Essen. Viel Weile, gut Ding: Peter Gabriel hat für sein Album „i/o“, das am 1. Dezember erscheint, 21 Jahre gebraucht. Eine lange Suche nach Perfektion.
In 21 Jahren ist Bayern München gleich 16-mal deutscher Meister geworden, Schalke hat 31 Trainer verschlissen, Italien neun Mal die Regierung gewechselt und Peter Gabriel hat – immerhin – zwölf neue Songs geschrieben. Ein Arbeitstempo, mit dem der medienscheue Brite selbst die Rolling Stones und Guns N´Roses übertrifft.
Das ist ihm sichtlich peinlich: „Ich kann mich nur entschuldigen, dass es diesmal so lange gedauert hat“, erklärt er in seinen monatlichen Podcasts: „Wir hatten verschiedene Versionen des Albums – eine mit Klavier, eine mit Gitarren und eine mit Orchester. Letztlich, nachdem keine davon überzeugen konnte, haben wir einfach alles kombiniert. Und ich schätze“, räumte Gabriel ein, „ich bin süchtig nach neuen Ideen. Ich will immer alles ausprobieren und gebe mich nie zufrieden – bis ein riesiges Chaos entsteht. Leider habe ich nur ein begrenztes Maß an Zeit zur Verfügung.“
Begriffe wie „behäbig“ oder „sprunghaft“ treffen es nur unzureichend: Peter Gabriel ist ein Künstler, der sich regelrecht in seiner Musik verliert und – wie er offen zugibt – nie zufrieden ist. An seinem zehnten Album „i/o“ hat er seit 2002 in den Real World Studios in Bath gebastelt. Es sollte eigentlich 2004 erscheinen – 18 Monate nach seinem bislang letzten Werk mit Eigenkompositionen: „Up“, das, Fans werden sich erinnern, drei deutschsprachige Titel enthielt.
Peter Gabriel verliert sich ganz in seiner Musik
Die lange Wartezeit, so Gabriel, resultiere aus seiner Methodik: Dem endlosen Experimentieren mit Arrangements, Melodien und Sounds – sowie dem ständigen Verwerfen und Überarbeiten von Ideen. Aber auch einem Komponieren, das er „musikalisches Weben“ nennt: „Das Stück ,The Court’ begann zum Beispiel mit geloopten kubanischen Klängen, mit denen ich am Keyboard herumgespielt habe“, erklärt der weißbärtige Kahlkopf. „Und weil ich früher mal Schlagzeuger war, habe ich einen Groove darum gebaut. Anschließend habe ich das Ganze mit der Band ausgearbeitet – bis wir etwas hatten, das für mich anders klingt als alles, was ich so kenne.“
Gabriels Musik ist der Inbegriff von klanglicher Perfektion und dem Streben nach innovativen Tönen. Unterstützt von Studio-Cracks wie dem Schlagzeuger und Percussionisten Manu Katché, Tony Levin, David Rhodes und Brian Eno, aber auch Orchester und Chören, serviert er leise, introvertierte, mitunter wehleidige Töne. Im nächsten Moment dann wieder Episches und Sinfonisches oder funkige, groovige Popsongs in der Manier von „Sledgehammer“ aus den Achtzigern.
Ein atmosphärischer, dichter und extrem vielseitiger Songparcours – mit starkem inhaltlichen Konzept: „Es geht um Input und Output – i/o“, setzt Gabriel an. „Darum, dass alles zusammenhängt. Und je älter ich werde, desto mehr lerne ich. Einfach, indem ich zuhöre und beobachte. So habe ich erkannt, dass wir als Menschen nicht so autonom sind, wie wir glauben, sondern Teil eines großen Ganzen. Wenn wir das begreifen, dürfte uns das ein Gefühl der Sinnhaftigkeit und des Glücks geben. Darüber rede ich hier.“
Leise, introvertierte, mitunter fast wehleidige Töne auf dem Album „i/o“
Ein anspruchsvolles Thema für Pop-Musik. Und nicht das einzige – der 73-jährige hat noch mehr auf Lager: staatliche Überwachung. Terror ausgelöst durch religiösen Fanatismus. Entfremdung durch moderne Kommunikationstechnik. Aber auch den Tod seiner Mutter und der Umgang mit dem eigenen Alter.
Auch interessant
Schwere Kost, die aber Denkanstöße und oft einen positiven Blick nach vorne birgt. Etwa in „Love Can Heal“. „Das klingt wie ein alter Hippie-Slogan – ,Liebe heilt’. Aber wenn wir Wechselwirkung und Wärme spüren, eben dass wir Teil einer Gemeinschaft sind und nicht isoliert, dann tendieren wir eher dazu, Gutes zu tun. Das ist meine Erfahrung.“
Geballte Lebensweisheit – in 69 Minuten und zwei Abmischungen: Dem ,Bright Side Mix‘ von Spike Stent und dem ,Dark Side Mix’ von Tchad Blake. Beide unterscheiden sich nur marginal – erscheinen aber trotzdem als Doppel-CD und separate Vinyl-Alben. Das ist ein bisschen viel des Guten – aber auch das weiß Gabriel selbst am besten: „Vielleich ist es tatsächlich zu anspruchsvoll und sorgt allein deshalb für eine Spaltung des Publikums. Aber ich habe mein Bestes geben.“ Das Ergebnis: Viel Gabriel und tatsächlich viel Gutes nach langer Wartezeit.