Hamm. . Und das alles nur, weil Paskaran Amuguram auf dem Weg von Ost-Berlin nach Paris Hunger bekam und ihm ein Landsmann sagte, dies sei ein guter Ort.
Eín Gewerbegebiet wie tausende in Deutschland. Würde hier, in Hamm-Uentrop nicht ein bunter Turm aus der Halle ragen, die aussieht wie beinahe jede Lagerhalle. Drinnen jedoch, auf dem gefliesten Boden, herrscht erstens Leere und zweitens ein halbes Dutzend Göttinnen – und ein Flair von Asien und Spiritualität. Ausgerechnet in Uentrop hat sich ein Hindu-Wunder abgespielt. Hier steht der zweitgrößte Hindutempel Europas. Und xx Paskaran hat ihn gewissermaßen erfunden und errichtet.
Was ich persönlich sehr schön finde: Sie haben einen Tag, an dem fasten die Frauen, damit die Männer gesund bleiben. Wie funktioniert so etwas?
Das hängt mit unserem Glauben an Lakshimi zusammen. Die Frauen beten jeden Tag, aber dieser Festtag ist etwas Besonderes, da fasten und verehren die Frauen Lakshimi. Diese Göttin ist für den Haushalt zuständig und dafür, dass es dort Geld, Gold und Lebensmittel gibt. Sie sorgt auch dafür, dass es dem Haushaltsvorstand, also dem Mann gesundheitlich gut geht. Morgens wird die Göttinnenstatue an diesem Tag gewaschen, es wird ihr zu Ehren ein Mantra gespielt und sie wird mit einem goldenen Band geschmückt – das wird an diesem Tag gewechselt, so dass es jedes Jahr ein neues Band gibt.
Gibt es auch den umgekehrten Tag? An dem die Männer fasten, damit es ihren Frauen gut geht?
Eigentlich ja. Bei Männern ist das an jedem Tag, dass sie für die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Familie und der Frau beten. Am Hochzeitstag zum Beispiel laufen die Männer dreimal um das Feuer der Göttin und sagen: Du bist das Glück, die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Familie. Sie sagen auch: Es ist wichtig, dass meine Frau gesund ist und ich auch, damit ich jeden Tag hierher zum Gebet kommen kann.
Ich habe gelesen: Es gibt nicht den Hinduismus, sondern viele Ausprägungen der Religion, die unter diesem Oberbegriff zusammengefasst werden. Wie sind die Hindus ausgerichtet, die hierher kommen?
Glauben müssen wir alle, egal ob Moslem, Katholik oder Evangelisch. Aber da ist das Göttliche oft etwas, das neben dem Weltlichen steht. Bei uns Hindus ist das etwas anderes: Wir haben einen starken Glauben, der uns sagt: Gott ist alles und in allem. Wir glauben, dass das Leben wie eine Linie ist. Und diese Linie laufen wir entlang. Das führt unter anderem dazu, dass wir uns nicht in das Glaubensleben anderer einmischen. Wir respektieren jeden anderen Glauben, jede andere religiöse Ausrichtung. Es gibt nicht so etwas wie: Katholisch ist besser als evangelisch oder Moslem zu sein, ist richtig und alles andere ist falsch. Für uns ist alles in einem Gott und Gott in allem. Deswegen müssen wir auch nicht zu Gott nach oben gucken, wie in fast allen anderen Religion.
Das Leben ist eine Linie, die wir entlang gehen, sagen Sie. Das klingt, als ob wir daran nicht viel ändern können.
Nein, das ist schwierig. Wenn du dich veränderst, ist das auch in deiner Linie enthalten. Wir hatten heute für 16.30 Uhr den Termin vereinbart. Aber wir haben uns erst um 17 Uhr getroffen. Weil das in unseren Linien so stand. Es geht halt nicht eine Minute eher.
Ich würde sagen. Weil wir beide im Stau standen.
Aber das sind die Linien. Ich kann sagen, ich bin zu spät, weil ich noch mit meiner Frau reden musste oder weil ich im Stau stand. Aber es kann sein, dass es an 365 Tagen keinen Stau gibt und keinen Streit mit der Frau, aber an einem Tag passiert es dann doch und man kann nichts daran tun.
Führt dieser Glaube nicht dazu, dass ich alles geschehen lasse, weil ich denke, alles ist vorherbestimmt und ich kann ohnehin nicht frei handeln?
