Am Niederrhein. . Claus van Bebber erlebte als Teenager Beuys, träumte davon Künstler zu werden und eine Landkommune zu gründen. Das mit der Kunst hat geklappt.
Er sitzt ruhig vor seiner Tür, auf dem mächtigen Treppenabsatz, der zum Eingang von Haus Trostendahl führt, die mächtigen Flügeltüren sind geöffnet, neben dem alten Klappstuhl eine Tasse Kaffee. Claus van Bebber wendet den Blick von der Eiche zu dem Besucher – zufällig kommt hier sowieso kein Mensch vorbei. Das Gut, es wirkt wie eine Insel in der Zeit. Wobei: Gut geht’s dem Gut nicht. Die Fenster sind einfach verglast, Efeu rankt sich das Fallrohr empor bis zum Dach, das Gemäuer hat Risse, das Geländer zum Eingang, schmiedeeisern, trotzt noch Wind und Wetter, doch das Holz des Handlaufs sieht aus wie ein verwitterter Knochen.
Auch Claus van Bebber ist einer, der schon verwittert ist, 68 Jahre, Künstler, Autodidakt und jetzt derjenige, der das Haldern Pop Festival eröffnen wird. „Ich weiß nicht, ob denen das so gefallen wird“, sagt van Bebber.
Position beziehen statt Patriotismus zeigen
Doch es kann ebenso gut sein, dass er den Ton trifft. Diesen einen Grundton, der den Machern des Haldern Pop so wichtig ist: Dass auch Hierbleiben seinen Wert hat, genauso wie Fortgehen. Und wiederkommen. Hierbleiben, Position halten, das ist nicht so prätentiös wie Patriotismus und Heimatstolz, sondern so sachlich, wie es Claus van Bebber beschreibt. Wer auf seiner Internetseite den Unterpunkt „Vita“ anklickt, findet zunächst als ersten Satz: „Am 18.12.1949 am Niederrhein geboren und dageblieben. Autodidakt“.
Künstler eben. Und das als Beamtensohn. Aber eben geboren in Kranenburg – der Heimat der Gebrüder van der Grinten, der Beuys-Sammler und Entdecker. Und – noch so ein lakonisches Fundstück, dieses Mal aus Wikipedia: „Ein weiterer Kontakt zu Joseph Beuys ergab sich, als dieser das Grabmal der Familie van der Grinten im Keller der Familie van Bebber bildhauerisch bearbeitete. Claus van Bebber schaute dabei zu.“
Und er entdeckte: „Diese Künstler sind lustige Leute – und haben viele Freiheiten.“ Vater van Bebber bestand nun auf einer Lehre, doch nach der Bundeswehrzeit („Dass man auch verweigern konnte, hatte sich bis Kranenburg noch nicht herumgesprochen.“) kehrte er nicht als Notariatsgehilfe in die Kanzlei zurück. Sondern wurde Schaufensterdekorateur. „Das haben die im Arbeitsamt wohl allen gesagt, die als Berufswunsch Künstler angaben“, sagt van Bebber heute.
Ein Jahr voller Konzerte und Träume
Doch neben der bildenden Kunst hat vor allem die Musik ihn fasziniert. Kneipenbands, Pilgerreisen zu den ersten Moerser Jazzfestivals, das erste eigene Trio, die Van Bebber-Schmidt-Thelosen-Kombination, die mit Freejazz den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie Newcomer gewann, auch weil sie exakt die geplanten 20 Minuten spielten. „Ich hatte einen großen Wecker mitgebracht und gesagt: Wenn der klingelt, hört jeder auf, der ihn hört.“ Ein Jahr voller Konzerte und dem Traum, es ginge weiter so und dann die Erkenntnis: Man ist nur einmal Newcomer.
Doch die Musik ist van Bebber, der als bildender Künstler auf Zeche Carl in Essen arbeitete, auf der Documenta und der Biennale, treu geblieben. Bei einem Stipendium in Bielefeld stieß er auf alte Grammophone. Und experimentierte mit Schallplatten – bevor es Discjockeys in großem Stil gab.
Mittlerweile hat er dutzende der alten Grammophone. „Kristallnadel“, sagt er. „Keine Magnettonabnehmer“. Der Klang lässt sich direkt durch Effektgeräte jagen. Bis zu fünf der alten Schallplattenspieler setzt er für seine Auftritte ein. Vier Geschwindigkeiten, zwischen 16 und 78 Umdrehungen, vorwärts und rückwärts – das bieten die Geräte, und van Bebber hat mittlerweile Kontakte zu einem Schallplattenmacher, der ihm eigene Scheiben schneidet.
Vorher arbeitete er mit Vorgefundenem: in der Kunst wie in der Musik. Scheiben vom Flohmarkt, Geräusche für Hobbyfilmer, Demoschallplatten. Klänge, die ihn faszinieren. Daraus macht er seine Musik, seine Klangkulissen. Und wer Ohren hat, wird den Klang der Heimat wiederfinden, den weiten Himmel, den van Bebber vermisst, wenn er auf Reisen ist. Den Himmel über dem Gut, das von der Geschichte vergessen scheint und von der Zeit allmählich zerrieben wird. Hier ist van Bebber die längste Zeit seines Lebens geblieben.
Über Umwege hat er den alten Gutshof aufgestöbert, der Pastor stellte Kontakt zu den Eigentümern her, die das Gebäude verfallen ließen, bis Gutachter ihnen sagten: „In fünf Jahren deckt der Wert nicht mal mehr die Abbruchkosten.“ Van Bebber und seine Freunde durften einziehen, zehn Jahre später als sonst im Land entstand in der Oy, in der Ebene zwischen Kalkar, Appeldorn und dem Rhein, eine Künstler-WG.
Selbst Gemüse ziehen, ein paar Tiere halten, autark sein, das war der Plan. „Einer hat uns gesagt: Wer den Dreschflegel ergreift, kann die Geige vergessen“, sagt van Bebber, „Haben wir ihm nicht geglaubt, aber er hat recht gehabt.“ Wie viel Kunst ist möglich, wenn man gleichzeitig Bauer sein will? Zu wenig, entdeckten die meisten Mitstreiter und gingen wieder. „Heute lebt noch ein Mann bei mir, der baut seit 14 Jahren an seinem eigenen Boot“, sagt van Bebber. Wenn er fertig ist, wird er in See stechen. Van Bebber wird dableiben.