Hagen. . Hagen war der Geburtsort der Neuen Deutschen Welle – und für eine Handvoll Jahre Musik-Mekka. Heute ist die NDW reif fürs Museum.
40 Jahre reichen, damit die Verhältnisse sich umkehren. Der Oberbürgermeister von Hagen, der sich als Teenie nie traute, sein Idol: den Trommler von Extrabreit, auf der Straße anzusprechen, darf ihm jetzt jovial auf die Schulter klopfen. Es ist soweit: Extrabreit, die Band, die einst mit ihrer Single „Polizisten“ zumindest in Bayern nicht im Rundfunk gespielt wurde, ist reif fürs Museum. Und Schlagzeuger Rolf Möller scheint sich kaum zu trauen, sein Instrument zu bespielen, das da jetzt hinter Glas steht.
Dem Equipment von Extrabreit und Grobschnitt ist im Osthaus-Museum einer der größten Schreine gewidmet. Dazu gibt es Deko aus der berüchtigten Disco „Rockpommels Land“ und Tonbandgeräte aus der Frühzeit der Aufnahmetechnik – die Meister in den Wäldern machten im Woodland-Studio den Klang der Zeit: Im einstigen Hühnerstall waren Lindenberg und Maffay, John Farnham und Robert Palmer zu Gast.
Zwei Dinge sind Erbe und Trost
Man merkt: Hagen hatte einen klangvollen Namen. Doch was bleibt von der „Neuen Deutschen Welle“, die es vor gut 40 Jahren aus dem Volmetal und dem daniederliegenden Stadtteil Wehringhausen in den Rockpalast und die Hitparaden brachte? Die mit Grobschnitt Wegbereiter war und für ein paar Jahre die deutschen Charts prägte – und die es doch nicht schaffte, Hagen oder das Ruhrgebiet dauerhaft auf der popmusikalischen Landkarte zu verankern?
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„Das Liverpool Deutschlands“ lautete der Stempel, den der „Spiegel“ für Hagen prägte. Doch der Nimbus ist nur ein Wanderpokal für Städte im Niedergang, auf die kurz die Bühnenscheinwerfer des Musikbusiness fallen. Zwei Dinge aber bleiben als Erbe und Trost, so der Soziologe Frank Hillebrandt vor der Fernuniversität Hagen: Zum einen haben Grobschnitt, die mit ihren Bühnenshows und umfangreichen Equipment fröhlich bis wahnwitzig experimentierten, quasi den Lehrberuf des Veranstaltungstechnikers aus der Taufe gehoben. Zum anderen, so die zweite Hillebrand-These, ist es die Aufgabe der Provinz, die Szene der großen Metropolen mit neuen Talenten zu füttern.
Komm nach Hagen, werde Popstar, mach dein Glück!
So wie es Nena gemacht hat, die auf einem Foto mit dicken Schulterpolstern in der Jacke an die coole Berlinerin Gudrun Gut gerät, damals „die modernste Frau Deutschlands“, und an Jim Rakete. So entsteht Musik made in Hagen.
Extrabreit kann sich rühmen, der Stadt die Treue gehalten zu haben. „Komm nach Hagen, werde Popstar, mach dein Glück!“ sangen sie 1982 auf der LP „Alles aus Hagen“, die sich weder vorher noch nachher so hätte machen lassen.
„Du musst den Hagener mal so sehen: raue Schale, kein Kern. Bei uns verging keine Woche, wo nicht einer gesagt hat: ‚Passt auf, ihr Arschlöcher, ich hab‘ die Schnauze voll, ich hau jetzt in‘ Sack. Ihr seht mich nie wieder.‘ Gitarre gepackt, Verstärker gepackt, weg. Und drei Tage später stand er wieder im Übungsraum: ‚Tach, Jungs! Bin wieder da. Lass uns mal reden.‘ Verstehst Du? Das Essen kocht, es spritzt an die Wände des Topfes, aber es fällt wieder in den Topf zurück“, so erlebt Stefan Kleinkrieg von „Extrabreit“ seine Stadt.
Eine Stadt, eine Disco: die Szene
Damals, so Drummer Möller, hatte man zwei Möglichkeiten: Fußballspielen oder Musikmachen. Hagen war eine One-Disco-Town – „eine Stadt, in der immer nur eine Disco voll ist und alle anderen leer“, so Stefan Kleinkrieg. In Hagen heißt sie „Madison“. Da läuft einem Auftritt der „Ramblers“ dem Roadie eine Goldschmiedegehilfin über den Weg: Gabriele Susanne Kerner alias Nena wird Sängerin. Und der Gitarrist der Ramblers, Carlo Karges, lässt kurz darauf „99 Luftballons“ in den Pop-Himmel steigen.
Hagen ist für kurze Zeit Musik- Mekka: DAF, Philip Boa, Fehlfarben, sie kommen her, weil sie in der Stadt eine Szene vermuten. Bis diese aus der einen Disco fast geschlossen abwandert.
Es bleibt der Platz in der Pop-Geschichte. Und heute eine farbenfrohe Ausstellung mit 1000 Bildern und Exponaten. Bis zum 23. September gibt es Bravo-bunte Schautafeln und Collagen, man merkt, dass Heike Wahnbaeck nicht nur manische Sammlerin (sie zeigt Nena-Bilder, die dem Vernehmen nach nicht einmal Nena alle kennt), sondern auch gelernte Grafikdesignerin ist. Woher sie das alles hat? Sie war befreundet, später verheiratet mit dem Gitarristen von Extrabreit. One-Disco-Town.