Essen. Leere Ränge in Dortmund, massive Publikumseinbrüche in Bochum. Himmelfahrtskommandos und Neuanfänge. Wir blicken auf die Lage unserer Theater.
Die Theater liegen im Sommerschlaf, die Bühne überlassen sie der Festivalkultur. Aber was bleibt von der letzten Saison? Nach drei Jahren Corona-Pause ist sie wieder da: unsere kritische Rückschau auf Zustand und Leistung der subventionierten Häuser der Region. Für die Sparte Sprechtheater fällt die Bilanz nicht immer günstig aus.
Dortmund: Rot-Grüner Teppich für völlige Erfolglosigkeit?
Sie sind Kulturpolitiker und wünschen sich für Ihr Bühne ein Alleinstellungsmerkmal? Da wäre für Dortmund der Vorschlag: Erfolgloseste Theaterleitung der letzten Jahrzehnte wird verlängert. Kein Scherz: Es scheint Julia Wissert in der Westfalen-Metropole der rot-grüne Teppich einer Vertragsverlängerung ausgerollt zu werden. Dabei sprechen die Zahlen klar dagegen. In zahlreichen Vorstellungen sitzt ein Minimum an Zuschauern – und das in einem für die größte Stadt des Reviers ohnehin recht kleinen Haus.
Einen traurigen Gipfel durfte man erst unlängst erleben: Eine Vorstellung der von Intendantin Wissert inszenierten „Die Bakchen“ interessierten im Juni kaum zehn Prozent. Rund 90 Prozent der Plätze blieben nach unseren Recherchen leer, in einem Haus, das programmatisch Fortschritt will, im Grunde aber nur einen anderen Elite-Begriff hat. Der trägt offenbar keine Früchte. Stadtdirektor Stüdemann nennt Wisserts Theater gern ein „Labor“. Er blendet offenbar aus, dass Zuschauer keine Kaninchen sind und rechtzeitig (nämlich vor Versuchen am lebenden Besucher) das Haus verlassen haben. Früher fürchteten wir uns vor dem kaputtgesparten Theater, heute vor dem kaputtgespielten.
Essen: Ein Erfolgstheater, in neuen Händen
Ist es ein Segen, ein gut laufendes Haus zu übernehmen? Mag auch nicht jede Inszenierung von nationalem Schauwert gewesen sein, nicht jedes Ensemblemitglied das Zeug zum Staatsschauspieler gehabt haben: Christian Tombeil hat in Essen mehr als ein Jahrzehnt das Grillo-Theater zu einem Haus gemacht, das das Publikum liebte. Solche Treue ist in diesen Zeiten ein enormes Pfund. Wir werden bald sehen, wie das eben angetretene Führungsduo Selen Kara und Christina Zintl diesen Schatz hütet, obschon es „ein neues deutsches Theater“ will. Am Anfang steht ein Klassiker, tatsächlich im extrem neuen Gewand, als „Doktormutter Faust“. Mindestens so spannend wie das Geschehen auf der Bühne wird es im Parkett, was das künftige Schicksal dieser „feministischen Überschreibung“ anbetrifft.
In Bochum ist das sinnliche Vergnügen immer noch Mangelware
Das Selbstbewusstsein von Johan Simons möchte man haben. Da hat der bestbezahlte Sprechtheater-Intendant der Ruhr trotz Corona-Erholung im Vergleich zu seinem (Interims-!)Vorgänger eine Einbuße von 55.000 (!) Zuschauern und ist doch felsenfest von seiner Kunst überzeugt. Mit einem Kurswechsel tut er sich schwer: ein „gefälligeres Programm (...), das nur noch aus Liederabenden und irgendwelcher Comedy besteht“ sei sein Auftrag nicht, bekundete er unlängst in einem Interview mit unserer Zeitung.
