Haldern. . Die NRZ stellt die nächsten Bands vor, die beim 35. Haldern-Pop-Festival spielen. Heute im Blickpunkt: Kettcar, Villagers oder Mario Batkovic.

Die NRZ liefert das vierte Paket an Bands, die beim 35. Haldern Pop Festival vom 9. bis zum 11. August, auftreten werden.

Zur Erklärung: Für jede Band haben wir ein Erlebnispotenzial bewertet. Über Geschmack lässt sich streiten, deshalb versuchen wir gar nicht erst die Qualität der Musik zu bewerten. Das soll jeder Zuhörer für sich selbst tun. Wir versuchen mit dieser Wertung einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass dieses Konzert für Sie zum Erlebnis werden kann.

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Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Ist die Musik leicht zugänglich? Gibt’s Ohrwürmer? Ist es eher eine Nischenband? Inwieweit kann die Band am jeweiligen Spielort gut funktionieren? Wir haben es uns nicht leicht gemacht und trotzdem werden wir sicher nicht immer recht haben. Es ist eine bescheidene Entscheidungshilfe.

Und hier geht’s gleich um eine sehr bekannte Gruppe:

Kettcar (Sa., Hauptbühne): Die Hamburger Rockband macht das geschickt. Ihre Musik ist einfach gehalten, melodisch, radiotauglich. So verschaffen sie sich niederschwellig Gehör. Und das ist gut so, denn ihre Texte haben Gewicht. Der Gruppe um Frontmann Marcus Wiebusch gelingt eine beeindruckende Gesellschaftskritik. Sie nutzen die Aufmerksamkeit, die Kultur, und Musik im Speziellen, bekommen kann. In dieser Hinsicht ist das Album „Ich vs. Wir“ (2017) ein Meisterwerk.

Auch die vier Alben davor haben in diese Richtung schon viel erreicht. Mit Liedern wie „Landungsbrücken raus“, „Deiche“, „Graceland“ oder „Money Left To Burn“ haben Kettcar auch einige Hits zu bieten, die bei einer großen Masse für einen Mitsing-Effekt sorgen können. Musik als: musikalisches Gesellschafts-Manifest. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Fortuna Ehrenfeld bekommt einen Hauptbühnen-Auftritt. Foto: Haldern Pop Fortuna Ehrenfeld (Sa., Hauptbühne): Martin Bechler spricht die Alltagssprache der Straße. Einfache Worte neu zusammengesetzt – das kann auch mal Poesie werden. Elektro-Orgel, Klavier und Akustikgitarre lassen diesen Texten Raum. Es ist ein Gefühl, eine gewisse Romantik, die Bechler mit seiner rauen, fast gehauchten Stimme da erzeugt. Wie der von ihm besungene „Kopfsprung in dein Hundeherz“.

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Der Elektro-Pop/-Rock greift einfache Mittel auf, bleibt niederschwellig und somit massentauglich. Ohne die Texte und Bilder im Kopf, die Fortuna Ehrenfeld erzeugen, würde die Musik kaum auffallen. Musik für: die analogen Zuhörer in einer digitalen Welt. Erlebnistpotenzial: 3/5 Sterne.

Hörprobe: „Zuweitwegmädchen“

The Inspector Cluezo holen ihren im Vorjahr abgesagten Auftritt beim Haldern Pop nach. Foto: Haldern Pop The Inspector Cluzo (Do., Hauptbühne): Zweiter Versuch. Nach einer kurzfristigen Absage 2017 soll es diesmal klappen mit den griffigen Gitarrenriffs und den exzessive Saitensoli, die die Franzosen bevorzugt spielen. 2018 ist das Album „We the People of the Soil“ erscheinen. Gitarre und Schlagzeug erzeugen einen vollmundigen Sound. Sänger Laurent Lacrouts singt rotzig, teils albern hoch. Falls jemand den Bass vermisst, der Bassist kam nicht zu den Proben und wurde rausgekickt, was der Musik keinen Abbruch tut. Musik für: Gitarrensoli-Liebhaber. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „A Man Outstanding in His Field“, „Cultural Misundestanding“

