Köln. Lauter alte Songs im neuen Gewand: Wolfgang Niedeckens BAP ließ den völlig ausverkauften Sartory-Saal in Köln jubeln. Eine Tournee 2024 folgt.

Verdamp lang her? Ach was! Wer mit Wolfgang Niedeckens Bap in die 80er-Jahre gegangen ist, hat deren Songs doch fürs Leben mitgenommen. Manche tragen sie nahe am Herzen, andere in den Echokammern der Erinnerung. Und jetzt geht Bap auf „Zeitreise“: Alle Songs der Erfolgs-Alben Nr. 3 und 4, also „Für usszeschnigge“ (1981) und „Vun drinne noh drusse“ (1982, bis heute das bestverkaufte) – plus fünf Songs vom Live-Album „Bess demnähx“.

Sie schlugen damals vielleicht so ein, weil 1981 nicht mal so ein besonderes Jahr war. Gut, Ronald Reagan wurde US-Präsident und überlebte ein Attentat, in der Wilstermarsch demonstrierten 100.000 gegen das Atomkraftwerk Brokdorf und in Bonn 300.000 gegen den Nato-Doppelbeschluss. In der ARD liefen die ersten „Dallas“-Folgen und der erste Schimanski-„Tatort“, im Kino gab es „Das Boot“, Prince Charles und Lady Di heirateten in Westminster, in Polen verhängte Regierungschef Jaruzelski das Kriegsrecht. Nr. 1-Hits waren damals „Fade To Grey“ (Visage), „Super Trouper” (Abba), „In The Air Tonight” (Phil Collins) oder „Tainted Love” (Soft Cell), aber auch die „Polonäse Blankenese” (Gottlieb Wendehals) oder „Ja, wenn wir alle Englein wären“ (Frank Zander und Freunde). Da war Bap wie eine Befreiung für Menschen, die mit dem Herzen dachten.

Gentrifizierung ‘81: „Südstadt verzäll nix“ mit NDW-Girlande vom Keyboard

Gentrifizierung war schon ein Thema, als sie noch nicht so hieß („Südstadt, verzäll nix“). „Jraaduss“ machte vor, wie man in trotziger Melancholie mit einer erfüllten Liebesbeziehung abschließt, in „Jupp“ umarmte ein Cello warm und voller mitfühlendem Respekt einen liebenswerten Außenseiter. Und die Komik kam auch nicht zu kurz, mit reinstem Rock’n’Roll im „Waschsalon“ oder mit den Reggae-Riffs vom „Müsli-Män“, der den Garderobenzwang der alternativen Szene so schön verschaukelte.

Gitarrist Ulrich Rode (links) und Wolfgang Niedecken im Sartory-Saal.
Gitarrist Ulrich Rode (links) und Wolfgang Niedecken im Sartory-Saal.

Und so wurde beim ersten von vier Konzerten am Donnerstagabend im Kölner Sartory-Saal mit gerade einmal 1400 Stehplätzen schnell klar: Das ist nicht nur Nostalgie hier, das ist eine Art Heimkehr. Zu den Menschen, die wir mal waren und eigentlich immer noch sind. Schönes Gefühl. Und es gibt Abende, da entdeckst du, was eigentlich alles schön sein kann.

BAP und Niedecken gehen mit „Zeitreise 81/82“ im nächsten Jahr auf Tournee

Klar, es war ein bisschen wie beim Klassentreffen. So gut wie alle hier unter der Rosenholz-Vertäfelung sind eine Altersklasse, die Generation Wo-immer-wir-hinkamen-waren-schon-ganz-viele-von-uns. Manches Haar ist grau, fast friedhofsblond oder gar nicht mehr da, die Gleit- und Weitsichtbrillen-Quote liegt bei etwa 50 Prozent. Einigen steht ins Gesicht geschrieben, wie viele ärztliche Ratschläge sie nicht befolgt haben. Andere haben die Traute, im Business-Anzug zu erscheinen – schwer beschäftigt und keine Zeit, noch schnell die Armani-Jeans überzustreifen.

„Südstadt verzäll nix“ geht ganz schön los, mit dem Rock-Riff, das Gitarrist Ulrich Rode gut herausarbeitet; allerdings fehlt ihm das Kantige, Raue, ja Rotzig-Rüpelhafte, das den Sound vom „Major“ Klaus Heuser durch Mark und Bein gehen ließ. Keyboarder Michael Nass legt leider noch eine penetrante Neue-Deutsche-Welle-Girlande darüber. Immerhin, das macht er später mit dem umwerfenden Wumms seiner Hammond-B3-Orgel wieder wett. Insgesamt ist der Sound poppig und das Klatschen im Saal oft lauter als die Drums. Beim „Waschsalon“ geht das Wisch-wasch-Winken bis in die letzte Reihe. Alle haben ganz schön gute Laune und verfallen beim Intro von „Nit für Kooche“ in ironisches Schunkeln“, wenn es das gibt – und dann wird es doch noch richtig schön rockig.

