haben einen fast unstillbaren Wissensdurst. Das merken wir besonders, wenn wir auf Tournee sind und neugierig alles aufsaugen.
Ihr spielt auch viel im Ausland, was für eine deutsche Band eher ungewöhnlich ist. Im vergangenen Sommer etwa seid Ihr beim berühmten Lollapalooza-Festival in Chicago aufgetreten, demnächst geht es unter anderem nach Großbritannien und wieder in die USA. Wie habt Ihr das hinbekommen?
Rabe: Den Traum, auch außerhalb Deutschlands zu spielen, den hatten wir von Anfang an. Wir waren in Amerika mit Milky Chance auf Tour, und dann ging auf TikTok das Video von „Tom’s Diner“ ab. In den USA war der Song so richtig in den Singlecharts.
Ihr habt die Nummer, die im Original von Suzanne Vega stammt, gemeinsam mit den befreundeten Kollegen von AnnenMayKantereit aufgenommen.
Rabe: Ja, und in Amerika ist der Song voll viral gegangen. Das hat uns krass geholfen, dort Fuß zu fassen.
War das der Plan mit dem Song?
Schwieters: Nein, überhaupt nicht. Das war ein großer Zufall, völlig ungeplant. Wir haben das ohne große Erwartungen aufgenommen, hochgeladen, und dann ging alles blitzschnell. Es war wirklich verrückt. Quasi über Nacht öffneten sich dann in Amerika für uns die Türen, wir fanden dort schnell eine Booking-Agentur und ein Label.
Lollapalooza, Chicago – ist das dann in der Realität so geil wie in der Vorstellung?
Rabe: Natürlich geht alles zu schnell, um die Show an sich wirklich intensiv zu erleben. Aber das ganze Drumherum war ein echtes Abenteuer. Wir haben versucht, das alles mit einer gewissen Leichtigkeit zu genießen. Nach unserem Auftritt haben wir uns noch Kendrick Lamar und The 1975 angeguckt. Das war ganz sicher eines der schönsten Wochenenden im letzten Jahr.
Seid ihr auch mit dieser gewissen Leichtigkeit auch an die Arbeit am zweiten Album gegangen?
Schwieters: „Leicht“, „locker“ und „entspannt“ wären nicht die Worte, die ich hier wählen würde (lacht).
Dabei klingt die Platte doch unheimlich verspielt.
Schwieters: Wir haben richtig viel ausprobiert, das ist wahr. Wir waren in Stockholm und in London, um an Songs zu arbeiten, was sich fast zwei Jahre lang hinzog. So richtig zur Essenz unserer Band haben wir jedoch erst Anfang 2023 zurückgefunden, als wir uns zu fünft in Köln mit dem Produzenten Jochen Naaf eingeschlossen und ganz viele Songs quasi unter Live-Bedingungen geschrieben haben. Auf dem Album gibt es jetzt Stücke aus beiden Phasen.
Rabe: Insgesamt hatten wir 40 Songs geschrieben, viele davon hatten wir sehr liebgewonnen, und es war echt nicht leicht, sich dann zu entscheiden. Wir fanden es sehr angenehm, uns mit dem Album die nötige Zeit zu lassen. Heutzutage soll ja alles immer ganz schnell gehen, aber wenn die Dinge gut werden sollen, dann darf man sich nicht drängen oder unter Druck setzen lassen.
Geht es in „Fight Club“ nicht auch um zu viel Perfektion und Selbstoptimierung?
Schwieters: Genau. Es ist gesund, sich den Erwartungen von außen auch mal zu widersetzen.
Wie sieht es mit den Kämpfen zwischen Euch fünfen aus? Sind auch die Giant Rooks selbst manchmal ein „Fight Club“ oder herrscht Harmonie?
Schwieters: Wir verstehen uns blind. Wir müssen niemandem groß etwas erklären. Selbst kleinste Zeichen der Körpersprache wissen wir zu deuten.
Rabe: Wir achten als Gruppe darauf, dass wir gewisse Werte hochhalten. Dazu zählt in besonderem Maße unsere Freundschaft. Wenn wir nicht so eng befreundet wären, dann würde das alles hier nicht funktionieren. Wir sind fünf sehr unterschiedliche Charaktere, die sich fast jeden Tag sehen und oft auf engstem Raum miteinander klarkommen müssen.
Schwieters: Kleine Streitigkeiten gibt es natürlich. Aber es ist beeindruckend, wie gut das alles in allem über so einen langen Zeitraum mit uns klappt.
Welcher Gedanke steckt eigentlich hinter dem Albumtitel „How Have You Been?“? Hätte ich fragen sollen, wie es Euch in letzter Zeit so gegangen ist?
Rabe: Bitte nicht (lacht). Die Frage kommt ständig, und wir haben entschieden, dass wir sie niemals beantworten werden. Die Antwort steckt in diesen vierzehn Songs. Wir fanden diese einfache und doch sehr intime Frage als Titel total passend, weil dieses Album die Geschichte unserer letzten drei Jahre erzählt – mit allen Höhen und Tiefen.
Zu den Tiefen gehört ein Krankenhausaufenthalt, um den es in „Nobody Likes Hospitals“ geht.
Schwieters: Der zentrale Satz in dem Song lautet „I hope tomorrow you’ll be better“. Ich war 2022 wegen Depressionen für einen Monat im Krankenhaus und habe mich behandeln lassen. Ich finde es schön, wenn Musik es schafft, aus einer persönlichen Erfahrung etwas zu formulieren, mit dem sich viele Menschen identifizieren können. In diesem Fall: Einer geliebten Person geht es schlecht, und du selbst bist erstmal hilflos.
Hat sich die Hoffnung, dass es Dir morgen besser geht, bewahrheitet?
Schwieters: Ja, schon. Aber ich sage nicht, wie so oft in der Popmusik: Ich bin durch diese Krise gegangen, und jetzt stehe ich hier, geheilt und gestärkt. Es ist ein andauernder Prozess, mit dieser Krankheit umzugehen. Teil des Prozesses ist, darüber auch zu sprechen.
Achtet ihr darauf, dass Euch das ganze Giant-Rooks-Sein nicht über den Kopf wächst?
Schwieters: Dadurch, dass uns diese Band alles bedeutet, ist es sehr leicht, immer wieder über Grenzen zu gehen. Wir müssen aufpassen, dass wir dies nicht zu häufig tun, und ab und zu auch mal langsamer machen.
Ihr lebt nun alle fünf in Berlin, kommt aber aus dem westfälischen Hamm, also einer Stadt, die man vor allem wegen des Bahnhofs und der dortigen Zugteilungen kennt. Wie lebt es sich so in Hamm?
Rabe: Wir sind nicht die größten Lokalpatrioten, aber in Hamm lebt es sich sehr gut. Es ist wirklich wahnsinnig grün dort. Du gehst aus der Haustür und bist in fünf Minuten in der Natur, sei es an der Lippe oder im tiefsten Wald. Es gibt hier ganz viele wunderbare Orte, die ich seit meiner Kindheit liebe.·