Essen. Anlässe, sich Sorgen um die Welt zu machen, gibt es viele. Aber Untergangsstimmung war schon oft. Die Apokalypse blieb aus. Die Angst davor lebt.
Es ist vor allem die Klimakrise, die apokalyptische Szenarien denkbar macht – aber es gibt auch einen Krieg, mit dem niemand gerechnet hat; er hat Inflation, Hunger und Angst vor Winterkälte gebracht, und weitere Kriege könnten ihm folgen. Und da sind bei vielen auch noch die Bauchschmerzen durch die noch nicht wirklich verdaute Globalisierung, die Angst, die weltweiten Flüchtlingsströme könnten außer Kontrolle geraten, die Sorgen um den Bestand und das Funktionieren der Demokratie, der Bedeutungsverlust westlicher Macht und Werte. Und dann scheint auch noch die Weltgeschichte ein neues, rasanteres Tempo aufgenommen zu haben.
Wer in unseren Zeiten keine Unsicherheit spürt, muss schon Augen und Ohren fest verschließen oder mit dem Leben abgeschlossen haben. Umso wichtiger wird es, sich diese Unsicherheit bewusst zu machen, ihre Gründe, ihre Begleiterscheinungen, ihre Folgen. Allzu leicht driftet sie ansonsten in eine Weltuntergangsstimmung ab. Die allerdings gibt es nicht zum ersten Mal in der Geschichte – doch die Menschheit hat noch alle überlebt. Und das, obwohl ja jede Weltuntergangs-Ankündigung naturgemäß davon ausgehen muss, die letzte ihrer Art zu sein.
Das Ende des Maya-Kalenders am 21. 12. 2012 – Y2K, BSE und Ebola
In den Wochen vor dem 21. Dezember 2012 zum Beispiel war wieder einmal viel vom Ende der Welt die Rede. Angeblich stand das im Kalender der Maya. Die mittelamerikanischen Ureinwohner glaubten zwar, dass eines Tages eine große Flut alles hinwegspülen wird, was auf der Welt ist – aber das umraunte Dezember-Datum war nur das Ende eines wiederkehrenden Zyklus in ihrem Kalender. Die Maya hatten auch einen 22. Dezember 2012 auf der Rechnung. Nur in einem neuen Kalender.
Die Erwartung, an diesem Tag würde die Welt untergehen, hatte so gut wie nichts mit Mayas, aber viel mit der Seelenlage des Jahres 2012 zu tun: Die allgemeine Verunsicherung durch die Finanzkrise von 2008 mit ihren weltweiten Folgen war noch nicht überwunden. Immerhin, diese Krise haben die Menschen genauso in den Griff bekommen wie das mit Y2K beschriebene angebliche Problem von Computern mit dem Jahr 2000 oder BSE, Ebola und sogar-die Corona-Pandemie (mit immensen Kosten für die Allgemeinheit). Nicht ausgeschlossen, dass es ähnliche Krisen wieder geben könnte – aber immerhin hat die Menschheit Erfahrungen mit ihrer Bewältigung gesammelt.
Die Apokalypse des Johannes, der Schluss der christlichen Bibel
Vielleicht steht die Erfahrung, massive Krisen in den Griff bekommen zu haben, sogar ganz am Anfang der menschlichen Zivilisation: Schon das Gilgamesch-Epos aus Babylon kennt gut 2000 Jahre vor Christus eine Sintflut (die im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris als Naturereignis durchaus vorstellbar ist und ein Vorbild für die Noah-Erzählung im Alten Testament der Bibel gewesen sein dürfte). Ein Weltuntergang war nicht das Ende, sondern der Beginn der babylonischen Kultur. Überhaupt beruhen die meisten Religionen auf einem zyklischen Bild von der Welt, in dem jeder Untergang einen Neuanfang bedeutet.
Die große Ausnahme davon bildet allerdings die jüdisch-christliche Tradition. In etlichen Büchern der jüdischen Theologie wird eine End- oder Heilszeit angekündigt, ebenso im Alten Testament. Prägend für das Geschichtsbild künftiger Jahrhunderte aber wurde vor allem die Offenbarung des Johannes, das Schlusskapitel des Neuen Testaments. Sein griechischer Name „Apokalypsis“ wurde zum Synonym für das Ende der Welt, weil hier der finale Kampf zwischen Gut und Bösebeschrieben wurde (eine Vorstellung, die bei den Zoroastriern im damaligen Persien entlehnt gewesen sein dürfte).
Gift, Schwerter, Feuersbrünste und viel Blut – Bilder wie im Drogenrausch
Der Autor Johannes, der auf der griechischen Insel Patmos in Verbannung lebte und nicht identisch ist mit dem gleichnamigen Evangelisten, behauptet gleich zu Beginn, es sei eine Offenbarung Jesu Christi, die dem Johannes durch einen Engel gezeigt worden sei. Und bilderstark ist diese Offenbarung, diese Apokalypse gewiss. Mal werden alle Ungläubigen mit Geschwüren geschlagen, mal verbrennt ein Drittel der Erde und alles Gras, mal füllen sich die Meere und Flüsse in Blut. Die Bösen enden in brennenden Seen aus Schwefel. Und dann, wenn Himmel, Erde und Meere verschwunden sein werden, breche das himmlische Jerusalem an, in dem selbst die Sonne überflüssig ist, weil Gott, der Herr selbst, leuchten wird „in alle Ewigkeit“.