Wolfgang Niedecken wollte eigentlich nie eine „Greatest Hits“-Tournee

„Altersmilde“ sei er geworden, gesteht Wolfgang Niedecken, Flucht vor Karneval sei nicht mehr drin, weil Frau und Töchter immer dabeisein wollten – „und der Karneval ist ja auch besser geworden“. Er plaudert viel darüber, wo und wie Song entstanden. Meist unterwegs: Mal in Holland, mal mit Blick auf den griechischen Berg Athos, mal beim Gassigehen mit dem Hund („Wellenreiter“) und mal auf dem Weg nach Sardinien – und wer es bisher noch nicht wusste, wird spätestens an diesem Abend gespürt haben, was für ein richtig großer, herzbebentauglicher, einfach schöner Song „Ahn ner Leitplank“ ist – und das mit einem amtlichen Gitarrensolo, wie man es ja auch nicht mehr alle Tage zu hören bekommt (hier allerdings beim unverwüstlichen „Jupp“ gleich nochmal).

Eigentlich wollte er nie so etwas wie Greatest-Hits-Konzerte geben, sagt Niedecken. Aber bei der letzten Tournee („Alles fließt“) sei ihm der besondere Glanz in den Augen der Fans aufgefallen, wenn sie ganz alte, jahrzehntelang nicht mehr gespielte Songs auspacken. Was zum einen zeigt, wie genau Musiker auf der Bühne wahrnehmen, was unten im Publikum abgeht – und zum anderen wohl zur Folge hatte, dass die ersten Konzerte im intimen Sartory-Saal stattfinden, bevor im nächsten Jahr dann eine große Hallen-Tournee beginnt.

„Verdamp lang her“, „Kristallnaach“, „Wo mer endlich Sommer hann“, „Zehnter Juni“

Die zwei Stunden und zwei Minuten bis zum Zugabenteil vergehen wie im Flug. Sie spielen „Zehnter Juni“ („Plant mich bloß nicht bei euch ein“) für russische Deserteure, Eddie Cochrans „Summertime Blues“ („Wo mer endlich Sommer hann“), den Bekenntnis-Song „Ens em Vertraue“, „Wenn et Bedde sich lohne däät“ und „Kristallnaach“, das immer noch ein etwas zu guter Rocksong für das Pogrom-Thema ist – hier ist es mal schön, dass Gitarrist Rode die Riffs sehr rundet.

Und natürlich kocht der Saal, als die markanten Keyboard-Akkorde von „Verdamp lang her“ aus den Boxen in den Saal drängen. Der Turbo-Bläsersatz für „Frau ich freu mich“ gibt dem Song richtig schön Auftrieb, und als die Band nach fünf Minuten frenetischem Schlussapplaus wieder auf der Bühne steht, wissen alle: „Do kanns zaubre“ werden die jetzt spielen, das fehlt ja noch. Aber es geht noch fast eine Stunde lang weiter, sogar die alte „Anna, Anna“ wird nochmal rausgekramt, „Stell dir vüür“ und „Wahnsinn“, „Häng de Fahn eruss“, „Helfe kann dir keiner“. Und für alle Musik-Journalisten, die ihn damals ‘81/’82 noch als „Reserve-Springsteen vom Rhein“ oder „Kölsch-Dylan“ zu belächeln versuchten, spielt Niedecken als Verbeugung vor dem Meister „One Too Many Mornings“ und „Wie ne Stein“.

Drei Stunden „Zeitreise“. Schön. Sehr, sehr schön. Und sogar noch ein bisschen mehr als das.

BAP mit (v.l.) Ulrich Rode (Git.), Michael Nass (Key.), Wolfgang Niedecken (Voc/Git) und Sönke Reich (Drums), der „jünger ist als alle Songs, die wir heute Abend spielen“, so Niedecken.
BAP mit (v.l.) Ulrich Rode (Git.), Michael Nass (Key.), Wolfgang Niedecken (Voc/Git) und Sönke Reich (Drums), der „jünger ist als alle Songs, die wir heute Abend spielen“, so Niedecken. © Thomas Brill