Essen. Chillen, jobben oder Influencer werden: Viele Jugendliche in NRW wissen noch nicht, was sie nach dem Abi machen sollen. Was Eltern dagegen tun.
Wird mein Kind auf eigenen Füßen stehen? Einen Teil zur Gesellschaft beitragen? Auf dem Arbeitsmarkt bestehen? Und möchte es das überhaupt? Die Abiturprüfungen sind durch. In wenigen Tagen beginnen die Sommerferien. Doch einige Eltern in NRW starten mit Fragen und Ängsten in die kommenden sechs Wochen. Denn viele junge Menschen wissen noch nicht, wie es danach für sie weitergeht.
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Bei Alex L. und seinem Sohn kommt es am Abendbrottisch deshalb immer wieder zu Konflikten. „Mein Sohn möchte nach seinem Schulabschluss Influencer werden. Schon jetzt dreht er mit dem Handy permanent TikTok-Videos“, sagt der Vater aus Düsseldorf. Er mache sich große Sorgen, wo das noch hinführen soll. Für seine Kinder wünscht sich der 40-Jährige eine „vernünftige Ausbildung“.
Eine Mutter aus Essen berichtet der Redaktion anonym davon, dass ihr Sohn nach seinem Abi erstmal „nur chillen“, vielleicht sogar Arbeitslosengeld beantragen will. „Ich bekomme ihn morgens nicht aus dem Bett.“ Mittlerweile bereue sie, nicht schon früher strenger durchgegriffen zu haben. Und eine andere Mutter schreibt uns über die Social-Media-Kanäle: „Meine Tochter will jetzt zwei Jahre jobben und dann nach Berlin ziehen.“ Dort wolle sie dann irgendeine Ausbildung anfangen, eine Idee habe sie noch nicht.
Bildungsexperte: Die junge Generation nicht über einen Kamm scheren
So scheint es derzeit vielen Jugendlichen zu gehen. Laut Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, hat fast jeder fünfte Mensch im Alter zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland keinen Berufsabschluss. Im vierten Quartal 2023 gab es in Deutschland etwa 626.000 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die weder in Beschäftigung, Schule noch in einer Ausbildung waren. Das entspricht einem Anteil von 7,4 Prozent. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2022 waren es noch 6,5 Prozent. Zu Corona-Zeiten lag der Anteil allerdings noch höher.
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Die Gründe dafür können laut Clemens Wieland, Bildungsexperte bei der Bertelsmann Stiftung, vielfältig sein. „Neben den Jugendlichen, die nach dem Schulabschluss erst einmal gar nichts machen wollen, haben wir zum Beispiel auch eine Gruppe frustrierter junger Menschen mit niedriger Schulbildung, die sich zurückgezogen haben, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden. Oder alleinerziehende Mütter, die sich erstmal um die Kinderbetreuung kümmern müssen.“ Wichtig sei, die junge Generation nicht über einen Kamm zu scheren.
Planlos nach dem Abi: „Vielfalt an Möglichkeiten kann überfordernd sein“
Kürzlich kam die Bertelsmann Stiftung in einer Jugendbefragung zu dem Ergebnis, dass vor allem Abiturientinnen und Abiturienten den größten Orientierungsbedarf bei der Berufswahl haben und sich mehr Unterstützung wünschen. „Die Vielfalt an Möglichkeiten kann überfordernd sein. Gerade in der Zeit kurz nach dem Abitur verlieren viele die Orientierung“, sagt Clemens Wieland. Es brauche allerdings nicht noch mehr Infoseiten im Internet und digitale Tools, sondern vor allem mehr persönliche Unterstützung, findet der Bildungsexperte. Nicht jedes Elternhaus könne Hilfe bieten.
Deshalb sei es wichtig, Mentoren verstärkt in den Schulen einzusetzen oder die jungen Menschen auf Berufsberatungen aufmerksam zu machen. „Und es ist wichtig, dass Schulen in Kooperation mit Betrieben die Möglichkeit bieten, praktisch in die Berufe reinzuschnuppern. Denn die Beschreibung auf einer Webseite kann die eigene Erfahrung vor Ort niemals ersetzen“, so Wieland.
Vater: „Ich will verhindern, dass mein Sohn ins Bürgergeld abrutscht“
Doch was tun Eltern, um zu verhindern, dass ihre Kinder nach dem Schulabschluss ins Nichtstun abrutschen?
Pascal Klösener aus Bottrop hat da eine klare Vorstellung: „Es gibt nichts Wichtigeres als Bildung, und ich als Vater sehe es als meine Aufgabe an, meinen Söhnen zu einem guten Start zu verhelfen.“ Für ihn bedeutet das, dass seine Kinder nach der Schule keinen Leerlauf haben. „Da sitzen wir ihnen schon im Nacken.“
Nachdem sein Sohn die elfte Klasse nicht geschafft hatte, wusste er nicht, was er machen sollte. Pascal Klösener suchte mit ihm nach Stellen. „Ich wollte verhindern, dass er vor sich hindümpelt und im schlimmsten Fall ins Bürgergeld rutscht.“ Nun startet sein Sohn schon ins zweite Jahr seiner Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann. Einmal habe der 17-Jährige überlegt, die Ausbildung zu wechseln, „aber da bin ich streng“, sagt Pascal Klösener. „Er muss das eine erst zu Ende bringen. Ich will nicht, dass er irgendwann durchs soziale Raster fällt.“
Ähnlich geht es Katharina M. aus Essen. Sie hat ihren 15-jährigen Sohn kürzlich zu einer Jobmesse begleitet. In einem Jahr macht er seinen Realschulabschluss, noch weiß er nicht, wie es danach weitergeht. „Ein Jahr rumgammeln käme für mich gar nicht in Frage“, sagt Katharina M.. Und würde ihr Sohn Influencer werden wollen, dann würde sie ihm das auch verbieten. „Ansonsten bin ich da entspannt. Wenn er erstmal jobben möchte oder ins Ausland geht, dann ist das für mich okay. Wichtig ist nur, dass er aus seiner Komfortzone herauskommt. Das gehört einfach zum Erwachsenwerden dazu.“
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