Bocholt. . Am 27. Januar gedenkt Deutschland der Opfer der NS-Zeit. Eine Ausstellung beleuchtet ein kaum bekanntes Kapitel der Nachkriegszeit: Transit-Camps

Es sieht aus wie Dutzende Wäldchen im Westmünsterland: ein kleiner Hain. Birken, Buchen, zwei Generationen alt, einige frisch von Friederike gefällt. „Stadtwald“ heißt der Ort, gut vier Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums von Bocholt. Doch ein deutscherer Wald ist kaum denkbar. Zwischen 1935 und 1959 war hier ein Lager, dessen Geschichte widerspiegelt, wie brutal und blutig die Geschichte jener wenigen Jahrzehnte war – neunmal bekam der Platz eine neue Verwendung.

Eine der kürzesten und fast vergessenen Kapitel der Lagergeschichte: Von Bocholt aus brachen schätzungsweise 5000 Juden auf ins gelobte Land – in den Jahren 1947 und 1948.

Diese Geschichte rückt das Bocholter Stadtmuseum jetzt in den Fokus. „Das ist selbst bei den älteren Bocholtern kaum mehr präsent“, sagt Hermann Oechtering, einer der beiden Ausstellungskuratoren. Sie meinen: Es liegt daran, dass in den ersten Nachkriegsjahren die Menschen in Bocholt wie überall damit zu tun hatten, selbst wieder auf die Füße zu kommen.

Drei Monate im KZ – Anspruch auf mehr Maisbrot

Vielleicht aber wollten sie nicht so genau hinsehen – aus Scham und Schuld. Kamen hierher die Menschen, die die Vernichtungslager überlebt hatten oder im Untergrund vor den Nazis gezittert hatten. Immerhin: Die deutsche Nachkriegsverwaltung gab sich großzügig: Wer nachweisen konnte, dass er mehr als drei Monate im KZ war, bekam ein Drittel mehr Kalorien zugeteilt.

Doch die britischen Kontrolleure stellten fest: dass das aus Futtermais gepanschte, nicht durchgebackene Brot „für den menschlichen Verzehr kaum geeignet ist“. Dabei, so die Briten, müssten die Menschen zu Kräften kommen, weil ihnen die lange Reise nach Palästina bevorstand. Denn – wer könnte es ihnen verdenken? – die meisten Juden wollten weg.

Josef Niebur (mitte) und Hermann Oechtering haben die Ausstellung „Das Tor nach Palästina“ kuratiert. Rechts Museumsleiter Georg Ketteler.
Josef Niebur (mitte) und Hermann Oechtering haben die Ausstellung „Das Tor nach Palästina“ kuratiert. Rechts Museumsleiter Georg Ketteler.

Eines der großen Probleme nach Kriegsende: Es gab rund 6,5 Millionen „Displaced Persons“ in der späteren Bundesrepublik: Kriegsflüchtlinge, Zwangsarbeiter, Vertriebene – und rund 350 000 jüdische Menschen. Viele von ihnen wollten nach Palästina.

Damit brachten sie die Besatzungsmacht in die Bredouille. Bocholt lag, wie ganz NRW, in der britischen Besatzungszone. Doch dem Exodus stand das britische Mandat über Palästina im Wege: Die Briten wollten es sich mit den Arabern ringsum nicht verscherzen, reglementieren die Einreise sehr streng.

Die Juden mussten warten. Beispielsweise in Bocholt – dem vermutlich einzigen Lager für ausreisewillige Juden im heutigen NRW. „Palestine Transit Camp“ hieß es für die Juden, die dort in Baracken wohnen mussten, von denen die Briten direkt einräumten, dass sie kaum winterfest seien. Pappkartons, an Pfosten genagelt, bildeten die Zwischenwände. Und nebenan im Lager hausten ehemalige Killer: in Dänemark gefangen genommene Mitglieder der WaffenSS.

Die im Camp untergebrachten Jugoslawen nahmen den Juden die Thora. Das war dem britischen Lagerkommandaten zu viel: Er strich die Tabakration, bis die heilige Schrift wieder da war. Ganz allmählich immerhin ging es weiter: 375 Menschen durften monatlich aus dem Camp ausreisen. Mit dem Zug ging es von Bocholt über Köln und Saarbrücken nach Marseille und von dort aus per Schiff ins gelobte Land.

Doch nicht alle Juden gingen. Jeanette Wolff beispielsweise entschied, im Land der Täter zu bleiben. Die Bocholterin saß für die SPD im Bundestag, wurde Vize-Vorsitzende des Zentralrates der Juden. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

>>>PFERDERENNBAHN, BUNDESWEHRAREAL

Die einstige Pferderennbahn wurde 1935 zum Lager der „österreichischen Legion“, Nazis, deren Putsch gescheitert war und die fliehen mussten. Ab 1939 übte dort der NS-Reichsarbeitsdienst, ab 1940 wurden Kriegsgefangene untergebracht, 1736 Russen kamen dort um. 1945 wurden die Patienten des Bocholter Krankenhauses dorthin evakuiert.

Nach der Befreiung brachten die Briten dort ihre Kriegsgefangenen und ab 1947 die Juden unter, es folgten 1950 Flüchtlinge aus Russland und 1956 aus Ungarn, als dort der Aufstand scheiterte, von 1959 bis 1976 diente es der Bundeswehr als Armeegelände, seit 1980 ist es ein Park, seit 1987 erinnern die Gedenkstelen an die wechselvolle Geschichte.

Die Ausstellung im Stadtmuseum Bocholt, Osterstr. 66, wird eröffnet am Montag, 29. Januar um 19.30 und ist bis zum 4. März dienstags bis sonntags (11-13, 15-18 Uhr) zu besichtigen.