Ein wenig, aber das hat keinen so großen Einfluss. Wenn es ein großes Loch auf einem Weg gibt, dann gibt es Menschen, die sagen: Oh Vorsicht, da sind Löcher auf dem Weg! Und andere achten darauf und fallen nicht hinein. Und es gibt Menschen, die hören nicht zu, sagen bloß „Weiß ich“ und sind dann plötzlich in diesen Löchern drin. Man muss aufpassen, die Augen öffnen und zuhören, dann verändern sich unsere Linien. Aber wenn ich schlafe, dann laufen die Linien weiter. Und es gibt plötzliche Ereignisse, die unsere Lebenslinien durcheinander bringen.
Welche Menschen kommen zu ihnen in den Tempel? Wer betet hier und wann beten sie?
Zur Tempelstunde. Ich bin hier Vorsitzender und Hauptpriester und es gibt hier täglich dreimal eine Zeremonie, am Vormittag, mittags und abends. Besondere Zeremonien gibt es am Dienstag und am Freitag, das sind die heiligen Tage unserer Religion. Aber die meisten Gläubigen kommen am Wochenende, von freitags bis sonntags. Weil sie da frei haben und es einrichten können. In Indien oder Sri Lanka sind dienstags und sonntags die heiligen Tage. Zu den normalen Zeremonien an den Werktagen kommen 30 bis 40 Leute, an Sonn- und Feiertagen 100 bis 150 Menschen. Zusätzlich gibt es einmal pro Jahr ein 15-tägiges Festival und am letzten Tag dieses Festivals kommen aus ganz Europa 25000 bis 30000 Menschen hierher zu einem großen Umzug. Das ist das Wichtigste.
Müssen Sie sich auf die Zeremonie besonders vorbereiten?
Nein, nicht unbedingt. Und heute ist es ein anderer Vorbeter, der die Gebete auf Sanskrit spricht.
Und das alles, weil Sie eines Tages gesagt haben: Ich gründe hier einen Tempel.
Ich habe das nicht gesagt. Aber die Leute kommen hierher. Wenn jemand irgendwo auf einem Dorf sich ein Arzt niederlässt und die Leute kommen und werden dort geheilt, dann erzählen diese Menschen zuhause, was ihnen passiert ist. Sie sagen: Das ist ein guter Arzt und das ist ein guter Ort. Und dann kommen diese Menschen hierher – und das ist freiwillig. Ich biete den Menschen meine Hilfe an und berate die Menschen, was sie tun können. Und zudem gibt es hier ringsrum viele freie Parkplätze.
Wie sind Sie nach Hamm gekommen?
Ich kam 1985 hierher. Ich war damals in Ostberlin, DDR, und wollte Auswandern nach Frankreich, weil das ein guter Ort ist, um Geld zu verdienen. Ich bin mit dem Zug gefahren, hatte kein Geld und nichts zu essen, hatte Hunger und bin deswegen hier in Hamm ausgestiegen. Ein Mitbürger aus SriLanka hat mich angesprochen und gesagt: Hier ist auch ein guter Ort zum Leben und Lernen. Und deswegen bin ich hier.
Wie fängt man dann an? Wie gründet man einen Tempel?
Zu Anfang hatte ich ja keine Ahnung. Wo ist das Bauordnungsamt? Wo bekomme ich welche Erlaubnis? Wen muss ich ansprechen? Von 1985 bis 1992 habe ich mich damit beschäftigt, habe einen Dolmetscher besorgt und versucht diese Dinge zu klären.
Aber Priester waren Sie schon?
Ja, ich stamme aus einer Priesterfamilie auf Sri Lanka und wurde in Indien ausgebildet. Ich hatte in unserer Heimat einen eigenen Tempel. Aber in unserer Heimat herrschte Bürgerkrieg und deswegen haben meine Eltern gesagt, als ich 22 oder 23 Jahre alt war, bevor dich die Armee erwischt und weil wir eine arme Familie sind, musst du nach Europa gehen.
Deswegen bin ich in die DDR geflüchtet. Anfangs habe ich auch nicht gedacht, dass ich so lange bleiben würde. Meine Vorstellung war: ich bleibe so drei, vier Jahre und dann kann ich zurückgehen in meine Heimat, wenn sich dort die Probleme erledigt haben. Aber die Probleme in meiner Heimat sind eigentlich ständig größer geworden und deswegen bin ich immer noch hier.
Haben Sie Familie? Kinder? Wie sieht ihr Alltag aus?
Ja, sicher. Priester haben einen normalen Familienstand, ich habe zunächst eine Ausbildung gemacht, seit ich neun Jahre alt war. Später wird man ausgebildet und macht dann vor einem Hauptpriester seine Prüfung und bekommt eine Urkunde. Das war in Indien. Heute kommen viele Menschen hierher, die Fragen haben und denen ich helfen soll. Manche Fragen lassen sich schnell klären, andere sind schwieriger. Und manchmal ist es auch schwierig, die Wahrheit zu sagen. Und wenn ich lügen würde, hätte ich wieder ein Problem.