Die wüsten, oft rätselhaften, wie aus einem schweren Drogenrausch stammenden Bilder von Lämmern und sieben Siegeln, Schwertern und vergifteten Wassern aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert dienten allerdings einem konkreten Zweck: Sie sollten in ihrer Drastik die Verzweiflung der als Minderheit verfolgten Christen im Römischen Reich aufnehmen ernst nehmen – und zugleich einen Ausweg aus der Misere mehr verheißen als aufzeigen. Die Christen mussten ja nicht mehr tun als gottgefällig Leben, der Rest war vorhergesagt, vorherbestimmt.
Apokalypse verkauft sich gut – und hat totalitäre Züge
Nicht wenige der literarischen, musikalischen und auch politischen Apokalypsen, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden, verfolgen mindestens einen dieser beiden Zwecke: Das Aufspüren von fundamentaler Verunsicherung – und die Motivation, durchzuhalten oder sogar den Kampf gegen den drohenden Untergang aufzunehmen. Nicht unterschlagen werden sollte allerdings, dass sie in ihrer Schwarz-Weiß-Logik auch das Freund-Feind-Schema bedienen. Und Wörter wie „Endkampf“, „Endsieg“ oder gar „Endlösung“ signalisieren den totalitären Charakter von Apokalypsen – nicht von ungefähr stammt auch der Begriff „Tausendjähriges Reich“ aus der Johannes-Offenbarung.
Weil sie zugleich aber das befriedigen, was die Psychologie „Angslust“ nennt, wurden künstlerische Apokalypsen (später auch „Negativ-Utopien“ oder „Dystopien“ genannt), auch zu marktgängigen Einkommens-Garanten: Albrecht Dürers größter Holzstich-Verkaufsschlager am Ende des 15. Jahrhunderts waren seine „Apokalyptischen Reiter“. Seit einem Jahrhundert grassierte immer wieder die Pest in Europa, der Buchdruck machte die Menschen mit ungeahnten Gedanken bekannt und Kolumbus fand heraus, dass die Welt nicht flach, sondern rund ist, auch wenn sich das vermeintliche Indien als neuer Kontinent herausstellen sollte.
Apokalypse – ein christliches Alleinstellungsmerkmal
Wenn heute apokalyptische Szenarien im Kino oder auf Buchseiten entfaltet werden, kann das allerdings, jenseits der kommerziellen Nutzung, das Gefühl fördern, dass es in der wirklichen Welt allerdings nicht ganz so schlimm ist. Für messianische Gruppen wie die „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“ sind Apokalypsen hingegen echte Teambuilding-Maßnahmen.
Dass der endgültige Untergang der Welt das Ziel aller Geschichte sei, ist eine Annahme, die außerhalb christlich geprägter Kulturkreise so gut wie gar nicht vorkommt – das hat der Historiker Johannes Fried in seiner großen Studie „Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs“ gezeigt. Er führt sogar viele Errungenschaften der westlichen Welt auf die christliche Endzeit-Gewissheit zurück wie Zeitrechnung, Kalender und Geschichtsschreibung – schließlich hätten die Menschen wissen wollen, wo sie sich jetzt genau zwischen Schöpfung der Welt und ihrem Untergang befanden. Sogar das naturwissenschaftlichen Denken sei von der Apokalypse angestoßen worden, weil man versucht hat, die Naturphänomene, die in der Bibel als Vorzeichen des Weltenendes genannt werden, besser zu deuten.
Aber spätestens in fünf Milliarden Jahren...
Das apokalyptische Denken nimmt Katastrophen als Symbol und Signal für den Weltuntergang wahr. Dieser Zusammenhang war bis zum Ende des 20. Jahrhunderts immer ein metaphorischer, auch wenn bereits der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 auch in Europa und Nordamerika Monate später das berühmte „Jahr ohne Sommer“ 1816 mit Unwettern, Kälte und Missernten zur Folge hatte. Nun aber sind Katastrophen wie die Flut im Ahrtal oder die aktuellen Überschwemmungen in Italien, Österreich, Slowenien und Kroatien Indikatoren für Fehler bei menschlichen Eingriffen in die Natur. Die Diagnose ist klar (nur wenigen Klimawandel-Leugnern nicht), die Therapie eigentlich auch, wir haben es mit Mängeln bei der Umsetzung zu tun – klingt nicht nach Weltuntergang.
Und doch wird er kommen. In fünf Milliarden Jahren, so hat es die Forschung errechnet (es gibt auch Modelle, die von 1,9 Milliarden Jahren ausgehen) wird die Sonne so heiß geworden sein, dass die Temperatur auf 70 Grad ansteigt und es auf der gesamten Erdoberfläche kein Wasser mehr gibt. Dann ist es auch mit dem Menschen vorbei. Es sei denn, er hat vorher die Flucht ergriffen...