Die Pflanzen blühen dieses Jahr früher im Botanischen Garten in Klein Flottbek. Ein Besuch an diesem schönen Ort lohnt deshalb umso mehr
Nur wenige Meter nach dem Passieren des Eingangstores hat man den Eindruck, in einer anderen Welt zu sein. Schwer vorstellbar, dass dieser wunderschöne, riesige Park mitten in einer Großstadt liegt. Vögel zwitschern, die Luft ist klar und frisch. Stille herrscht hier in Klein Flottbek. Das kratzende Geräusch einer Harke oder Schaufel ist zu hören, ein Gärtner kommt um die Ecke und grüßt freundlich. Hin und wieder sieht man in der Ferne Besucher über die Wege laufen.
Nur eines stört die Idylle an diesem Tag. Die großen Flugzeuge ziehen auf ihrem Weg nach Fuhlsbüttel über die Anlage, ihre Turbinen sind deutlich zu hören. „Das ist nur bei bestimmten Witterungsverhältnissen so“, sagt Carsten Schirarend sofort. „Dann allerdings können sie so laut sein, dass sie bei unseren Führungen richtig stören.“ Der freundliche Mann mit dem angegrauten Bart ist wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens in Klein Flottbek, der seit 2012 Loki-Schmidt-Garten heißt, und führt nicht ohne stolz durch die große, gepflegte Anlage.
Die ist in diesem Frühling besonders einladend. Durch den milden Winter blühen schon viele Blumen, die ersten Blätter sind bereits grün. „Wir stellen fest, dass die Natur sicherlich sechs Wochen weiter ist als im vergangenen Jahr“, sagt Schirarend. Der Vergleich hinke aber natürlich ein bisschen, gibt er dann zu. „Schließlich war der vergangene Winter besonders hart. „Verglichen mit einem typischen norddeutschen Winter, sind wir im Moment etwa vier Wochen voraus.“ Am Bienenstock in der Nähe des Bauerngartens herrscht bereits reger Betrieb. „Ja, auch die Tiere sind deutlich aktiver als im vergangenen Jahr“, sagt Schirarend im Vorbeigehen und lacht. Die Besucherzahlen würden ebenfalls den milden Winter widerspiegeln. „In den ersten drei Monaten hatten wir doppelt so viele wie in den vergangenen Jahren“, sagt der wissenschaftliche Leiter und freut sich sichtlich. So könne es gern weitergehen.
Allerdings, der vergangene Herbst und Winter haben dem Botanischen Garten zugesetzt, wenn auch nicht durch Frost, Eis und Schnee. Ein Stück weiter ragt ein großer Baumstumpf aus dem Boden. „Die starken Stürme im Herbst haben viel kaputt gemacht. 18 Bäume haben wir verloren“, sagt Schirarend. „So viel wie lange nicht.“ Mit dabei seien leider auch ein paar wertvolle Gehölze gewesen.
Weiter geht es zur neuen Anlage des Botanischen Gartens, der sogenannten phylogenetischen Uhr. Sie ist der ganze Stolz von Schirarend. In der wie ein Zifferblatt gestalteten Anlage sollen sowohl die Verwandtschaft der Pflanzengruppen als auch ihre Entwicklungsgeschichte dargestellt werden. „Diese Anlage ist bisher einmalig in Deutschland“, sagt Schirarend. „Und ich muss zugeben, der Ansatz ist schon ziemlich anspruchsvoll.“ Deshalb sollen ausführliche Hinweisschilder an jedem Beet den Besuchern die Beete und ihre Anordnung genau erklären.
Den Anfang macht bei null Uhr der Gingko-Baum. „Er ist die älteste lebende Samenpflanzenart, die uns bekannt ist.“ In Gruppen, nach Familien geordnet, folgen dann die anderen Büsche, Bäume, Sträucher oder Blumen, zeitlich nach einander. So kommen bei ein Uhr die nächst jüngeren Pflanzen. „Sie stehen in Ordnungen zusammen“, sagt Schirarend, „damit auch gleich die Verwandtschaften ersichtlich sind.“ Jeder Sektor der phylogenetischen Uhr ist für eine größere Gruppe der heute lebenden Pflanzen reserviert. Die Anlage wurde im vergangenen Sommer eröffnet. Für dieses Jahr hofft Schirarend, dass sich der Bewuchs weiter gut entwickelt und mehr Besucher anzieht.
Besucher anlocken soll auch eine ganz besondere neue Ausstellung. Am 16. März wurde PhytoArtis im Loki Schmidt Haus eröffnet. Die Illustratorin Stephanie Böhm hat verschiedene Heilpflanzen auf großformatige Leinwände gemalt, die hier aufgehängt sind. Das Besondere: Die Pflanzen werden auch im Original im Apothekergarten des Botanischen Gartens gezeigt. Kleiner Schilder weisen den Besuchern den Weg zu ihnen. „Ich habe mich für meine Masterarbeit mit Heilpflanzen beschäftigt“, sagt Stephanie Böhm über ihre Werke und das Projekt. „Und dann entstand die Idee dieser Ausstellung mit meinen Bildern.“ Sie sei stolz auf den Vergleich der Pflanzen im Garten mit ihrer Malerei und den Abbildungen aus dem „Hamburger Herbarius“, der im Botanischen Garten umgesetzt werden konnte, sagt sie. Der „Hamburger Herbarius“ ist ein Band aus dem 16. Jahrhundert, der in der Bibliothek des Botanischen Gartens gefunden wurde und ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. „Hier wurden die Kräuter per Selbstdruck abgebildet. Wir zeigen jetzt die historischen Bilder neben meinen.“ Bis Ende November werden die historischen und modernen Werke noch im Loki Schmidt Haus zu sehen sein.
Auffallend viele Gärtner sind in diesen Tagen auf der weitläufigen Anlage unterwegs. Frühlingsarbeiten sind angesagt. Doch der erste Eindruck täuscht, sagt Schirarend. Einige von diesen Helfern sind Freiwillige, die in ihrer Freizeit den Botanischen Garten pflegen. „Wir haben etwa 30 Angestellte, die sich um das öffentliche Freigelände kümmern. Und etwa 50 aktive sogenannte Gartenpaten, die sich hier engagieren.“ Die Beete harken, Unkraut jäten oder einfach Wege fegen. Organisiert werde deren Arbeit über einen Förderverein. „Ohne die Hilfe dieser engagierten Hamburger könnten wir die pflegeintensiven Beete nicht in einem solch guten Zustand halten, wie sie jetzt sind“, ist sich Schirarend sicher.
„Am Anfang waren wir skeptisch, ob die Idee der Patenschaften funktioniert“, so der wissenschaftliche Leiter. „Mittlerweile geht es gar nicht mehr ohne die Helfer.“ Er sei nach wie vor überwältigt von dem Engagement der Männer und Frauen. „Einige sind hier beinahe täglich auf der Anlage unterwegs.“ Einen so aktiven Förderverein wie den in Hamburg gebe es in ganz Deutschland nicht. So werde unter anderem auch der kleine Gartenshop, der in einem Reetdachhaus im Bauerngarten untergebracht ist, von den Freiwilligen betrieben.