Frankfurt/M. Tumult bei der Buchmessen-Eröffnung wegen Slavoj Žižek, Proteste gegen die Absage einer Preisverleihung an die Palästinenserin Adania Shibli.
Der Auftakt der 75. Frankfurter Buchmesse stand im Schatten des Kriegs in Nahost. Die Absagte einer Literaturpreis-Verleihung an eine palästinensische Autorin, die schon im Vorfeld der Messe für Debatten gesorgt hatte, nannte der slowenische Philosoph Slavoj Žižek als letzter Eröffnungsredner am Dienstagabend „empörend“. Für weit mehr Empörung, ja Tumulte sorgte aber die übrige Rede Žižeks, der bei der Eröffnung als prominentester Denker des diesjährigen Gastlandes Slowenien sprechen durfte. Er verurteilte, wie seine Vorredner, die Hamas-Pogrome in Israel klar, forderte aber zugleich, man müsse sie „kontexualisieren“, also vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung sehen. Mehrere Gäste verließen daraufhin unter Protest den Saal, darunter der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU), der später zurückkehrte und Žižek dann mehrfach unterbrach. Buchmessen-Direktor Juergen Boos lobte anschließend sowohl, dass die Rede unterbrochen worden sei, als auch, dass sie zu Ende geführt werden konnte.
Žižek wird in linken Kreisen dafür verehrt, dass er gar nicht so selten die denkerische Logik ersetzt durch Feuerwerke der wildesten Assoziation. Diesmal aber ging einer seiner rhetorischen Knallfrösche nach hinten los: Um seine These zu belegen, dass die Existenz-Sicherung Israels bei der europäischen Rechten ein beliebtes Narrativ sei, provozierte Žižek mit der Behauptung, schon Holocaust-Organisator Reinhard Heydrich sei für einen jüdischen Staat im Nahen Osten gewesen.
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Mit seinem Plädoyer allerdings, auch die palästinensische Seite zu sehen, war Žižek, der auch von einem angeblichen „Analyseverbot“ sprach, vielleicht nicht unbedingt im Irrtum, aber zur falschen Zeit am falschen Ort. Das wurde am Morgen drauf klar, als jüdische Linke bei einem Podiumsgespräch des Pen Berlin bekannten, wie einsam sie sich in den letzten Tagen gefühlt hätten. Ihnen fehlt oft ein klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, oder wie Meron Mendel, Leiter des Anne-Frank-Bildungszentrums in Frankfurt, es ausdrückte: „Einfach so ,Israel‘ sagen, ohne ein Aber!“ Es fehlt vielen ein Entsetzen über die barbarischen Taten der Hamas, fehlt das Mitgefühl mit den Angegriffenen: „Jetzt ist der Moment, jenseits von Sonntagsreden Farbe zu bekennen – da wurde getanzt aus Freude an Judenmorden“, sagte der Wiener Historiker Doron Rabinovici.
Und Mendel berichtete davon, dass er sich in diesen Tagen per Zoom ständig bei Beerdigungen zuschalte; unter den Toten seien Freunde, Kinder von Freunden, seien Menschen, mit denen er in der Jugend Basketball bespielt habe: „Und eine Frau, die mitansehen musste, wie Nazis ihre Eltern ermordet haben, muss nun ihre Tochter begraben, deren Sohn mitansehen musste, wie seine Eltern von der Hamas umgebracht wurden, man wird aufgeschmissen und sprachlos.“
Der Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus blockierte „40 Leute in den Sozialen Medien“
Der israelische Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus, der seit 13 Jahren in Berlin lebt, sprach davon, „in diesen Tagen 40 Leute“ wegen ihrer Ignoranz für das jüdische Leid „in den Sozialen Medien blockiert“ zu haben Und vom Verlust Israels als „sicherer Hafen“, der es Juden bislang erlaubt habe, auch woanders zu leben – und im Notfall zurückzukehren: „Israel scheidet nun als Zuflucht aus, wir müssen den Antisemitismus hier bekämpfen.“ Der jüdische Stolz habe einen „Knacks“ bekommen, meinte Doron Rabinovici – weil Israel die Antwort darauf gewesen sei, „dass die jüdische Existenz seit Jahrhunderten in Zweifel gezogen wird“.