Mario Batkovic & Friends (Do., Hauptbühne): Was der in der Schweiz lebende Bosnier alleine seinem Akkordeon entlockt, haben Haldern Pop Fans schon erleben dürfen. Das ist Hexerei! Doch diesmal bringt er Freunde mit. Vielleicht bekommt die sonst instrumentale Musik ja auch eine Stimme. Beim Kaltern Pop Festival im Herbst deutete Batkovic an, dass er in solchen Kollaborationen brillieren kann. Gerne mehr davon.

Der immer charismatischer wirkende Musiker kann seinem Instrument sehr unterschiedliche Klänge entlocken. Auch sehr untypische Stilrichtungen, sogar fast techno-artig, können das Resultat sein. Die Lieder benötigen keine wiederkehrenden Themen, sie erzählen Geschichten mit Höhen und Tiefen, sind ständig im Wandel, wechseln plötzlich das Tempo. Musik für: Jene, die ihr Spektrum erweitern wollen. Erlebnispotenzial: 5/5 Sterne.

Hörproben: „Quartere“, „Restrictus“

Protomatyr lassen das Wüten nicht enden. Foto: Daniel Topete Protomatyr (Sa., Hauptbühne): Die Post-Punk-Formation aus Detroit lässt auch Noise Rock und Garage einfließen. Frontmann Joe Caseys singt seinen Bariton rotzig, fast genervt, manchmal nah am Sprechgesang – da staut sich was an. Die Gitarren, mal treibend, mal exzessiv dominieren den Sound, die Saitenwucht wird durchaus dosiert eingesetzt. Aber auch die Rhythmen wirken.

„Ekstatisch, assoziativ, dramatisch – eine Kreuzung aus The National, dem frühen Nick Cave und The Fall“, heißt es bei Haldern Pop. „Das Wüten nimmt kein Ende“ titelt zudem das Musikmagazin Spex. Ein Happy-End ist in ihrem Konzept nicht angebracht. In diesem Jahr veröffentlichte Single „Wheel of Fortune“ ist zu empfehlen. Musik für: den postkapitalistischen Punk. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „A Private Understanding“

Villagers (Fr., Hauptbühne): Kann man sich an Conor O’Brien satt hören? Schließlich war der irische Folkmusiker schon häufig beim Haldern Pop. Und doch kann die Antwort nur lauten: Nein. Diesmal wird er am Abend einer der Hauptacts sein. Er wird die Lieder seines für September angekündigten vierten Albums „The Art of Pretending zu Swim“ zu Gehör bringen. Mit „A Trick of the Light“ hat er einen vielversprechenden ersten Song veröffentlicht.

Live überzeugt Villagers durch eine besondere Emotionalität der Lieder. Sowohl im intimeren Rahmen eines Spiegelzeltes als auch auf der größeren Hauptbühne hat O’Brien bewiesen, dass er diese Stimmungen herüber bringen kann. Lieder wie „Nothing Arrived“ oder „Becoming a Jackal“ berühren die Seele eines jeden Zuhörers, der auch nur annähernd diese Art von Musik mag. Musik für: Momente, in denen man Gefühle zulässt. Erlebnispotenzial: 5/5 Sterne.

Jenny Lewis ist schon seit den 90ern als Musikerin unterwegs. Foto: Haldern Pop Jenny Lewis (Sa., Hauptbühne): Durch ihre Eltern, zwei Entertainer in Las Vegas, war die US-Musikern als Kind in Werbespots zu sehen und wurde zum Kinder-Filmstar. Musikalisch erntete sie erste Meriten als Gründerin der Gruppe Rilo Kiley in den 90ern. Kollaborationen mit diversen anderen Formationen kamen auch hinzu.

