Dortmund. Operette, heiter bis ausgelassen: Jacques Offenbachs Can-Can-Klassiker „Orpheus in der Unterwelt“ im Opernhaus Dortmund furios getanzt – Jubel!
Die Geschichte ist bekannt: Eurydike stirbt vor der Zeit, Orpheus folgt ihr in den Hades, um die Götter der Unterwelt mit betörendem Gesang zur Rückgabe der Geliebten zu bewegen. Jacques Offenbach macht daraus mit seinen Librettisten eine bissige Satire auf die bürgerliche Doppelmoral: Sein Orpheus betört niemanden, am wenigsten Eurydike, die allzu freudig das unmoralische Angebot vom Fürsten der Finsternis annimmt. Orpheus möchte daraufhin, nun ungestört, seine außerehelichen Aktivitäten fortsetzen, wird daran aber durch die personifizierte öffentliche Meinung gehindert. Diese nötigt den Widerwilligen, zunächst im Olymp und schließlich auch im Hades vorzusprechen.
Wie Einschüchterung per hochgezogener Augenbraue funktioniert, hatte die öffentliche Meinung (lustvoll gouvernantenhaft aufspielend: Maria Hiefinger) schon vorab im stummen Dialog mit dem Publikum klargemacht. Spätestens als Dirigent Motonori Kobayashi mit drolligem Kopfputz über eine Einstiegsleiter in den Orchestergraben herabklettert, der per Pappmaché-Umrandung zum Pool wurde, ist klar: Das Stimmungsbarometer steht auf heiter bis ausgelassen.
„Orpheus in der Unterwelt“ in Dortmund mit Comic-Blondine und Schaumstoffmuskeln
Nikolaus Habjan (Regie) legt einen Kavaliersstart hin und nimmt bis zum Schlussapplaus den Fuß nicht mehr vom Gas: Wir erleben die fortgeschrittene Entfremdung von Orpheus und Eurydike nicht am heimischen Herd, sondern in einem großzügigen Wellnessstudio; das Interieur ist in Comic-Manier auf die Kulissen gemalt. Konsequent ist Eurydike (Rinnat Moriah, die in ihrer quecksilbrigen Überdrehtheit immer noch ein wenig mehr glitzert als das mit Glanzleistungen keineswegs geizende Ensemble) eine fleischgewordene Roy-Lichtenstein-Blondine. Das Inkognito von Pluto (Fritz Steinbacher) sind Schaumstoffmuskeln unterm Bademantel, er ist in Habjans Deutung Fitnesstrainer, dessen dauerleibesübende Gefolgschaft ausgiebig für Bewegung sorgt und Orpheus (Zachary Wilson in Hergé-Beige) blass aussehen lässt – das nicht nur turnerisch überzeugende Tanzensemble ist durchweg mit Gästen besetzt, die sichtbar in der leichten Muse zu Hause sind.
Das Konzept trägt. Nicht nur wegen der großen Sorgfalt, mit der die Comic-Ästhetik bis in die Kostümapplikationen (Denise Heschl) und die Bewegungsdynamik (Choreografie Adriana Nadolni) hinein umgesetzt wird. Sondern vor allem, weil die bestens aufgelegten Sänger-Darsteller jenseits der Pappsprechblasen für das ultimative „Wham Bam!“ sorgen. Hinreißend die von der Scheintugend chronisch erschöpften olympischen Götter! Köstlich die Süffisanz, mit der sie Göttervater Jupiter die ehelichen Verfehlungen – hier aktualisiert um Anspielungen auf eine gewisse Alterweißermannhaftigkeit – vorhalten, um dann selber beim nachdrücklich ertrotzten Familienausflug in die Unterwelt alle Hemmungen fallen zu lassen!
„Orpheus in der Unterwelt“ in Dortmund: der klassische Can-Can, aber mit Männern
Das Grande Finale wird schließlich zum emanzipatorischen Akt: Eurydike befreit sich von Ehemann, Entführer und dem sie zwischenzeitlich ebenfalls vereinnahmenden Obergott, das Tanzensemble wiederum beweist im „Galop Infernal“, dass ein schwungvoll getanzter Can Can keine weibliche Domäne sein muss.
Kobayashis schwungvolles Dirigat ist stets à point. Dass es gelegentlich aus dem Orchestergraben scheppert, darf angesichts des komischen Sujets durchaus als absichtsvoll gewertet werden. Gelungene Premiere und ein schwungvoller Start in die Karnevalsession – was will man mehr?!
Termine, Karten und Preise
Jacques Offenbach: „Orpheus in der Unterwelt“. Oper Dortmund, Platz der Alten Synagoge. Weitere Aufführungen: 22. November; 8. und 30. Dezember; 21. und 27. Januar; 4., 9. und 17. Februar. Karten (26-52 Euro): www.theaterdo.de,
ticketservice@theaterdo.de oder: 023150 27 222
Weitere Texte aus dem Ressort Kultur finden Sie hier:
- Merkel in Essens Oper: „My Fair Lady“ mit Einbürgerungstest
- Ausstellung: John Lennon und die 70er-Jahre in New York
- „Babylon Berlin“: Die vierte Staffel ist da – und sie lohnt sich
- Bausa-Konzert in Köln: „Meine Stimme ist echt am Limit“
- Erst Manager bei Evonik – jetzt Kinderbuchautor und Surfer