Essen. „Du dödel di“ und „Die Ente bleibt draußen“: Loriot, dem Erfinder von Jodelschule, Wum, Wendelin und „Ödipussi“ zum 100. Geburtstag.
Lange gab es nur einen deutschen Dichter, in dessen „Ach!“ eine Welt lag. Das war Heinrich von Kleist. „Ach“ ist das letzte Wort in „Amphitryon“, einer Komödie. Mehr als 150 Jahre ruhte der Seufzer, bis ein Bruder im Geiste entdeckte, welch gigantischer Bedeutungshorizont in diesen drei Buchstaben steckt. Manchmal hochdramatisch ergänzt – wie in „Ach was!“ „Ach nein“ oder bestenfalls „Ach so!“ Auch dieser deutsche Dichter war Brandenburger, auch er schrieb Komödien, ganz kleine, hundertfach. Wir kennen ihn als Loriot.
Man hat ihn, der am 12. November 100 Jahre altgeworden wäre, Deutschlands größten Komiker genannt. Sein Leit-Motiv: Scheitern. Die vor ihm hatten gesagt: Komisch ist wenn man hinfällt, tragisch ist, wenn man nicht mehr aufsteht. Bei Loriot fielen sie hin, auf die Beine kamen sie eigentlich immer, aber doch leicht ramponiert.
100 Jahre Loriot: TV-Zuschauer wählten ihn zum Komiker des Jahrhunderts
Dabei haben sie alle die besten Absichten, das ist ja das Problem. Der Mann hat uns reihenweise Menschen vorgestellt, deren Wille zur Ordnung das Chaos erst ermöglichte, ob sie sich im Restaurant den letzten Kosakenzipfel teilen oder die Liebe zum rechten Winkel pflegen. Darum zerlegt – untermalt von einem kreisenden Bolero Mantovanis – die Korrektheit in Person (Beamter im Außendienst) einen ganzen Wohnraum. Der legendäre TV-Sketch trägt den Namen „Zimmerverwüstung“. Das weiß heute niemand mehr, der letzte Satz aber blieb: die verzweifelte Begründung „Das Bild hängt schief!“ Er ist deutsches Volksgut geworden. Wie „Die Ente bleibt draußen!“. Wie „Es saugt und bläst der Heinzelmann“. Wie „Früher war mehr Lametta“ und „Sagen Sie jetzt nichts, Hildegard!“.
Die Welt, die Zuschauer (seine Prominenz beginnt erst mit dem Fernsehen der 1970er Jahre) mit Loriot erblicken, ist Alltag – mit einem leichten Knick. Loriot, eigentlich Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, hat die Prüfsteine unserer Lebens fallen lassen, wo sie hingehörten – auf Campingplätze, in Hotel-Badewannen, auf Frühstückstische („Das Ei ist hart!“) , unter den Christbaum. Besah man sie von nahem, waren es Steine eines Weisen, dessen Humor nicht aus Anbiederung ein Millionenpublikum erreichte, sondern vielmehr aus einer natürlichen Nähe zur alltagsgebeutelten Kreatur. Sein Jedermann hieß Hoppenstedt.
Kritiker haben seinen Humor zahm und allzu treudeutsch genannt. Vielleicht war das ein Missverständnis, weil sie in diesen kleinen Heldensagen zwischen Kohlroulade und Bettenhaus Extrem und Eklat vermissten. Tatsächlich bekannte Loriot, der seinen Künstlernamen dem Pirol, Wappentier seiner mecklenburgischen Adelsfamilie stiebitzte: „Außenseiter interessieren mich nicht!“
Loriot, Vicco von Bülow, schrieb Humor-Geschichte: von Kosakenzipfel bis Jodeldiplom
Dieser Mann – in Sachen Regie, Drehbuch, Schauspielerei kompletter Autodidakt – war sich eben sicher: Unsere wahren Katastrophen sind nichts Monströses. Sie lauern an der Parkuhr, beim Hosenkauf, im Ehegelöbnis. Mit dieser Idee täglicher Niederlagen in aller Beiläufigkeit konnte er bei gar keiner anderen Idealpartnerin landen als bei Evelyn Hamann. Loriot sucht 1976 eine dickes blondes Muttchen für einen „Radio Bremen“-Dreh, Hamann – groß, knochig, spröde – spricht vor und siegt. Mit ihr durchmisst er jodelnd die Abgründe weiblicher Gleichberechtigung („Da hab ich was Eigenes“), praktiziert „Liebe im Büro“ – und feiert gigantische Kinoerfolge. Zwar wird die Leinwand größer für „Ödipussi“ (1988) und „Pappa ante portas“ (1991), ihre Themen bleiben Weltuntergänge von nebenan: Jungs, die mit 56 noch bei Mama wohnen oder Prokuristen, die in Rente gehen.
Fein hat man diesen Humor oft genannt. Durchweg richtig ist das nicht. Oft hat sich Loriot schlichter Komödienstrukturen bedient (Versehen, Verwechslung, Missverständnis), aber wie dieser bei Dreharbeiten gefürchtete preußische Präzisions-Berserker noch den Klamotten-Standard einer zerdrückten Torte auf Stellen hinterm Komma prüfte, das hatte eben selbst in kleinbürgerlichen Clownsnummern („Ein Klavier, ein Klavier...) Klasse.
Loriot schuf Wum und Wendelin, die perfekte Sketch-Partnerin war Evelyn Hamann
Wer solche unterhaltungshistorischen Erfolge feiert, darf nicht unterschlagen, wie lange dieser Mann zu kämpfen hatte. Seine Anfänge als Cartoonist sind lauter Rückschläge. „Stern“-Chef Henri Nannen schmeißt ihn raus, als Leser sich über Cartoons beklagen, in denen Loriot bitterböse („Wenn nun jeder seinen Menschen an den Strand mitbrächte!“) die Rollen von Hunden und Herrchen vertauscht. „Echt hübsch! Aber kein Buch“, sagt Ernst Rowohlt über die Zeichnungen und ihren listig-hinterlistigen Texten. Man vergisst das leicht, da doch die Knollennasenmännchen eine Marke wurden, stark wie VW oder Tempo, die Steinlaus nur seinetwegen im „Pschyrembel“ lebt und dieser leise Mensch als singender Wauwau Wum („Ich wünsch mir ‘ne kleine Miezekatze“) 1972 über zwei Monate die deutsche Hitparade anführte.
Es ist schwierig, seinen Humor völlig zeitlos zu nennen. Loriot starb 2011, vier Jahre zuvor hatten Zuschauer des ZDF ihn zum größten deutschen Komiker gewählt. Da stand er in einer ihm gewidmeten Show, gerührt zwar, aber kaum noch zu Hause in einer Welt der Raabs und Barths. Sein Humor war da vielleicht noch nicht Vergangenheit, aber doch schon Geschichte. Seinen 100. Geburtstag zu feiern, heißt also vielleicht einfach nur zurückzublicken – in einer Vergangenheitsform heiterster Dankbarkeit: Haben wir gelacht!