Wuppertal. Adel Massaad ist mit 44 der älteste Tischtennisspieler, der bei den Olympischen Spielen in Peking startet. Sein Taktik: Volles Rohr und Psychotricks!
Wenn man Adel Massaad fragt: „Sind Sie ein Verrückter?”, überlegt er kurz und antwortet: „Ja!” Massaad ist nämlich einer, der gerade das Alter besiegt und mit 44 Jahren bei den Olympischen Spielen in Peking startet. Einer, der nachts um halb zwei aufsteht, sich zwei Stunden lang an die Tischtennis-Platte stellt und Aufschläge übt. Einer, der auch schon mal mit einer Bratpfanne als Schläger ein Turnier gewonnen hat.
Er spielt, wie Mike Tyson geboxt hat
Und er spielt Tischtennis, wie Mike Tyson geboxt hat – immer auf die Zwölf! „Ich habe kein Talent, ich bin ein Streetfighter”, sagt er. „Ich muss mir alles erkämpfen!” Irgendwann will er ein Buch über seinen Sport schreiben, den Titel hat er schon: „Krieg am Tisch”.
Massaad ist in Moers geboren, er lebt in Geldern und ist Deutscher. Aber bei den Olympischen Spielen wird er im Tischtennis für Ägypten spielen. Wieder so ein verrücktes Ding. Massaad lächelt. „Gute Geschichte, oder?”
Der Mann liebt gute Geschichten, und er kann sie wunderbar erzählen. Er ist ein brillanter Verkäufer seiner eigenen Sache. Er hat daraus auch seinen Beruf gemacht: Er ist PR-Profi im Gesundheitswesen mit einem eigenen Institut. Würde er von einer Überschwemmung reden, bekäme man nasse Füße. Nur eins kann er nicht leiden: Typen, die so farblos sind wie Wasser. „Langeweile ist schlimm!”
Aber wieso eigentlich Ägypten? Ganz einfach: Massaad wollte am Anfang seiner Karriere unbedingt international spielen, aber für die deutsche Nationalmannschaft reichte es nicht. Die Lösung seines Problems beschreibt Massaad so: „Mein Vater ist Ägypter. Und eine Regelung besagte damals: Man darf auch dann für das Geburtsland des Vaters spielen, wenn man dessen Staatsangehörigkeit nicht hat.”
Mit diesem Passus in den Sportgesetzen schaffte Massaad – damals Bundesliga-Spieler beim TTC Jülich – den Sprung ins ägyptische Team. 1990 gewann er in Casablanca die Afrika-Meisterschaft. „Nach 30 Jahren mal wieder ein Tischtennis-Titel für Ägypten”, erzählt er. „Dafür haben sie mich geliebt. In Kairo haben mich die Menschen auf der Straße angesprochen. Ein bisschen Arabisch verstehe ich ja.”
Gelebt hat er aber nie im Land seines Vaters.
Dennoch spielt sein Vater in seinem Leben eine große Rolle. Der 83-Jährige hat in Algier auf der Tribüne gesessen, als sein Sohn dort bei der afrikanischen Olympia-Qualifikation das Spiel seines Lebens gemacht hat. Ein Spiel um alles oder nichts – nur der Sieger fährt nach Peking. „Der Druck bei sowas ist extrem”, so Massaad. „Da werden die Schwarzen vor Angst weiß im Gesicht.”
Dann schildert er das Spiel seines Lebens. Auf der einen Seite des Tisches: Adel Massaad, auf der anderen Seite: Der Algerier Sofian Boudjadja aus der französischen Profiliga.
Beim Seitenwechsel zum entscheidenden letzten Satz begegnen sich beide hautnah. „Der Algerier hat mich angebrüllt, ich habe gemerkt, dass er Mundgeruch hatte”, sagt Massaad. Mehr als 2000 Leute auf der Tribüne in Algier schreien mit ihrem Landsmann. „Da bin ich ganz nah an ihn ran, habe ihm meine Nasenspitze auf seine Nasenspitze gehalten und noch lauter gebrüllt.” Massaad gewinnt das Match und fährt nach Peking! Er wird erst richtig gut, wenn er wütend ist.
Routine ist für Olympia zu wenig
Der Meister der Psyche. „Du schaust deinem Gegner beim Tischtennis bei jedem Aufschlag in die Augen”, sagt er. „Diesen Moment musst du nutzen!” Massaad knipst dann sein Lächeln an – es ist das Lächeln eines Krokodils.
Er weiß: Er wird in Peking ist der älteste Tischtennis-Spieler sein. „Deshalb muss ich meine Erfahrung nutzen.” Erfahrung sind die Psychotricks! Massaad kann gucken, als wolle er gleich mit seinem Blick einen Amboss spalten.
Aber Routine ist zu wenig, das weiß der 44-Jährige auch. Also hat er den früheren chinesischen Bundesliga-Spieler Chen Zhibin als Privattrainer engagiert und sein Spiel umgestellt. Als Massaad davon erzählt, packt ihn sein bester Freund, der Enthusiasmus. Er springt auf und demonstriert, wie schnell das Spiel geworden ist. Früher standen Abwehrspieler wie Eberhard Schöler ein paar Meter hinter Platte und löffelten die Bälle zurück. „Heute musst den Ball schon treffen, wenn er noch in der Aufstiegsphase ist”, sagt Massaad und schlägt mit rechts kurze Haken in die Luft.
Schläge wie beim Comeback von Rocky Balboa
Sein Trainer hat ihm am Anfang der Umstellung 1000 Bälle mit vollem Tempo um die Ohren geprügelt. „Die ersten 200 habe ich gar nicht gesehen.” Massaad schüttelt den Kopf. „Jetzt treffe ich die Dinger!” Seine Taktik steht: „Lange Ballwechsel gehen nicht. Ich bin wie Rocky Balboa beim Comeback. Mein erster Schlag muss sitzen, volles Rohr, nur dann habe ich eine Chance.”
Aber die neue Körperlichkeit in seinem Spiel macht ihm auch Sorgen. Sein Vater hat sieben Bypässe, sein Onkel ist an einem Herzinfarkt gestorben. Also hat sich Massaad im Institut für Sportwissenschaft der Universität Wuppertal untersuchen lassen. Alles in Ordung! Er sagt: „Egal was passiert, ich würde auch im Rollstuhl in Peking antreten. Ja, ich bin verrückt!” Dann überlegt er wieder kurz. „Nur wenn mein Herz nicht in Ordnung wäre, dann würde ich es lassen. So verrückt bin ich dann doch wieder nicht.” (NRZ)