Essen. Samy Deluxe hat mit „Hochkultur 2“ ein neues Album, mag aber nicht auf Tournee gehen. Er hatte Depressionen. Und verrät, wie er drüber wegkam.
Samy Deluxe, Ende 1977 in Hamburg als Samy Sorge geboren, ist eines der großen Urgesteine im deutschen Hip-Hop. 1997 startete er die Band Dynamite Deluxe, 2001 kam sein Debütalbum „Samy Deluxe“ mit seinem bekanntesten Songs „Weck mich auf“ auf den Markt, immer wieder weiß der Rapper und Street-Art-Künstler sein Publikum seither zu überraschen. Und auch gesellschaftlich setzt Samy Akzente. Mit dem Projekt „Brothers Keepers“ setzte sich der Sohn einer Deutschen und eines Sudanesen gegen Rassismus ein, zudem engagiert er sich seit vielen Jahren dafür, Kindern und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten an Kunst und Musik heranzuführen. Und kritisierte heftig die Elbphilharmonie. Aber vor allem macht Samy Deluxe natürlich Musik. Nach einer persönlichen Krise veröffentlicht Deluxe nun, pünktlich zum fünfzigsten Geburtstag des Hip-Hops sein neues Album „Hochkultur 2“. Hier und da, etwa im lässigen „Masterclass“ oder dem poetischen „Yves Klein“ blitzt der Schalk in seinem Nacken auf, doch Herz und Seele des tiefschürfenden Werks seine Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche. Steffen Rüth unterhielt sich mit Samy Deluxe, der seit zehn Jahren irgendwo im Nirgendwo von Niedersachsen lebt, am Telefon.
Samy, „Hochkultur 2“ beinhaltet achtzehn Songs, das ist mal wieder richtig viel Futter, sowohl musikalisch als auch inhaltlich ist die Platte extrem üppig. War es Ihr Ziel, zum 50. Geburtstag des Hip-Hops so einen richtigen Rundumschlag abzuliefern?
Samy Deluxe: Eigentlich will ich jedes Mal ein kompaktes und nicht zu schwer verdauliches Album mit zehn bis zwölf Tracks machen. So einen richtigen Klassiker hat. Aber das habe ich wieder nicht hinbekommen. Ich tendiere einfach zur kompletten Reizüberflutung. In den nächsten Monaten will ich sogar noch sieben, acht zusätzliche Songs rausbringen, die mehr den Spaßfaktor betonen, den es in meiner Musik ja auch gibt und der auf „Hochkultur 2“ ein bisschen kurz kommt.
Stimmt es, dass Sie die Platte eigentlich schon 2020 rausbringen wollten?
Das stimmt, aber dann kam sehr viel zusammen, was diesen Plan verhindert hat. Auf dem Album sind noch einige Songs aus 2020, die meisten habe ich aber erst 2022, einige auch erst 2023 geschrieben. Eine Zeit lang habe ich die Musik überhaupt nicht mehr gefühlt, ich mochte meine eigenen Songs nicht mehr hören. Ein halbes Jahr hatte ich sogar ganz aufgehört, Musik zu machen.
Sie sprechen auf „Hochkultur 2“ in mehreren Stücken sehr offen und direkt über Ihre Depressionen. In „Last Exit“ heißt es, Ihre Lebensfreude sei auf „Death-Metal-Niveau“ gewesen, in „Antidepressiva“ berichten Sie von „Tagen ohne Spaß und Nächten ohne Schlaf“. Was war der Auslöser für die Krise?
Ich hatte mitten in der Pandemie so einen richtigen Tiefpunkt. Da kam einiges bei mir zusammen. Beziehungskram, aber auch eine fehlende kreative Erfüllung und Befriedigung. Ich war nicht mehr glücklich mit dem Gedanken, dass mein künstlerisches Leben die nächsten zwanzig Jahre so weitergehen sollte, wie es in den letzten zwanzig Jahren war. Das typische Hinterfragen halt. Dazu kam noch der Mord an George Floyd und die daraus entstandene „Black Lives Matter“-Bewegung, die noch einmal Kindheits- und überhaupt menschliche Traumata in mir aufgerissen hat.
Traumata in Bezug auf Rassismus-Erfahrungen?
Für mich war Rassismus nicht einen Tag im Leben inaktuell oder überwunden. Als dunkelhäutiger Mensch in Deutschland erlebe ich die Blicke jeden Tag auf der Straße. Wie sehr einen das beeinflusst, hängt auch davon ab, wie stark man darauf achtet. Und ich hatte insgesamt viel mit mir zu knabbern, auch weil ich mich intensiv mit meiner eigenen Psyche beschäftigt habe.
Sie haben vor Ihren Problemen also nicht die Augen verschlossen?
Nein, im Gegenteil. Ich habe sehr viel über mentale Gesundheit gelesen, mir jede Menge Podcasts über Psychologie angehört, und mir wirklich auch wirklich selbst den Spiegel vor die Nase gehalten, um zu gucken, wo ich vielleicht nicht nur Opfer, sondern auch Verursacher meiner Ängste, meiner Sorgen, meiner Paniken sein könnte. Während dieser Zeit habe ich mich stark zurückgezogen. Auch meinen Podcast habe ich eingestellt, obwohl der sehr gut lief. Ich wollte mich in der Öffentlichkeit gar nicht mehr äußern, einfach nicht mehr in Erscheinung treten.