Also ist Ihre Rolle als Priester auch die eines Ratgebers auch in psychologische Problem.
Richtig. Die Menschen kommen, wenn sie Schwierigkeiten mit ihren Kindern haben, bei Erziehungsfragen, bei Fragen zum Studium. Da muss ich dann auch Rat geben. Aber der Hauptpunkt ist die heilige Arbeit als Priester.
Was muss ich tun, wenn ich Hindu bin? Gibt es Vorschriften oder Rituale, an die ich mich halten muss?
Viele. Es gibt Rituale für die Hochzeit, für die Schwangerschaft, für die Geburt, dann ein Monat danach die Hauszeremonie. Bei Mädchen gibt es die Ohrenzeremonie, dann gibt es die „Erster-Zahn-Zeremonie“, die „Erster Buchstabe-Zeremonie“ und so weiter...
Buchstaben-Zeremonie?
Ja, wenn das Kind in die Schule geht und beginnt, schreiben zu lernen. Wir haben hier viele Zeremonien: Heute eine Hochzeit, morgen wieder eine Hochzeit und übermorgen auch.
Die Farbe Orange hat bei Ihnen offenbar eine besondere Bedeutung.
Ja. Für Jungen gibt es normalerweise die Farbe Weiß für die Kleidung. Aber wenn jemand in einen Orden eintritt, in unserem Fall in den Orden der Göttin Sri Kamadchi, dann gibt es diese Ordensfarbe.
Wählen Sie sich eine Gottheit aus – oder hat die Gottheit Sie ausgewählt?
Menschen können sich ihre Götter nicht aussuchen. Gott entscheidet, wen er will. Unser Gott Hindu hat so viele Namen. In Indien gibt drei oder vier wichtige Gottheiten. Kamadchi, Ninadchi, Shaladchi. Die Endsilbe Adchi steht für König oder Königin. Ich habe diesen Tempel für Kamadchi errichtet. Der Haupttempel für diese Gottheit steht in Indien in Kanshipuram. Kennen Sie den?
Ich war noch nicht in Indien.
Jeder muss einmal nach Indien.
Wenn man sich die Liste mit Ihren Feiertagen und den ganzen Göttinnen und Götter anschaut, das sieht erstmal sehr verwirrend aus.
Ja, jeder Gott hat tausend Namen. Vor 5000 oder 7000 Jahren gab es einen großes Buch, in dem diese Namen beschrieben sind. Das ist die Heilige Vehda. Das war ist unser heiliges Buch wie die Bibel oder der Koran. Danach richten wir unsere Arbeit aus.
Gibt es auch Menschen, die keine indischen Wurzeln haben und hierher kommen?
Es kann jeder herkommen, egal ob er Beitrag zahlt oder nicht, ob er Hindu ist oder nicht. Aber die Zeremonie findet so oder so statt.
Wie finanzieren sie sich?
Durch Spenden. Aber unsere Gemeinde ist jetzt als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt und das wird uns das erleichtern.
Der Hinduismus hat so schöne Farben. Wie kommt das?
Das ist unsere Kultur. In Indien gibt es viele Blumen, die Frauen tragen sie in den Haaren. Hier gibt es zwar auch Blumen, aber es ist oft so kalt.
Leiden Sie da sehr drunter?
In der Anfangszeit war das schwer. Aber mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt.
Würden Sie gerne zurückkehren?
Ich war vor sechs Jahren in Sri Lanka zu Besuch, aber ich kann nicht zurückkehren, da gibt es für mich keine Perspektive. Ich lebe jetzt seit fast 35 Jahren, das ist mehr als mein halbes Leben. Am Lebensende wieder zurückzukehren, das ist schwierig. Es war in der Anfangszeit hier schwierig für mich, hier Ansprechpartner zu finden und die Sprache zu lernen. Aber Lernen ist immer ein guter Weg.
>>>HINDU – EIN ETIKETT; VIELE RELIGIONEN
Hindu – das kommt von Indus, dem Fluss Indiens. Einst bezeichnete der Begriff die dort lebenden Nicht-Muslimen. Dass es sich dabei um unterschiedliche, friedlich koexistierende Glaubenswelten handelt, wurde erst später deutlich. Weltweit gibt es rund 1,1 Milliarden Hindus, in Deutschland sind gibt es etwa 100 000 Hindus, meist hier lebende Inder oder Tamilen. In Hamm werden auch Führungen in deutscher Sprache angeboten. Mehr Informationen unter: http://kamadchi-ampal.olanko.de/