Gelsenkirchen. Tosender Jubel bei der Premiere. Richard Strauss’ „Salome“ riss das Publikum im Musiktheater im Revier total mit. Unsere aktuelle Opernkritik.

„Es gibt nur zwei Tragödien im Leben. Die eine besteht darin, dass man nicht bekommt, was man sich wünscht, und die andere darin, dass man es bekommt.“ Oscar Wildes berühmtes Bonmot nahmen wir bislang als klugen Witz einer Gesellschaftskomödie. Am Musiktheater im Revier (MiR) schickt Regisseur Manuel Schmitt es per Projektion der „Salome“ von Richard Strauss voraus. Die Titelheldin, das Neue Testament berichtet davon, bekommt, was sie wünscht. Den Kopf Johannes des Täufers!

Das abgründige Begehren zeichneten Maler, Dichter, Schriftsteller (Strauss’ Oper fußt auf Oscar Wildes Drama) über Jahrhunderte mit schwülem Ornament orientalischer Dekadenz aus. In Gelsenkirchens Oper aber ist ein nachtschwarzer bürgerlicher Salon die Schreckensstätte. Nur zwei Erscheinungen erhellen das Bühnenbild Julius Semmelmanns: die gewaltige Mondscheibe (eine Schicksals-Konstante der Oper) und der stählerne Käfig, in den der verhasste Prophet (Johannes/Jochanaa) hausen muss, der Jesus preist.

Großer Abend: Manuel Schmitt inszeniert in Gelsenkirchen Strauss’ „Salome“

Wir erinnern uns, was diese Geschichte verkommenster Gestalten antreibt: Herodes Antipas heiratet seine Schwägerin Herodias, die die bildhübsche Kindfrau Salome mit in die Ehe bringt. Jochanaan hat diese Ehe als gottlose Sünde geschmäht. Herodias wünscht, ganz Kind ihrer Zeit, also den Tod des Kritikers. Ihr Gatte aber fürchtet den charismatischen Gottesmann. Eine Falle kostet Jochanaan den Kopf: Herodes’ grenzenlose Geilheit führt dazu, dass er der Stieftochter alles verspricht, für einen einzigen Tanz. Salome fordert den Kopf des Propheten.

Schmitt, der dem MiR mit den „Perlenfischern“ und „Otello“ starke Abende bescherte, zeigt sich einmal mehr als kluger Geschichtenerzähler. Nie sind seine Inszenierungen brutale Demontagen, zuverlässig aber schenkt er Perspektiven, die unsere Erwartungen und Kenntnisse in die Nachprüfung schicken. Den reinen Jochanaan etwa zeichnet er wie ein pulsendes Pestgeschwür, derart toxisch, dass der dekadente Hof ihn nur mit Schutzmasken ans Tageslicht befördert – die Angst der Verwerflichen lässt ihn als Monster erscheinen. Und dann Salomes berüchtigter Schleiertanz: Tenald Zaces Choreographie holt den gesamten männlichen Hofstaat aufs Parkett, befrackte Kanzlisten, die die Kontrolle verlieren. Verführung wird: Vergewaltigung. Dass diese haltlose junge Frau danach einen Mordwunsch äußert, trägt unverhohlen die Züge eines Racheakts.

Sensationell intensiv: Susanne Serfling in der Titelrolle der „Salome“

Nach etwas statuarischem Beginn zieht Schmitts Regie meisterhaft die Schlinge zu. Das ist in den letzten 60 von 100 pausenlosen Minuten nicht weniger als ein aufwühlender Psycho-Thriller. Das Ensemble steht bis in kleinste Rollen (Yevhen Rakhmanin fällt als Soldat mit raumgreifendem Bass auf) vorbildlich im Dienst dieser Ballade vom Abgrund. Martin Homrich zeigt mit extrem charakterscharfen Tenor seine bisher beste Leistung am MiR, im Fat-Suit ist sein Herodes ein Potentaten-Ekel zwischen Zögerling und sabberndem Lustmolch. Idealbesetzt auch Benedict Nelsons Jochanaan, ein charismatischer Bariton mit noblem Trauertimbre. Ein Ereignis: Susanne Serflings Salome. Zehn Jahre Erfahrung in der Partie bringt sie als Gast mit, ihr Farbenreichtum hat alles: Fragilität und Betörung, Gift und fanfarenhafte Ruchlosigkeit, überwältigend gut!

Neue Philharmonie Westfalen glänzt in Strauss’ Meisteroper „Salome“

Jubel am Ende für alle und alles. Weit oben im Applausometer die Neue Philharmonie Westfalen mit Rasmus Baumann am Pult. Richard Strauss stieß mit der „Salome“ 1905 das Tor zu einer neuen Opernwelt weit auf – und Gelsenkirchens Orchester erspielt sich hochgespannt das mörderisch hohe Niveau seiner Partitur, die in ihren dauernden Taktwechseln, dem blitzartigen Pendeln zwischen blanker Illustration und subtilsten Atmosphären erbarmungslos fordernd ist.

Es lohnt sich, diesen Abend zu sehen und zu hören.

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Termine und Karten

Richard Strauss: Salome. Musiktheater im Revier, Kennedyplatz Gelsenkirchen.
1 Stunde, 40 Minuten, keine Pause.

Karten 15-40€, 0209-4097200

Termine 28., 30 September; 8., 13., 15., 29. Oktober, 1., 12. November.