Essen. Gewonnen wurde auf dem Platz: Christian Tombeil ist der erfolgreichste Schauspiel-Chef im Revier. Jetzt endet seine Zeit als Intendant in Essen.
Nicht viele hatten diesen Erfolg vor 13 Jahren für möglich gehalten. Mit Christian Tombeil (58) verlässt der erfolgreichste Schauspiel-Chef des Ruhrgebiets seinen Intendantensessel – mit Auslastungen, von denen Nachbarstädte nur träumen können. Lars von der Gönna traf ihn zum Abschieds-Gespräch.
Sie blicken auf eine Erfolgsgeschichte. Mit welcher Botschaft haben Sie sich damals in der Politik beworben?
Tombeil: Als ich mich damals in Essen vorgestellt habe, war meine Ansage: Ich kann Ihnen hier die tollsten Visionen malen, aber es ist am Ende wie mit dem Fußball: Gewinnen werden wir hier nur auf dem Platz. Natürlich ist das schön, zum Berliner Theatertreffen geladen zu werden oder Preise einzuheimsen. Aber das kann nicht mein Ziel sein. Mein Ziel ist eine Auslastung von 85-95 Prozent. Das hat geklappt.
Was für Schauspiel in Deutschland heute herausragend ist...
...freut mich, dass Sie das so sehen. Natürlich mussten wir uns einfinden. Eines unserer Eröffnungsstücke war „Jede Menge Kohle“ nach Adolf Winkelmann. Da gab es Essener, die sagten: „Wir haben uns schon amüsiert. Aber bitte: Wir sind das Ruhrgebiet, Ihr seid hier neu!“
Was machten Sie daraus?
Wir haben Tipps bekommen, was anders sein könnte. So kam es zur sagenumwobenen Produktion „Rote Erde“, wieder ein großer Ruhrgebietsstoff. Der Regisseur Volker Lösch wollte es mit zwölf arbeitslosen jungen Männern inszenieren. Also: Großer Aufruf! Wir haben mit Hunderten gerechnet. Gemeldet haben sich anderthalb! Wir haben gelernt: Ein Mann, der im Pott arbeitslos ist, will das nicht auf einer Bühne zeigen. Aber wir haben nicht aufgegeben, sehr intensiv mit Arbeitsagenturen gesucht und gefunden. Am Ende waren wir 20 Mal ausverkauft – und hätten noch 20 Mal gespielt, wenn nicht ein Teil der Männer aufgrund dieser Produktion in Arbeitsverhältnisse gekommen wäre.
Auch Kontinuität zeichnete Ihr Haus aus...
Die Hälfte des Ensembles ist seit 13 Jahren hier, sowas ist ziemlich selten geworden. Ich habe sehr den Eindruck, dass das Publikum das schätzt. Aber wir versuchen, das auch nach innen zu pflegen, etwa in den Auswertungsgesprächen.
Was ist das?
Eine Woche nach einer Premiere setzen sich die Schauspieler, die Assistenten und wir, die Leitung, zusammen und jeder sagt frei, was gut oder weniger gut gelaufen ist. Es ist durchaus vorgekommen, dass ein Regisseur überwiegend als „sehr schwierig“ erlebt wurde. So etwas haben wir sehr ernst genommen. Übrigens: Von Anfang an waren wir in der Leitung immer mit mindestens 50 Prozent Frauen besetzt, nimmt man den Mittelbau mit dazu, kommen wir auf 70 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer. Ist also alles nicht so neu.
Sie gelten als listenreich bis hin zur andernorts vermissten Kunst der Publikumsbezirzung. Ihre Zuschauerinnen und Zuschauer durfte sich sogar Stücke wünschen...
… „Besuch der alten Dame“, bisher 50 ausverkaufte Vorstellungen! Wir haben durchweg sehr genau geguckt, was den Nerv des Publikums trifft. Wir wollten nie Lösungen präsentieren, aber wir können geschützte Räume für Diskussionen bieten, das haben die Leute angenommen. „Tschick“: fast 100 Abende, neun Jahre im Spielplan! Auch die Jugendarbeit war extrem wichtig. Als ich hier ankam, gab es eine halbe Stelle Theaterpädagogik. Wir haben auf einen Schauspieler verzichtet für zwei volle Stellen. Heute können wir die Nachfrage aus den Schulen oft kaum befriedigen.
Sind Ihnen Begegnungen mit Menschen von der Ruhr besonders in Erinnerung geblieben?
Sehr angerührt hat mich die Begegnung mit Eltern der mitspielenden Kinder von „Der Prinz und der Bettelknabe“. Das waren ja Familien vom heiklen Essener Norden bis zum feinen Süden, die sich übers Theater kennengelernt haben. Eine Mutter aus Bredeney hat gesagt: „Meine Tochter hat in dem Jahr bei Ihnen an sozialer Kompetenz mehr gelernt als in den sechs Jahren am Goethe-Gymnasium.“
Was ist das überhaupt für ein Publikum im Ruhrgebiet?
Überhaupt kein Eliten-Club! Die 50 Bildungsbürger, die in unsere Premieren kommen, kann ich mit Namen begrüßen (lacht). Und dann so oft ein Haus voll zu haben, in dem eine wahnsinnige Bandbreite der Menschen sitzt! Ich denke oft daran, dass 35 Millionen Menschen seit der Eröffnung des Grillo-Theaters, des Essener Saalbaus und des Aalto-Theaters in diesen Immobilien zu Gast waren in einer Arbeiterstadt! Da muss man sagen: Hier ist in den letzten 120, 130 Jahren viel richtig gemacht worden. 85 Prozent unserer Zuschauer kommen aus zehn Kilometern Umkreis. Wir sind Grundversorger – und das mit Stolz.
Auch Sie haben vieles richtig gemacht. Manchen wunderte, dass ein Erfolgsintendant wie Sie nicht noch einmal verlängert wurde. Was wird nun aus Ihnen?
Kunst braucht den Wandel, auch wenn der Zeitpunkt für die Situation in der Stadt vielleicht unglücklich war. Was mit mir wird? Sie lesen ja im Feuilleton, welche Chance alte weiße Männer derzeit im Theater haben. Aber nach insgesamt 30 Jahren in dieser Mühle, freu’ ich mich erstmal auf Touren im Wohnmobil.
Zur Person
Der gebürtige Oberfranke Christian Tombeil kannte Essen längst, als er vor 13 Jahren Schauspielintendant wurde. Der ausgebildete Tänzer, Germanist und Kunsthistoriker war von 1994-1997 Oberspielleiter am Aalto-Theater gewesen, ehe er an die Vereinigten Bühnen Krefeld-Mönchengladbach als künstlerischer Betriebsdirektor und stv. Intendant wechselte.