Noch mehr Aufgaben, noch mehr Stress, Abschalten ist kaum möglich – Arbeit kann wie Alkohol eine Sucht sein und die Gesundheit gefährden.

Manche Menschen arbeiten viel. Und andere können gar nicht aufhören – sie sind süchtig. Nicht nach Alkohol oder Nikotin, nicht nach Pillen oder Drogen. Sondern nach ihrem Job. Sie sind Workaholics. Das ist ein Begriff, der ebenso wie die Tatsache, dass jemand von früh bis spät ackert, in der Gesellschaft eher positiv besetzt ist: Es bedeutet Karriere, Prestige, Leistungsbereitschaft, erklärt Ulrike Emma Meißner auf ihrer Internetseite www.arbeitssucht.com. Die Bremerin hat zum Thema „Personalwirtschaftliche Risiken der Arbeitssucht“ promoviert und bietet Seminare an.

Arbeitssucht ist nicht allgemeingültig definiert, sagt Diplom-Psychologe Stefan Poppelreuter, der Bücher zum Thema Arbeitssucht veröffentlicht hat. Zwischen 200.000 und 300.000 Betroffene gibt es Schätzungen zufolge. Nicht jeder, der exzessiv arbeitet, ist süchtig. „Vielmehr geht es darum, dass einen die Arbeit nicht mehr loslässt und man meint, die Welt bricht zusammen ohne die eigene Leistung“, erklärt er. Psychologische Studien zeigen, dass Betroffene sich unwohl fühlen, wenn sie nicht schuften. „Arbeitssüchtige benötigen das Gefühl, permanent produktiv zu sein und gebraucht zu werden“, erläutert Prof. Ute Rademacher, Dozentin für Psychology & Management an der ISM International School of Management in Hamburg.

Wo ist die Grenze? „Wer Telefon und Computer ausschalten kann und einen Tag mit der Familie genießt, ohne an die Arbeit zu denken, braucht sich keine Sorgen zu machen“, sagt Poppelreuter. Schwierig wird es, wenn das nicht mehr geht, die Gedanken um die Arbeit kreisen, man nicht abschalten und die Freizeit genießen kann.

Prof. Holger Heide ist Wirtschaftswissenschaftler und hat an der Universität Bremen zur Arbeitssucht geforscht. Er sieht bei dieser Sucht verschiedene Stadien. So seien, wie Heide mit Rudolf Schulze in einem Überblicksartikel zur Arbeitssucht schreibt, Betroffene im Anfangsstadium euphorisch, sie seien voller Tatendrang. Das Arbeiten wird als Hochgefühl erlebt. Der Job hat einen hohen Stellenwert, immer stärker konzentriert sich der Betroffene auf den Job. Dann komme es öfter zu Konzentrationsstörungen und dem Gefühl, einmal etwas für sich tun zu müssen. Im Hauptstadium stelle sich das Hochgefühl immer seltener ein und nur kurz. Arbeitssüchtige strengt es immer mehr an, die Arbeit zu schaffen. Man rede sich die Situation, so die Forscher, schön.

Immer häufiger wird der Betroffene krank. Arbeitssucht zeigt sich oft durch Kopfschmerzen, Magengeschwüre oder Schlafstörungen. Richtung: Burn-out. „Das kann sehr dramatisch sein, mit Zusammenbruch, totaler Erschöpfung und Herzinfarkt“, so Werner Gross, Mitbegründer des Psychologischen Forums Offenbach. Auch werden viele Betroffene immer rücksichtsloser – sich selbst und anderen gegenüber, um trotz Erschöpfung nicht nachzulassen. „Sie können nicht delegieren und keine Prioritäten setzen, vergiften das Teamklima und eignen sich nicht, mit anderen zusammenzuarbeiten“, sagt Poppelreuter.

Aus Arbeitgebersicht bringt so ein Mitarbeiter kaum Nutzen: „Die permanente Überbelastung führt zu Konsequenzen, es kommt zu verzögerten Entscheidungsprozessen, Ausschuss wird produziert“, so Poppelreuter. Und wenn Betroffene oft wegen Krankheit ausfallen, kostet das ein Unternehmen.

Zwischen Männern und Frauen gibt es keinen Unterschied, was die Zahl der Arbeitssüchtigen angeht. Allerdings sind in den helfenden und kreativen Berufen sowie bei den Selbstständigen mehr Menschen mit einer Neigung zum Suchtverhalten vertreten.

Arbeit ist häufig eine Flucht vor anderen Konflikten im Leben. „Vielen fehlt die innere Erfüllung“, sagt Gross. Was Arbeitssüchtige durch ihren überdurchschnittlichen Einsatz erhoffen, ist Anerkennung und Bestätigung. „Ihr Ansehen in der Firma steigt, und dies tut ihrem Selbstwertgefühl gut“, schreibt Diplom-Psychologin Doris Wolf auf ihrer Internetseite. Das Problem sei, dass die Sucht durch diese Anerkennung verstärkt wird.

Das ist auch der Punkt, an dem Freunde und Verwandte die Sucht erkennen können. „Die Arbeitssüchtigen sind zwar physisch präsent, aber geistig abwesend, folgen Gesprächen nicht“, sagt Poppelreuter. Auch körperliche Veränderungen können Anzeichen sein: Entweder ernähren sich Workaholics schlecht, haben zu wenig Bewegung. „Oder sie sind auch in anderen Lebensbereichen zwanghaft, rennen Marathons oder machen etwas ähnlich Extremes“, stellt Poppelreuter fest.

Langfristig bleibt Betroffenen nichts anderes übrig, als ihren Lebensstil zu ändern. Es gibt Selbsthilfegruppen für seelische Gesundheit und auch die Anonymen Arbeitssüchtigen. Wenn das nicht reicht, können Psychotherapie oder die stationäre Rehabilitation helfen. Es geht darum, innerlich aufzuräumen, sodass der Job nicht mehr Kompensation ist. Poppelreuter: „Ziel einer Behandlung kann nicht die Abstinenz sein, dazu ist Arbeit zu wichtig und notwendig.“

Anonyme Arbeitssüchtige (AAS), Selbsthilfegruppe für Menschen mit Arbeitsproblemen und Arbeitssucht, E-Mail: info@arbeitssucht.de, www.arbeitssucht.de
Buchtipp: „Die ‚Droge‘ Arbeit: Unternehmen als ‚Dealer‘ und als Risikoträger – personalwirtschaftliche Risiken der Arbeitssucht“ von Ulrike Emma Meißner. Peter Lang Verlag. www.arbeitssucht.com
Infos und Tipps von Diplom-Psychologin Doris Wolf im Internet unter www.palverlag.de/arbeitssucht.