Für Israel, so wurde deutlich, war dieser 7. Oktober 2023 eine Zeitenwende, nach der nichts mehr so sein wird wie zuvor. Dass später einmal, nach dem Ende oder der Marginalisierung der Hamas, wieder diskutiert werden muss und es „auch eine Politik geben muss“, dürfte allen klar sein
Protest gegen Absage der „Liberaturpreis“-Verleihung an Palästinenserin Adania Shibli
Aber ob es richtig war, die Verleihung des 3000 Euro dotierten „Liberaturpreises“, der seit 1986 von einem der Buchmesse nahestehendem Verein organisiert wird, auf der Buchmesse abzusagen? Er sollte an die palästinensische Autorin Adania Shibli verliehen werden, für ihren Roman „Eine Nebensache“, der auch für den britischen Booker Prize nominiert war. Er handelt von der Recherche einer Wissenschaftlerin zur Massenvergewaltigung einer jungen Beduinenfrau im August 1949 durch israelische Soldaten, die es tatsächlich gegeben hat. Dem Roman wurde von verschiedenen Seiten vorgeworfen, dass er antisemitische Lesarten zulasse, dabei schildert er die Gefühlskälte und Brutalität der Vergewaltiger fast erschreckend sachlich – dass ein verantwortlicher Offizier nicht eingeschritten ist, wird durch einen Skorpionbiss zuvor plausibel.
Mehr als 600 Autorinnen, Autoren und Menschen aus dem Literaturbetrieb protestierten im Vorfeld der Messe gegen die Absage der Preisverleihung. Die Nachrichtenlage, betonte etwa die Autorin und Pen-Berlin-Chefin Eva Menasse, mache aus einem guten Buch kein schlechtes. Aber aus der guten Idee einer Preisverleihung wird vielleicht doch eine nicht ganz so gute, wenn der Preis für genau dieses Buch plötzlich durch die Nachrichtenlage als symbolische Parteinahme verstanden werden könnte. Das hätte mit einer eindeutigen Stellungnahme von Adania Shibli freilich ausgeräumt werden können – aber offenbar hat sich der „Liberaturpreis“-Verein „Litprom“ nicht ausführlich mit der Autorin in Verbindung gesetzt, sondern die Absage ohne weitere Rücksprache verfügt.
Kultur-Staatsministerin Claudia Roth (Grüne) umarmt Meron Mendel
Während der Israel-Debatte im sonst nur spärlich besuchten, nun aber vollbesetzten Zelt auf dem Buchmessen-Vorplatz setzte sich übrigens Kultur-Staatsministerin Claudia Roth (Grüne) in die erste Reihe, bevor sie im Anschluss Meron Mendel herzlich umarmte. Roth war allerdings wegen eines anderen Themas gekommen. Sie diskutierte anschließend mit dem russischen Exil-Schriftsteller Dmitry Glukhovsky und Irina Scherbakowa, Historikerin und Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation „Memorial“, über „Hoffnung für Russland“, also ob das Land irgendwann zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zurückfinden kann. Das Gespräch leitete der Journalist und Berliner Journalist Deniz Yücel. Die Menschenrechtsaktivistin Scherbakowa zeigte sich pessimistisch: „Es gibt keine andere Chance, als dass Russland den Krieg gegen die Ukraine verliert. Wenn das nicht geschieht, sehe ich schwarz“.
Schließlich ist der Krieg in Israel und Gaza nicht der einzige. Daran – und an dessen Folgen auch im alltäglichen leben der ganz normalen Menschen – erinnert eine Ausstellung von internationalen Buch-Illustratorinnen und -Illustratoren, unter freiem Himmel und ebenfalls auf dem Vorplatz dieser 75. Frankfurter Buchmesse.
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