Inzwischen ist sie Solo unterwegs. Mit „The Voyager“ ist 2014 ihr drittes vollwertiges Solo-Album erschienen. „Intimer Country-Rock und Lagerfeuer-Balladen aus dem alten Amerika, in der die wohlige Nostalgie noch hoffnungsvoll gefärbt ist“, urteilt Haldern Pop. Auch Pop-Einflüsse sind nicht zu verkennen. Ein bisschen Americana und Indie runden es ab. Musik für: die amerikanischen Momente. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Just One of the Guys“, „She’s Not Me“

Jonas David(Sa., Jugendheim): Dieser Auftritt ist erst kürzlich noch ins Programm gerutscht. Der Wuppertaler ist beim Haldern Pop Festival etwa schon mit der Superband Tour of Tours im Spiegelzelt aufgetreten. Die EP „Five Stones“ (2017) ist auch bei Haldern Pop Recordings erschienen. Vor allem sanfte, unaufdringliche Melodien bringt David zu Gehör, aber auch satte Pop-Hymen sind in seinem Repertoire. Musik für: die Tagträumer. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Stay For“, „All I Know“

Infidelix (Do., Pop Bar): Der US-Rapper Bryan Rodecker hat als Straßenmusiker in Berlin auf sich aufmerksam gemacht. Der Straße fühlt er sich nach wie vor verbunden. Denn auf ein ehrliches Zusammenwirken von Künstler und Publikum legt er wert. In der Pop Bar wird er sicher auch ganz nah am Zuhörer sein. Seine Texte sprechen alle relevanten Emotionen an, die jeder nachfühlen kann.

Die jüngst veröffentlichte Single „Lost“ ist fast schon eine Ballade und grenzt sich dadurch etwas vom derben, beatlastigem Rap auf dem Album „Busk Life“ (2017) ab. Seine rauchige Stimme verleiht seinem Rap Charakter. Musik für: Jene, die den Straßenbeat fühlen wollen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörprobe: „Gold“

Public Service Broadcasting (Do., Hauptbühne): Die britischen Soundtüftler füttern ihre instrumentalen Stücke mit Radio- und Film-Samples an. Wäre die Nasa eine Band, würde sie womöglich so klingen. Klingt nach Sci-Fi-Pop-Rock. Der Zuhörer lässt sich durchs Universum treiben. Live klingt das alles etwas rockiger und wird mit Licht- und Bildinstallationen entsprechend untermalt. Zuletzt ist das sechs Stücke starke Werk „People Will Always Need Coal“ im April erschienen. Wer die Musik zuvor etwas zu experimentell empfand, wird hier vielleicht eher einen Zugang finden. Es klingt musikalisch reifer. Musik wie: Unterhaltungsphysik. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörprobe: „People Will Always Need Coal“, „They Gave Me a Lamp“

Nils Frahm, ein Pionier der Neo-Klassik. Foto: Alexander Schneider Frahm (Fr., Hauptbühne): „All Melody“ lautet der Titel seines dieses Jahr veröffentlichten siebten Albums. Und der Name ist Programm. Ausgehend von einer zeitgenössischen Klassik schwingt der Hamburger Komponist und Pianist meist in sanfte elektronische Clubmusik hinüber. Die epischen Stücke führen den Zuhörer langsam in die Kernstimmung ein. Unbereinigte, atmende Klavierklänge sorgen für eine gewisse Haptik, Choräle und Synthesizer für Bewegung. Kritiker sehen Nils Frahm, der als Klangperfektionist gesehen werden darf, als einen Pionier der Neo-Klassik an. Musik für: Klangabenteurer. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörprobe: „All Melody/Resident Advisor“, „Says“

