Duisburg. Italiens Nationalelf war während der WM 2006 im Duisburger Landhaus Milser untergebracht. Hotelinhaber Pelle erinnert sich an skurrile Anekdoten.
Antonio Pelle sitzt im Speisesaal seines Duisburger Vier-Sterne-Hotels. Über seinem Kopf ein eingerahmtes Foto der italienischen Weltmeistermannschaft. Direkt daneben, auf einem schmalen Eckregal, der WM-Pokal. Natürlich nur ein Nachbau, erzählt der 65-Jährige. „Aber genauso schwer: 6,2 Kilogramm.“ Rolf Milser, Mitinhaber und Namensgeber des Landhauses Milser, habe ihm die Trophäe vor einigen Jahren aus Argentinien mitgebracht. Eine Erinnerung an die aufregendsten fünf Wochen seines Lebens, sagt Pelle. „Wenn ich die Geburt meiner Kinder weglasse, gibt es nichts, das annähernd mit der WM vor 15 Jahren zu vergleichen ist.“
Sommer 2006: Ganz Deutschland ist im Fußball-Fieber. Hunderttausende Menschen feiern auf den Fanmeilen die Spiele der Weltmeisterschaft. „Das war unglaublich, wir hatten fast durchgängig schönes Wetter“, erinnert sich Pelle. Von der Euphorie auf den Straßen bekommt der gebürtige Italiener aber wenig mit. In seinem Hotel ist während der WM das italienische Nationalteam untergebracht. Für Pelle, der in Kalabrien aufwächst und mit 17 Jahren nach Deutschland auswandert, Kindheitstraum und Herausforderung zugleich. Denn bei den späteren WM-Siegern herrscht zu Beginn des Turniers alles andere als Partystimmung.
Stimmung im WM-Hotel: „Wir wurden alle immer kumpelhafter“
„Die kamen gerade erst aus einem Skandal“, so der Hotelbesitzer. Nur wenige Wochen vor der Anreise war durchgesickert, dass in der italienischen Profi-Liga mehrere Topklubs systematisch Spiele manipuliert hatten. „Trainer Marcello Lippi kam gleich am ersten Tag auf mich zu und sagte: ‚Toni, keine Presse, keine Journalisten. Selbst wenn das Hotel zusammenbricht, darf nichts nach außen dringen.‘“ Das komplette Nationalteam habe bei der Ankunft im Landhaus Sonnenbrillen getragen. Trennwände wurden um das Hotel gezogen. Sogar die anliegende U-Bahn-Station Kesselsberg sei verlagert worden.
Doch bereits am dritten Tag verschmolzen die Hotelmitarbeiter und Fußball-Profis zu einer Einheit, erzählt Pelle. „Wir wurden alle immer kumpelhafter. Wahnsinn, wie sich das entwickelt hat.“ Der 65-Jährige erinnert sich an unzählige Anekdoten: Stammtorwart Gianluigi Buffon sei eines Tages auf ihn zugekommen. „Der hatte die Schulter lädiert und wollte Tischtennis spielen.“ Der Hotelinhaber rief seinen damaligen Oberkellner zu sich und organisierte ein „Freundschaftsspiel“. Buffon wurde schnell wieder fit und nach dem Turnier zum besten Torhüter der WM ausgezeichnet.
Mit einigen Nationalspielern hat Pelle bis heute regen Kontakt
Ersatzkeeper Angelo Peruzzi, ein leidenschaftlicher Jäger, habe mit Pelle einen Dackel für die Wildschwein-Jagd kaufen wollen. „Er hat ja nie gespielt und zu mir gesagt: ‚Ich krepiere hier vor Langeweile.‘“ Der 65-Jährige schaute sich nach einem Züchter um – doch der habe keine Zeit gehabt. Ein anderes Mal habe er Camoranesi und Stürmer Del Piero in seinem Wagen an 500 Fans vorbeigeschmuggelt, die rund um die Uhr vor dem Landhaus kampierten. „Die wollten unbemerkt Golf spielen gehen“, sagt der Hotelier. Also habe er die Profis unter einer Decke auf der Rückbank versteckt.
Das Vertrauen zwischen Pelle und den Nationalspielern wird von Tag zu Tag größer. Bis heute steht er mit einigen von ihnen in Kontakt. Als Beweis öffnet der gebürtige Italiener einen Chatverlauf mit Mittelfeldspieler Gennaro Gattuso – Spitzname: Ringhio (zu deutsch: der „Knurrer“). „Gattuso hat während der gesamten WM kein einziges Mal das Hotel verlassen, außer fürs Training“, erzählt Pelle. „Er hat mir gesagt: ‚Ich bin hier, um den Pokal zu gewinnen.‘“ Einer von vielen im italienischen Star-Ensemble, an die sich der Wahl-Duisburger immer wieder gerne zurückerinnert: „Wir werden nie wieder eine Nationalmannschaft mit solchen Charakteren haben.“
Party nach WM-Sieg: „Wir haben bis 15 Uhr durchgefeiert“
Doch die Weltmeisterschaft bedeutet für Pelle neben all den einzigartigen Erlebnissen vor allem eins: Stress pur. „Ich habe in keiner Nacht mehr als vier Stunden geschlafen.“ Als die Italiener im Halbfinale Deutschland besiegen und wenige Tage später in einem denkwürdigen WM-Finale auch die Franzosen schlagen, reist das Team von Trainer Lippi für einen kurzen Abstecher zurück ins Duisburger Landhaus. „Die Mannschaft ist nachts um 4.20 Uhr angekommen. Draußen standen 5.000 Leute, alle Ein- und Ausgänge waren abgesperrt.“ Pelle ist mittendrin. Als einer der ersten wird ihm der WM-Pokal überreicht.
„Wir haben bis 15 Uhr durchgefeiert“, erzählt der Hotelier. „Irgendwann bist du dann auch froh, wenn es mal vorbei ist.“ Die Nationalmannschaft habe ihm angeboten, mit nach Italien zu reisen, doch Pelle lehnt dankend ab. Stattdessen fliegt er noch am selben Abend nach Mallorca: drei Tage Erholungsurlaub. Zurück in Deutschland, fühlt sich Pelle leer. „Aber gleichzeitig war ich auch voller Enthusiasmus“, sagt er. „Zu wissen, dass ich vielleicht 0,1 Promille zum WM-Sieg beigetragen habe.“ Was bleibt, sind all die schönen Erinnerungen – und der Pokal auf dem schmalen Eckregal.