Dortmund. Nichts für Bayreuth-Pilger: In der uninspirierten Regie von Intendantin Julia Wissert wird aus dem Nibelungen-Mythos ein Schabernack.
Kurze Durchsage vorab an alle Wagner-Jünger: Dieser Text ist nicht für Euch! Wer jedes Jahr nach Bayreuth pilgert, um stundenlang auf harten Stühlen die volle Operndröhnung zu genießen, sollte einen weiten Bogen machen um den „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Julia Wissert im Schauspiel Dortmund. „Ihr könnt gehen“, so schickt auch der Schauspieler Tamer Tahan zu Beginn eine lustige Warnung an alle „People of Opera“ durch den Saal: „Ballert euch ‘nen Sekt rein, die Intendantin bezahlt.“
Zugegeben, das Angebot ist verlockend. Doch die Neugierde überwiegt dann doch, schließlich will man wissen: Schafft es der 35-jährige Autor Necati Öziri tatsächlich, einen ganz neuen „Ring“ zu schmieden und das deutsche Nationalepos für die nächste Generation interessant zu machen? Oder verschenkt er seine Überschreibung einfach nur an den platten Gag? Wagemutig, aber sehenswert ist dieses Unterfangen auf jeden Fall.
Necati Öziri wuchs im Revier auf und wurde bekannt mit seinem Roman „Vatermal“
Spätestens seit seinem vielbeachteten Roman „Vatermal“ zählt Öziri, der als Sohn türkischer Einwanderer im Ruhrgebiet aufwuchs, zu den interessanten Stimmen der jüngeren Literaturszene. Er schreibt mit Härte, aber auch mit schnoddriger Leichtigkeit vom Leben der Einwandererfamilien, die mittlerweile in zweiter Generation in Deutschland leben – und denen das Schicksal von Drachentöter Siegfried gewiss nicht selten mächtig fremd vorkommt. Zwei Jahre nach der Uraufführung in Zürich sah das Dortmunder Schauspiel nun die deutsche Erstaufführung.
Und wie gewinnt man die Herzen all jener, die Wagner nur als Tiefkühlpizza oder vielleicht noch als Söldnertruppe aus der Tagesschau kennen? Mit Schabernack! In flinken 20 Minuten, die gehörigen Spaß machen, führt Tamer Tahan zu Beginn einmal quer durch die Handlung des „Rings“ und verrät nebenbei, worum es unterm Strich eigentlich geht: „Um Heimat, Gold und Männer, die Bock auf Frauen haben.“ Den Hütern der Hochkultur werden sich hier die Nackenhaare aufstellen, alle anderen entdecken in der großen Wagner-Persiflage einigen Unterhaltungswert.
Sieglinde und Hagen gestrichen, Zwerg Alberich kommt groß raus bei Necati Öziri
Wichtige Figuren (von Sieglinde bis Hagen) streicht Öziri gnadenlos. Dafür dürfen all jene im Hintergrund die Bühne betreten, denen das eigentliche Interesse des Autors gilt: der Zwerg Alberich, Brünnhilde, Erda, Fricka und zum Schluss sogar ein „Pseudo-Wotan“, den Alexander Darkow einmal quer durch den Zuschauerraum poltern lässt.
Es sind mehr die Gestalten aus den hinteren Reihen, die hier eine Stimme bekommen – und sie nutzen sie mit ganzer Kraft. Sechs ausgewachsene Monologe sind es am Ende, denen die Zuschauer lauschen, vom Dortmunder Ensemble durch die Bank bestens gespielt. Alberich (Adi Hrustemović) mault über die Götter, Brünnhilde (Nika Mišković) rockt über die Bühne wie Nina Hagen und Fricka (Antje Prust) erzählt komplett nackt und mit bebender Stimme von der Enttäuschung über ihren Geliebten Wotan.
Julia Wissert fällt zu Necati Öziris „Ring des Nibelungen“ szenisch nicht viel ein
Die Monologe sind nicht frei von Hängern, und manchmal fällt es schwer, die Figuren im Wagner-Kosmos sofort richtig einzuordnen. Dafür erzählen ihre ellenlangen Pamphlete viel vom gesellschaftlichen Miteinander und holen die Figuren fast schon leichtfüßig in unsere Zeit. Szenisch fällt Julia Wissert dazu allerdings nicht viel ein: Während die einzelnen Figuren vorn an der Rampe lautstark über ihr Leben philosophieren, herrscht im Hintergrund ein steifes Rumgestehe, das nur durch etwas elektronische Live-Musik aufgelockert wird.
Interessanterweise sind es zwei junge Musikerinnen, denen der schönste Auftritt des Abends gelingt. Als Geschwister Dev, die bei Wagner gar nicht vorkommen, erzählen Maika Küster und Isabelle Pabst in einem wunderbar zarten Gesang von ihrer Geschichte.
Tosender Beifall im ausverkauften Saal.