Essen. Erst Skandalnudel, ewig ein Streitbarer, stets Garant für Theater, über das die Menschen sprachen. Jetzt wird Opernregisseur Dietrich Hilsdorf 75.
Lange galt er als Enfant terrible, längst aber hat Dietrich Hilsdorfs souveräner Altersstil auch Skeptiker des Opernpublikums überzeugt. Vielleicht hält er sogar einen Rekord, da er NRW von Bonn bis Essen mit 90 (von insgesamt stolzen 173) Inszenierungen in fast 50 Schaffensjahren bedacht hat. Heute wird er 75. Lars von der Gönna traf ihn zum Gespräch.
Herr Hilsdorf, fällt Ihnen nach so langer Zeit überhaupt ein anderer Beruf ein, den Sie gekonnt, gemocht hätten?
Dietrich Hilsdorf: Ich hab’ mal mit der Werbebranche geliebäugelt. Ich war ein sehr unglücklicher Assistent am Theater Dortmund 1975 – die Schauspieler fand ich so schrecklich, dass ich wirklich eine Bewerbung rausgeschickt habe. Auf die Frage der Agentur, warum ich geeignet sei, habe ich geschrieben: „Ich glaube, dass bei Euch meine Ideen sofort umgesetzt werden können!“ (lacht). Aber im Ernst: Einen Satz wie „Pack den Tiger in den Tank!“ hätte ich in fünf Minuten auf dem Klo rausgehauen.
Zum Glück ist es anders gekommen. Obwohl auf Ihre ersten Opernpremiere – „Eugen Onegin“ in Gelsenkirchen – auch für Sie selbst keine Vergnügungssteuer erhoben wurde...
Das war unglaublich. Nach dem letzten Ton des Orchesters eine riesige Zustimmung. Ich hörte von der Seite den Jubel für die Sänger und ging raus zum Applaus. Der schlug um in ein Geräusch, dass ich noch gar nicht kannte. Mich traf ein Orkan, eine Salve von Buhs. Rückblickend glaube ich wirklich, dass ich für einen Moment bewusstlos war.
Man hat Sie am Essener Aalto-Theater im letzten Jahrhundert wegen „Don Carlo“, „Aida“ und „Trovatore“ gerne als Verdi-Schocker abgestempelt. Mein Eindruck ist eher: Sie mögen es durchaus, vom Publikum wertgeschätzt zu werden, Sie haben nichts gegen Zustimmung
Das ist auch so. Aber natürlich sind die Abende am schönsten, wenn Buh und Bravo sich die Waage halten, da ist einfach eine wunderbare Spannung im Raum.
Ihre Mittel haben sich geändert über die Jahre. Ist es normal, wenn man ein junger Regisseur ist, dass man der Bursche mit dem lautesten Mofa im Dorf sein will?
Das darf schon ‘ne dicke BMW sein!
Also waren Ihre Mittel sehr bewusst gewählt, als die Leute Ihretwegen in den Stadttheatern tobten?
Naja, der Theatermacher und Kritiker Günther Rühle, der mich sehr gefördert hat, sagte immer „Ihr Jungen müsst halt am Anfang rufen ,Hallo, hier bin ich!’“ Klar, wenn man seine ersten Inszenierungen macht, drückt man auf die Tube. Einige machen das bis an Ihr Lebensende, das wirkt dann meistens ziemlich albern.
Weil einem das sowieso niemand glaubt?
Es ist doch peinlich, wenn 70-Jährige, noch im Cabrio rumfahren müssen, mit Sonnenbrille und den paar restlichen Haaren, die sie verzweifelt lang wachsen lassen. Nicht mein Ding.
Nennen wir es Ihren Altersstil: sehr reduziert, oft kammerspielartig. Kommt das von allein?
Nee, das muss man schon wollen. Manches lernt man auch durch Seitensprünge. Ich hab mal ein großes kommerzielles Musical aus der Taufe gehoben, „Jekyll und Hyde“. Die Produzenten haben vorher meine Essener „Aida“ besucht – und sind in der Pause gegangen! „Sowas geht bei uns nicht, sonst sind wir pleite!“, haben die gesagt. Wenn die ersten 100 Aufführungen in einem Musical nicht ausverkauft sind, dann ist das einfach ein Flop. Das hab’ ich kapiert. Es hat Spaß gemacht, das zu bedienen und sich trotzdem nicht zu verbiegen.
Wozu sind Sie Regisseur?
Tja. Kennengelernt hab’ ich das Theater durch eine Tante, die gab mir immer ihre Karte, wenn sie gehört hatte, es gäbe viele Tote – schon saß ich mit zwölf in Kleists „Familie Schroffenstein“ und es hat mich fasziniert. Warum ich es mache? Theater ist grundsätzlich Spiegelung. Für mich gilt Brechts „Gegenstand der Untersuchung ist der Mensch“, und ich setze hinzu: „und nicht der Kunstvorgang“. Der hat mich im Theater nie gereizt, auch Symbole nicht, diese Übertragungen, wenn „Lohengrin“ in einem Klassenzimmer spielt.
Aber es gibt optische Konstanten. Fast keine Hilsdorf-Inszenierung, in denen Tisch und Bett nicht sehr zentrale Rollen zukommen.
Unbedingt, weil da alles im Leben verhandelt werden kann: Essen, Lieben, Sterben. Gerade die großen Opern von Verdi und Wagner sind ja im Grunde Familien-Dramen à la Ibsen. Und der Dramatiker Brendan Behan hat über sein Werk „Richards Korkbein“ gesagt: „Eine Abend-Unterhaltung über Politik, Religion und Sex; alles andere ist sowieso nicht der Rede wert.“ Eine schöne Kurzformel, die hat mich geprägt.
An manchen Häusern gelten Sie als gefürchtet, weil Sie schon mal ausrasten...
Ist das so? Da muss es schon weit kommen. Ich glaube, Intendant Hein Mulders hat mich lange nicht ans Aalto geladen, weil man ihm gesagt hatte, dass ich Stühle aus dem fünften Stock werfe.
Werfen Sie? Ihre Impulskontrolle gilt als wechselhaft.
Einmal hab’ ich das tatsächlich gemacht, da wurden uns Barhocker zur Verfügung gestellt, die regelmäßig unter den Sänger zusammenbrachen. Das war nicht nur komisch, es war gefährlich und ich musste zum Schutz der Darsteller die Stühle von der Probebühne entfernen, habe aber vorher nachgeschaut, dass da keine Mutter mit Kinderwagen lief und kein Porsche aus der Verwaltung unten stand.
Sie haben dem Aalto-Theater legendäre Inszenierungen gegeben. Hat Merle Fahrholz, die neue Hausherrin, mal angeklopft für eine neue Arbeit?
Nein, noch nicht. Aber im Februar ist in Essen „Aida“-Wiederaufnahme, ich werde da sein. Vielleicht hat sie mir ja was zu sagen.
Glauben Sie, dass Sie durch Theater irgendwas verändert haben?
Bei heftigen Reaktionen des Publikums spürt man sehr intensiv, wie sich durch den Widerstreit von Zustimmung und Ablehnung etwas bewegt, möglicherweise ideologische Verhärtungen sich auflösen. Aber Verändern? Bei den Elisabethanischen Theatern stand über dem Eingang der Schriftzug „Tua res agitur“: Deine Sache wird verhandelt. Das war auf jeden Fall der Antrieb meiner Theater-Arbeit. Weil deine Sache natürlich auch meine Sache ist.