„Man muss alles mit Humor sehen, weil uns noch mehr Krisen bevorstehen“, sagen Sie in „Antidepressiva“.
Manche müssen vielleicht auch Tabletten nehmen, aber ich kenne aus meinem engeren Umfeld Fälle, wo die Pillen den Leuten komplett die Emotionen genommen haben. Ich habe eher versucht, mich mit Selbstreflexion und Humor durch das tiefe Loch zu kämpfen. Natürlich kann man nicht alle Faktoren seines Lebens beeinflussen, aber man kann zum Beispiel entscheiden, welchen Input man sich täglich gibt. Ob ich mir also bei Liebeskummer und Trauerfällen noch die Nachrichten reinziehe oder ob ich doch lieber Comedy gucke. Um dieses Thema geht es auch in „Yves Klein“. Klein war ein Maler, der seinen eigenen Blauton entwickelt hat. Als Metapher für ein Album, das sich viel mit Traurigkeit auseinandersetzt, fand ich es sehr cool zu sagen, dass jeder Mensch sein eigenes Blau mischen kann.
Eine weitere Zeile aus dem Song lautet „Alles, was ich wollte, war ein bisschen Fame“, also Ruhm. Sagt das Yves Klein oder sagt das Samy Deluxe?
Eigentlich keiner von beiden so richtig. Der Satz ergibt erst mit der nächsten Zeile „Dann wurde mein Wunderland mein House of Pain“ richtig Sinn. Als ich anfing, Hip-Hop zu machen, wollte ich, dass mich die zehn, zwanzig anderen Rapper, die es damals in Deutschland gab, genauso toll fanden wie ich sie. Es war nie mein Ziel, so ein Typ zu sein, der dauernd im Fernsehen ist und von allen angelabert wird.
In „Kalte Füße“ sagen Sie: „Meine Selbstfindung war Public Viewing“.
Durch meinen Beruf fühle ich mich der Welt ziemlich ausgeliefert. Wir alle lernen, dass es schön ist, viel Zuspruch zu bekommen und dass wir maximal vielen Menschen gefallen müssen – im Beruf, im Sportverein, vor allem auch in den sozialen Medien. Seit ich also mit Anfang 20 in der Öffentlichkeit stehe, werde ich sehr, sehr viel bewertet und beurteilt. Manchmal hat mich das ermutigt und bestärkt, oft habe ich darunter gelitten. Speziell in meinen Anfangsjahren war ich sehr unsicher. Ich habe immer versucht, souverän zu wirken, dadurch dachten viele Leute, ich sei arrogant.
Mit welchen Mitteln haben Sie Ihre geistige Gesundheit wieder gestärkt?
Mit ganz einfachen Sachen. Sachen, die gar kein Geld kosten. Mit Spaziergängen, Stretching, dem Versuch, mehr auf meinen Körper zu achten und so viele Schadstoffe wie möglich aus meinem Alltag zu beseitigen. Ich habe schlechtes Essen und andere Gifte dadurch ersetzt, mich viel draußen in der Natur aufzuhalten. Ich habe mir zum Beispiel eine alte Frankfurter Straßenbahn in den Garten gestellt. Generell habe ich mich sehr viel mit meinem Zuhause beschäftigt, habe Raum für Raum den Wohnbereich und das Studio erneuert und aufgemöbelt. Eigentlich lebe ich dort ja schon seit zehn Jahren, habe aber immer mehr so gehaust. Jetzt ist wirklich jeder Winkel schön, und den Zug habe ich mir als Atelier ausgebaut.
Sie malen also auch?
Ja, ganz besonders gern sprühe ich Graffitis und mache Street-Art. Meine Liebe zur Kunst ist immer größer geworden in den letzten Jahren. Auch, als ich keine Musik mehr machen wollte, habe ich weiter gemalt.
Wie bekommt Ihnen als Hamburger Junge das Landleben?
Die Einöde tut mir sehr gut. Auch meine Wohnung in Berlin, die ich zwischendurch hatte, habe ich aufgegeben. Hier auf dem Land kann ich wunderbar auf mich selbst achten, auch das Alleinsein hier bekommt mir gut. Ich hatte immer so viel Verantwortung für andere, zahlreiche Menschen waren auch finanziell von mir abhängig, und es war vor allem während der Pandemie anstrengend, meiner Verantwortung gerecht zu werden. Jetzt ist alles eine Nummer kleiner, der Druck nicht mehr so hoch und meine Außenwirkung auf andere, die mir immer sehr wichtig war, spielt keine so große Rolle mehr.
Wollen Sie denn nicht mehr auf Tournee gehen?