Hannah Williams & The Afirmations(Do., Jugendheim): Wer auf Sixties-Soul steht, wird diese Retro-Musik lieben. Die Stimme der Britin bringt alles mit, was man sich für diese Stilrichtung wünscht: die pure Emotion, eine gepeinigte Energie und das mit einem rauchigen Beigeschmack. Daneben überzeugen auch die starken Bläsern, die tänzelnden Beats, und die schlitzohrigen Gitarren. Nach dem Album „Late Nights & Heartbeat“ in 2016 darf nun gerne etwas Neues folgen. Vielleicht bringt die Formation ja in Haldern schon ein paar neue Lieder zu Gehör. Musik für: die groovige Tanzparty. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Late Nights & Heartreak“, „Dazed & Confused“

Matteo Myderwyk (Sa., Tonstudio): Der Pianist aus Amsterdam hat bei seinem 2017 erschienenen Debütalbum „To Move“ nur mit groben Ideen in zwei Tagen den Tonträger improvisiert eingespielt. Erst mit 14 hat er das Piano für sich entdeckt. Vielleicht liegt seine Kreativität in der Komposition in dem späten Start begründet.

In diesem Jahr hat er mit „Verses“ nachgelegt. Zu hören sind pure Piano-Klänge, die in eine sehr entspannte Atmosphäre entführen. Die Musik könnte man auch begleitend hören. Für ein Pop-Publikum fehlen vielleicht die Höhen und Tiefen in den Melodien. Musik für: Jene, die das Instrument in seiner Reinheit lieben. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „To Move“, „Ab Major“

Canshaker Pi (Fr., Spiegelzelt): Wenn das Quartett die Bühne betritt, dann kann es wild werden. Ihr Indie-Rock geht voran, bleibt im Ohr, macht Laune. Gitarre, Bass, Schlagzeug, eine funktionierende Stimme – was braucht man mehr für Rock’n’Roll? Verzerrte Riffs und brutale Schrammeleien geben dem Sound neben den melodiösen Elementen auch Ecken und Kanten – so fangen sie Indie-Fans an beiden Enden des Spektrums ab.

Stephen Malkmus, Kopf der 90er-Lo-Fi-Indie-Formation Pavement, unterstützte bei der Produktion des Debüt-Albums. Wie passend, seine Tradition setzen die Amsterdamer durchaus fort. Musik für: Indie-Umwege. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „No Sack, No Way“, „Shaniqua“

Moncrieff, Musiker / Band beim Haldern Pop Festival Foto: Haldern Pop Moncrieff(Do., Pop Bar): Im Londoner Untergrund hat sich der irische Liedermacher mit Live-Konzerten getummelt. Langsam bringt der Soul- und Blues-interessierte Musiker erste Kostproben seines Könnens ins Netz. Sir Elten John hat ihn für seine Single „Symptoms“ geadelt.

Die modernen Pop-Stücke des einstigen Adele-Background-Sängers umgarnen seine starke Tenor-Stimme, halten eine gefühlsbeladene Energie vor. Auch Blues- und Trip-Hop-Elemente fließen ein. Er nennt seinen Stil Neonoir Soul. Ansonsten darf man gespannt sein, was der Engländer noch bietet. Musik für: die Wundertüte. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Serial Killer“

Love A (Sa., Spiegelzelt): Das Indie-Punk-Quartett spricht eine deutliche Sprache. Es ist eine Anklage gegen die Gesellschaft. Ihre Musik ist gradlinig, ehrlich, voller Elan. Das Rezept ist kein Hexenwerk, folgt mit Gitarre, Bass, Schlagzeug eher Altbewehrtem. So bleibt mehr Aufmerksamkeit für die Botschaften, die Sänger Jörkk Mechenbier verkündet.

Das 2017 veröffentlichte Album „Nichts ist neu“ verschaffte der seit 2010 bestehenden Gruppe erstmals eine Chart-Wahrnehmung: Platz 36 der Albumcharts in Deutschland. Die Bühnen-Wahrnehmung der Band war vorher schon gewährleistet. Musik für: den Gitarrenwahnsinn. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Nichts ist leicht“, „Toter Winkel“