Bernd Nowoczyn ist technischer Sachverständiger des TÜV Nord und prüft die Fahrgeschäfte auf dem Hamburger Dom – Höhenangst ist in diesem Job tabu.
An manchen Tagen steigt Bernd Nowoczyn selbst in ein Fahrgeschäft ein. Dreht eine Runde mit der „Wilden Maus“ oder dem Riesenrad, um sich die Speichen aus der Nähe anzugucken oder „das Fahrerlebnis zu überprüfen“, wie er sagt. Keine Frage, höhenfest muss der 61-Jährige in seinem Job sein.
Bernd Nowoczyn ist Technischer Sachverständiger beim TÜV Nord und als Leiter der Prüfstelle „Fliegende Bauten“ für die Gebrauchsabnahmen der Fahrgeschäfte auf dem Hamburger Dom zuständig. Das sind die Prüfungen, die jeder Inhaber eines Fahrgeschäfts vornehmen lassen muss, bevor der Jahrmarkt eröffnet wird.
An diesem Mittag prüft Nowoczyn den Riesenkraken, der eigentlich unter dem Namen „Big Monster“ auf dem Dom steht. „Psst, das Monster schläft“ steht in großen Lettern auf der Fassade des Fahrgeschäfts, und damit es pünktlich zur Eröffnung aufwachen darf, prüft Nowoczyn es auf Herz und Nieren, die in diesem Fall die Krakenarme sind, vor der Inbetriebnahme. Er lässt sich zunächst das Prüfbuch aushändigen, ein amtliches Dokument, in dem die Auflagen aufgeführt sind, die das Fahrgeschäft erfüllen muss. „Außerdem finden sich hier alle Berichte früherer Prüfungen“, erklärt der Mitarbeiter vom TÜV Nord. Denn Aufgabe von Technischen Sachverständigen ist es unter anderem, bauliche Einrichtungen zu untersuchen und die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften zu beurteilen.
Der Diplom-Ingenieur bildete sich zum Technischen Sachverständigen weiter
Des Kraken Herz und Hirn ist in diesem Fall die Steuerung, die im Kassenhäuschen versteckt ist. Hier drückt Nowoczyn fleißig Knöpfe, prüft, ob der Krake auch wirklich genau das macht, was der Mann an den Hebeln von ihm verlangt. „Ich schaue, ob die zulässigen Drehzahlen nicht überschritten werden und die Zeiten für das An- und Abfahren im zulässigen Bereich liegen“, sagt er.
Grundlage für jede Prüfung ist die Bauordnung des Landes, denn die Sachverständigen vom TÜV Nord untersuchen die Fahrgeschäfte als unabhängige Dritte und erstellen Gutachten im Auftrag der Baubehörde. „Der Spagat besteht darin, einerseits ein Vertrauensverhältnis zu den Ausstellern zu pflegen, andererseits aber auch unabhängig zu arbeiten.“ Für Nowoczyn ist das kein Problem, schließlich macht er seinen Job jetzt schon seit knapp 20 Jahren. Der Diplom-Ingenieur studierte zunächst Schiffsbetriebstechnik, ließ sich dann zum Technischen Sachverständigen weiterbilden.
Insgesamt arbeitet beim TÜV Nord im Geschäftsbereich Industrie Service zu 70 Prozent technisches Personal, wovon ein Großteil ingenieurwissenschaftliche Abschlüsse hat, also zum Beispiel in den Fachbereichen Elektrotechnik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Roger Koch ist Leiter der des Bereichs Aus- und Weiterbildung beim TÜV Nord, in dem jährlich 150 Mitarbeiter ihre Prüfung zum Technischen Sachverständigen ablegen. „Wir haben insgesamt 60 Ausbildungsmodule, die alle ganz besonders spezialisiert auf einen Fachbereich vorbereiten“, sagt Koch. So differenziere der Technische Überwachungs-Verein bei einer Weiterbildung zum Beispiel zwischen einem Spielplatzgeräteprüfer und einem Spielplatzprüfer, wobei Letzterer die Bepflanzung der Anlage auch auf giftige Büsche hin überprüft.
Die Weiterbildung enthält sowohl einen theoretischen Anteil als auch den praktischen, „den wichtigeren“, wie Koch findet. In der Regel beginnt etwa ein Drittel der Mitarbeiter mit der Ausbildung, andere bilden sich beispielsweise als Aufzugs-Sachverständige im Bereich der Fördertechnik oder Elektrotechnik weiter.
Nowoczyn ist auf die Fliegenden Bauten spezialisiert, seine Aufgabe an diesem Tag: den gesamten Aufbau des Riesenkraken zu checken, die Gondeln, den Drehkranz, die Auslenkung. „Der Fokus liegt dabei auf den lösbaren Verbindungen, die für den Transport auseinandergebaut werden“, sagt der Sachverständige, während er sich die Schrauben und Bolzen an den fünf Gondelarmen ganz genau ansieht. „Werkzeug haben wir keines dabei, außer vielleicht einen Taschenspiegel“, sagt er. „Schließlich reparieren wir ja nicht, sondern prüfen die Sicherheitsfunktionen und die Konstruktion visuell.“ Den kleinen Spiegel braucht er aber, um auch Stellen an dem Gerät zu erkennen, die sonst nur schwer einsehbar sind, wie zum Beispiel mögliche Risse unter den 25 Gondeln des Riesenkraken.
Vier Tage lang, von Dienstag bis zur Eröffnung am Freitag, haben die Sachverständigen vom TÜV Nord Zeit, um alle Fahrgeschäfte auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen. Feste Termine haben sie zumeist nicht. „Wir gehen einfach herum und fragen, wer fertig ist.“ Für ein so großes Fahrgeschäft wie den Riesenkraken braucht Nowoczyn ungefähr eineinhalb Stunden.
Dass er einen sehr verantwortungsvollen Job hat, dessen ist sich der 61-Jährige selbstverständlich bewusst. Denn arbeitet er nicht gründlich, sind im schlimmsten Fall Menschenleben gefährdet. Größere Fahrgeschäfte überprüfen die Sachverständigen deshalb auch schon mal zu zweit oder zu dritt. „Einige Inhaber verstehen es, uns abzulenken“, sagt Nowoczyn mit einem Augenzwinkern. „Und sechs Augen sehen eben mehr als zwei.“ Insgesamt sind vor der Eröffnung einer jeden Dom-Saison fünf Mitarbeiter mit der Gebrauchsabnahme der Fahrgeschäfte beschäftigt.
Im schlimmsten Fall müssen Aussteller das Fahrgeschäft wieder abbauen
Und was passiert, wenn ein Fahrgeschäft die Prüfung nicht besteht? „Im schlimmsten Fall müssen die Aussteller wieder abbauen, wenn ich ihnen wegen schwerwiegender und sicherheitsrelevanter Mängel keinen Stempel für die Freigabe ins Prüfbuch drücken kann“, erklärt der Mitarbeiter vom TÜV Nord. Das sei aber bisher nie vorgekommen, sagt er und fügt hinzu, dass sich lediglich die Eröffnung schon mal verzögert habe. „Ich kann versprechen, dass eine Fahrt in einem Fahrgeschäft auf dem Dom sicherer ist als die Fahrt mit dem eigenen Auto zum Dom“, sagt der Sachverständige überzeugt.
Nachdem Bernd Nowoczyn alle diesjährigen Prüfungen auf dem Frühlingsdom abgeschlossen hat, wartet auf den 61-Jährigen übrigens schon eine neue tolle Aufgabe: Dann überprüft er nämlich das neue „Tagesschau“-Studio des NDR.