Es war sehr wohltuend und eine Erleichterung, drei Jahre lang einfach nur Mensch zu sein und nicht am Applaus der anderen zu hängen. Ich spiele immer noch gerne für andere Leute, aber das gibt mir nicht mehr so viel wie früher. Ständig in anderen Städten zu sein, ohne je wirklich Zeit zu haben, immer so gehetzt herumzureisen, da ziehe ich nicht mehr so viel Freude raus. Lieber sind mir die Tage, an denen ich einfach nur vor mich hinlebe und mich mit mir als Mensch beschäftige. Aber eine Tour ist nicht geplant zurzeit. Wenn ich mal wieder Lust haben sollte, aufzutreten, dann buche ich mich einfach selber. Gerade will ich nicht buchbar sein. Ich muss mich nicht allen Regeln und Konventionen des Showgeschäfts hingeben.
Hip-Hop wird fünfzig, in der Nummer „Martinshorn“ zitieren Sie Alphavilles „Forever Young“. Als 45-jähriger Rocker kannst du gucken, wie die Scorpions oder die Rolling Stones das mit dem Älterwerden im Rock’n’Roll hinbekommen, aber für Leute wie Sie, Jan Delay, Max Herre oder die Fantastischen Vier gibt es keine Vorbilder, eben weil Sie die erste Generation sind. Muss da nun jeder Rapper seinen eigenen Weg finden?
Ja, voll. Die Fantas sind noch knapp zehn Jahre vor mir, und obwohl ich sie sehr mag und auch schon mit ihnen gearbeitet habe, finde ich es jetzt nicht so supervorbildlich für mich, Konzerttickets bei Aldi an der Kasse zu kaufen.
Naja, Sie haben 2018 mit dem Song „Hoch auf die Nachbarschaft“ Werbung für Penny gemacht.
Klar, das kann man mir auch vorwerfen. Selbst, wenn ich die ganze Aktion glaubwürdig und sehr gut gemacht fand. Gleichwohl möchte ich heute kein Markenbotschafter mehr für irgendjemanden sein.
Was denken Sie als Veteran von der jungen Generation im deutschen Hip-Hop?
Ich kriege da auch nur die Sachen mit, die so groß sind, dass sie jeder mitkriegt. Generell mag ich viele der modernen Soundfacetten, die international hochkommen, auf meinem Album „Dis wo ich herkomm“ war ich 2009 einer der ersten, die die Stimmsoftware Autotune benutzt haben. Generell denke ich, viele Künstlerinnen und Künstler könnten davon profitieren, wenn sie sich mehr Zeit lassen und sich nicht diesem Druck beugen würden, jeden Monat irgendwas rausbringen zu müssen, nur weil die anderen in ihrer Generation das machen. Ich sehe im Deutsch-Rap einige, die jetzt sehr viel Geld verdienen, aber in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr so stolz sind auf das, was sie gerade machen.
Sie selbst haben 2001 mit dem aufrüttelnden „Weck mich auf“ einen echten Klassiker erschaffen. Der Song ist aktueller denn je, man denke nur an den Klimawandel. Wie stehen Sie heute zu dem Song?
Viele Leute fordern von mir seit einigen Jahren ein „Weck mich auf, Teil 2“. Gerade während der Pandemie war es erstaunlich, wie viele Menschen diesen Song scheinbar in dem Moment zum ersten Mal mit Inhalt gefüllt haben, wo sie selbst von gefühlter Ungerechtigkeit betroffen waren und viele Fragen hatten, wie der Staat oder die Pharmaunternehmen mit uns umgehen. Ich hatte aber keinen Bock, mit plakativen Phrasen aufzuwarten und fürchten zu müssen, von den falschen Leuten bewusst falsch verstanden zu werden. Nur so eine Aufzählung von Zeitgeistproblemen ohne Lösungsansätze war mir nicht genug.
Sie denken also nicht, dass die Botschaft von „Weck mich auf“ gerade besonders akut ist?
Die Botschaft des Songs war immer akut. Es gibt Themen, die so verankert sind in der Menschheit, dass sie nie irrelevant werden. Dazu gehören Liebe und Herzschmerz, aber auch der Kampf gegen Unterdrückung und für mehr Freiheit. Wir hier in Deutschland sind verglichen mit den meisten Ländern auf der Welt sehr privilegiert, aber trotzdem ist nicht jeder Bürger jeden Tag zufrieden. Wir alle haben es auf unterschiedliche Weisen schwer. Die einen suchen Identifikationsflächen in politischen Parolen, die anderen in Liedern.
Sie engagieren sich seit vielen Jahren sozial, besonders in der kulturellen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wäre ein Leben als Politiker für Sie denkbar?
Mich hat es immer eher erschüttert, was ich mit meiner Macht hätte anfangen können. Ich habe extreme Ehrfurcht davor, dass so ein Song, den ich vor über zwanzig Jahren als bekiffter Junge schrieb, solch ein Manifest geworden ist. Das Schlimmste, was ich machen könnte, wäre auf meinen Geltungsdrang zu hören.
Ist das jetzt ein „Nein“?
Das ist ein „Nein“. Ich würde viel zu viel abwägen, nachdenken und reflektieren. Ich wäre ein furchtbarer Politiker.