Tun wir einfach mal, was Theater tun sollte: schonungslos hingucken! Simons’ Haus bekommt zwar erstklassige Auszeichnungen, aber das Publikum ist massiv eingebrochen. Die verführerische, sinnliche und, ja, auch unterhaltende Dimension von Theater ist nach wie vor rar. Auf wenige szenische Hochkaräter kommt allabendlich manch bleierne Selbstverliebtheit. Eine Leserin nannte das in einem frustrierten Brief an uns „ermüdende Depressions-Kunst“. Und noch immer wenden sich Menschen ab, die Bochums legendärem Schauspielhaus 30, 40 Jahre lang die Abo-Treue gehalten haben. Es gibt Kündigungen.
Es ist schlicht unwahrscheinlich, dass unter Simons (76), der offenbar noch länger in Bochum bleiben möchte als derzeit vertraglich feststeht, eine Wende möglich ist. Für die Kunst, harte dramatische Brocken mit Brot und Spielen klug in die Balance zu bringen, steht er nur ungenügend.
Düsseldorf: Kessel Buntes sorgt für Besucherstrom
Wilfried Schulz darf man sich als glücklichen Menschen vorstellen: Der Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses blickt auf eine Spielzeit zurück, die in Sachen Auslastung eine der besten der letzten Jahrzehnte ist. Sicher: Der listige Chef durfte anfangs auch davon profitieren, ein heruntergewirtschaftetes Haus wachzuküssen. Aber längst beweist er, dass er die Mühe der Ebenen nicht weniger klug beschreitet.
Gewiss ist nicht alles Gold, was am Rhein über die Bühne geht, mal rutscht politisch Brisantes („Cabaret“) allzu sehr in süffiges Tingeltangel, dann wieder wird die Performance-Hupe sehr laut gedrückt, aber der Mix lockt eben doch Massen. Goethes „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“ gilt für keines unserer Häuser so wie für dieses.
Oberhausen: Viel Neues, clever ans Publikum gebracht
Respekt: Mit einem Spielplan, der Klassiker von Schiller bis Molière komplett meidet, hat Kathrin Mädler ihre erste Spielzeit beeindruckend gut geschultert. Die szenische Qualität stimmt vielfach, selbst mit harten Themen – von der NS-Vergangenheit bis zu häuslicher Gewalt – weiß Oberhausens Intendantin durch schlaue Besetzungspolitik (von der Regie bis zum Bühnenbild) ihr Publikum zu finden.
Ob auf Dauer die große Distanz zu literarischen Publikumslieblingen sinnstiftend ist, darf man an einem Stadttheater, das immer auch Grundversorger sein muss, fragen. Der Auftakt an einer Bühne, die in keinem guten Zustand war, lässt uns nicht ohne gute Hoffnung aufs Haus am Will-Quadflieg-Platz schauen.
Mülheim: Radikal anders. Ein Himmelfahrtskommando?
Hier ist der Blick auf die nächste Spielzeit wichtiger als auf die letzte. Was wird aus Mülheim? Es steht im Theater an der Ruhr eine massive Zeitenwende an. Kein durchgehender Spielplan mehr, die großen, lange gepflegten Inszenierungen von Gründervater Roberto Ciulli sind Geschichte. Es regiert Festival-Charakter, die Stücke samt Beiprogramm laufen als „Inseln“. Davon gibt es nur drei im Jahr, die erste gilt dem Thema „Rausch“. Die radikale Abkehr von einem in Deutschland extrem verankerten festen Spielbetrieb kann zum Himmelfahrtskommando werden. Aber es ist wohl auch eine Flucht nach vorn, dem Theater geht es nicht gut. Der Gefahr, mit einem solchen Kulturbruch, noch mehr Publikum zu verlieren, müssen sich Regisseur Philipp Preuss und sein Leitungsteam allerdings bewusst sein.
Moers: Perle aus Mut und Ausdauer
Der dienstälteste Theaterchef unserer Region sitzt im kleinen Moers mit einem noch kleineren Theater. Umso mehr darf man staunen, dass nach so langer Zeit nichts Ausgebranntes und keine Ermüdungserscheinung von Ulrich Grebs Schlosstheater ausgeht. Im Gegenteil: Es hat sich (gelegentliche Ausreißer preisen wir tolerant ein) das Haus des nunmehr 64-Jährigen, der seit 20 Jahren Intendant in Moers ist, in der letzten Spielzeit einmal mehr als theatralisches Kraftwerk en miniature gezeigt.