Düsseldorf. Wortkarg, aber stimmgewaltig: Mit einer zweistündigen Show begeisterte Depeche Mode ihre Fans in Düsseldorf. Am Dienstag tun sie es noch einmal.

Sätze, die er nicht gesagt hat: „Fletch, wir vermissen dich furchtbar“. „Du fehlst uns sehr“. „Es war ganz großartig, mit dir über 40 Jahre lang Musik zu machen.“ Nicht nur, was den Tod von Mitbegründer Andrew Fletcher angeht, der am 26. Mai 2022, im Alter von 60 Jahren verstarb, gibt sich Frontmann Dave Gahan, beim ersten von zwei Depeche Mode-Konzerten in der Düsseldorfer Merkur Spiel-Arena wortkarg. Hier und da ein „Thank you“ oder, als Steigerung, ein „Thank you very much“, eine knappe Vorstellung der Band, ein „You’re alright?“, „Geht es euch gut?“, das war dann aber auch schon fast alles.

Sonntag ficht das die Fans nicht an. Und auch am Dienstag wird das kaum anders sein. Denn insgesamt 90.000 Menschen zieht es schließlich nicht in diese Arena, weil sie sich hier Vorträge anhören wollen, sondern Stücke wie „Stripped“, „Enjoy the Silence“ oder „Never Let Me Down Again“. Wobei speziell diese aber erst gegen Ende des gut zweistündigen Abends erklingen werden.

Depeche Mode spielen nur acht Konzerte in Deutschland

Wer für eins von nur zwei Konzerten der Elektro-Pioniere in NRW (und nur acht Konzerten in Deutschland) ein Ticket ergattert hat, kann sich glücklich schätzen. Mit den beiden Überlebenden Dave Gahan (61) und Martin Gore (61), live unterstützt von Keyboarder Peter Gordeno und Schlagzeuger Christian Eigner, steht eine der erfolgreichsten Bands der Welt auf der Bühne. Depeche Mode haben Musikgeschichte geschrieben. Das aktuelle 15. Album „Memento Mori“, das auch der Tour ihren Namen gibt, fügte dem Ende März 2023 ein weiteres Kapitel an.

Zwei Stücke von „Memento Mori“, „My Cosmos Is Mine“ und „Wagging Tongue“, eröffnen den Abend. Im blauen Licht puckert vorab klanggewaltig die Herzschlagmaschine, sobald Gahan und Gore die Bühne betreten, brandet gewaltiger Jubel auf. Von Weitem sieht das Jackett von Gore aus, als sei es mit Blumen gemustert. Wer den Lockenkopf an der Gitarre bei „Walking In My Shoes“ näher heranzoomt, gewahrt indes: es sind Gesichter, die an Totenköpfe erinnern. Bedenke, dass du sterblich bist als Prägedruck im Anzugstoff.

Synthie-Pop deluxe und schwarzromantische Klassiker

Gahan dagegen kann auf derlei Plakatives verzichten. Ist er doch schon selbst dem Tod oft genug von der Schippe gesprungen. Seine Ausdrucksmittel: eine magische Stimme und sein Körper. Den er kreiseln, sich in den Hüften wiegen und sich schlängeln lässt, biegsam, federnd, Hand aufs Herz und tiefer Blick aus dunkel umrandeten Kajalaugen, derweil die Hände Bewegungen vollführen, die man sonst nur von Tempeltänzerinnen kennt. „Sister Night“ und „In Your Room“ geraten so nachgerade beschwörend. Wie ein Lichtstrahl bricht „Everything Counts“ mit Gore am Keyboard hervor. Mit solchem Synthie-Pop deluxe, der später zunehmend düsterer und schwermütiger wurde, haben die Briten ihren Ruhm begründet. Dass die Bühne von einem großen „M“ dominiert wird, kann man von den Seiten her kaum erkennen, weil die, leider, keinen Durchblick bieten. Auf den Großbildleinwänden erscheinen die Protagonisten bisweilen in vielfacher Überblendung, hektisch flackernd oder wie von Wärmebildkameras aufgezeichnet.

Auch schwarzromantische Klassiker wie das von Gore gesungene „A Question of Lust“ fehlen nicht. „World In My Eyes“ widmet Gahan dem verstorbenen Fletch, dessen Antlitz sechsfach dabei im Zeitraffer altert. Allerdings ohne zu erklären, dass es das Lieblingsstück des Kollegen war und dass er es geliebt hätte, jetzt dabei zu sein. In Leipzig, am 26. Mai, beim deutschen Tourauftakt war das noch drin. Aber das war auch der Todestag.

Depeche Mode bringen die 1980er zurück

Das ganz großartige „Wrong“ läutet die Endrunde mit „Stripped“, „John The Revelator“ und „Enjoy The Silence“ ein. Gore und Gahan haben sich längst ihrer Jacketts entledigt, tragen Westen auf nackter Haut. Gahan, der sich immer wieder die Haare zurückstreicht, wirkt inzwischen wie durchs Wasser gezogen. Kurze Verschnaufpause vor der ersten Zugabe.

„Waiting for he Night“, das beide zusammen auf dem Catwalk singen, versinkt in einem Meer der Rührung, die Gefühle schlagen haushohe Wellen, illuminiert von Tausenden von Handylichtern. Zum Schluss verbeugen sich beide sehr tief voreinander, ehe sie einander umarmen. Die zwei, die überlebt haben. Als Echo hallt der Chor des Publikums nach, das klingt wie klaftertiefe Seufzer und schmeckt nach ganz viel „Weh“ und „Ach“. „Just Can’t Get Enough“ bringt befreiende Tanzwut, „Never Let Me Down Again“ noch einmal das betörende Sägen und Sausen und Sirren der 80er zurück. Fehlt eigentlich nur noch „Personal Jesus“ als wuchtiger Rausschmeißer vom Dienst…

Einen solchen, in Menschengestalt, hätte man sich auch während des Konzerts gewünscht. Der Vergleich zu anderen Blöcken fehlt, aber was in Block 6, und damit ausgerechnet in einem Block, wo ganz oben Plätze für Rollstuhlfahrer und –fahrerinnen reserviert sind, abging, glich einer Völkerwanderung. Ein ständiges Kommen und Gehen, immer wieder mussten alle aufstehen, um die „Pendler“ durchzulassen. Immer wieder war die Sicht auf die Bühne dadurch verdeckt. Etwas mehr Rücksicht auf diejenigen, die die Show in Gänze sehen wollten, wäre schon schön gewesen. Bitte vormerken für Dienstag.