Serie: „Eltern im Job“ Teil 10: Führungskräfte, die Kinder haben, bringen eher Verständnis für junge Eltern auf – eine Expertin bezweifelt diese These
Erst neulich kam ein Mitarbeiter zu Nicole Grube und fragte, ob er früher nach Hause dürfe – das Kind sei in der Kita krank geworden, und seine Frau käme bei der Arbeit nicht weg. Die 34-Jährige ist Leiterin der Abteilung Baufinanzierung bei der Hamburger Volksbank, betreut dort ein Team von neun Mitarbeitern, drei Frauen, sechs Männern, vier davon haben ein Kind oder mehrere. „Natürlich durfte er gehen, das ist doch selbstverständlich“, sagt sie. Grube selbst ist Mutter einer kleinen Tochter.
Traditionell waren es in den vergangenen Jahrzehnten die Mütter, die häufig mit einem beklemmenden Gefühl bei ihrem Boss vorsprachen und darum baten, nach Hause gehen zu dürfen, wenn sich in der Kita der Kleinen mal wieder die Viren und Bakterien eingenistet hatten. Die traditionelle Rollenverteilung, in der der Mann Karriere machte und die Frau sich um das Kind kümmerte, spiegelte sich auch im Berufsleben wider.
Heute ist das anders. Immer mehr Frauen vereinbaren Kind und Karriere, steigen in Führungspositionen auf und bringen damit weibliche Führungskultur in die Unternehmen. Und dass beide Geschlechter ein unterschiedliches Verständnis davon haben, welcher Führungsstil in einem Unternehmen angemessen ist, belegen zahlreiche Studien. Nach einer Befragung des Unternehmerinnenverbandes beispielsweise gaben weibliche Führungskräfte an, dass sie zur Mitarbeiterbindung Weiterbildungen und Maßnahmen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen würden. Männer hingegen arbeiteten eher mit Boni, Gehaltserhöhungen und Dienstwagen.
Zeigen Mütter als Chefinnen also mehr Einfühlungsvermögen, wenn es um die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeiter geht? Julia Lübberstedt, Projektmanagerin und Coach bei der Hamburger Karriereschmiede, glaubt das nicht. Seit 2008 betreut sie Frauen beim Karrieresprung und ist der Meinung: „Wenn eine Frau es schafft, Chefin und Mutter gleichzeitig zu sein, dann wird sie kaum verstehen, dass eine andere Frau ihre Prioritäten anders setzt und lieber mehr Zeit mit ihrem Kind zu Hause verbringt.“ „Wenn ich es schaffe, dann schaffen die anderen das auch“, sei eine weitverbreitete Idee weiblicher Führungskräfte.
Tatsächlich erfordert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel Selbstdisziplin. Das liegt vor allem an den internen Organisationsstrukturen der einzelnen Firmen und daran, dass Arbeitgeber und Kunden häufig erwarten, dass karriereorientierte Mitarbeiter rund um die Uhr im Einsatz sind. Für Mütter ist das unmöglich, und Chefinnen, die gleichzeitig Mütter sind, verstehen das.
Nicole Grube lebt ihren Mitarbeitern vor, dass die Vereinbarkeit von Kind und Karriere bestens funktionieren kann. Das Schlüsselwort lautet Flexibilität. So hat die 34-Jährige zwei Wohnsitze, lebt und arbeitet unter der Woche in Hamburg, am Wochenende bei ihrem Mann in Hemmoor bei Stade. Momentan ist sie im Mutterschutz, will sich aber auch danach keine Schonfrist geben und direkt wieder mit 30 Stunden pro Woche in ihren alten Job zurückkehren, zwei Tage davon voll im Homeoffice arbeiten. Warum sie sich das antue, haben Bekannte schon gefragt. „Ich arbeite total gerne, und wenn es so möglich ist – warum sollte ich dann aufhören?“, lautet dann ihre pragmatische Antwort.
Die Kinderbetreuung ist deshalb schon im Vorwege geregelt, und das ist der Familie zu verdanken, die im gleichen Ort wohnt. „Meine Schwester ist in der Ausbildung zur Erzieherin, und sie unterstützt uns im ersten Jahr“, erzählt Grube, die sich mit ihrem Mann darauf geeinigt hat, die Tochter erst nach einem Jahr in die Kita zu geben.
Sandra Winterlich hat einen anderen Weg gewählt. Auch sie ist Chefin, „im Doppelpack“, wie sie sagt. Die Bezirksverantwortliche in Teilzeit bei Budnikowsky teilt sich ihre Arbeit nach dem Jobsharing-Prinzip mit einer Kollegin in Vollzeit. „In unserem Unternehmen sind weit mehr als die Hälfte der Mitarbeiter Frauen, deshalb gibt es eine Reihe unterschiedlicher Arbeitsmodelle“, erzählt sie.
Denn wenn Unternehmen Frauen wirklich fördern wollen, dann müssen sie sich auf solch flexible Arbeitsmodelle einlassen. Natürlich seien für Mitarbeiterinnen mit Kindern nicht alle Dinge planbar, wie zum Beispiel die Erkältung der Tochter oder der Sturz des Sohnes vom Klettergerüst. Wichtig aber sei, dass keine Arbeit liegen bleibe. „Ich habe Verständnis dafür, dass man für seine Kinder da sein und auch etwas von ihnen haben möchte“, sagt Winterlich und versucht dies deshalb unter Berücksichtigung der Filialabläufe ihren Mitarbeitern zu ermöglichen. Sie selber hat schließlich auch eine fünfjährige Tochter und einen zweijährigen Sohn.
Einfühlungsvermögen, Organisationstalent und ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeiten – Begabungen, die Müttern nicht nur in Führungspositionen zugeschrieben werden und die sie für die Leitung eines Teams bestens qualifizieren. Nicole Grube allerdings findet ihr Verhalten gar nicht typisch weiblich: „Man muss einfach Verständnis für die Lebenswirklichkeit berufstätiger Eltern haben“, sagt sie. „Und das ist schließlich nicht abhängig vom Geschlecht, sondern vom Erfahrungswert.“ Mütter und Väter, so sagt sie, hätten schlichtweg andere Prioritäten als Menschen ohne Kinder.
„Wir befinden uns momentan in einer Umbruchphase“, glaubt Nicole Grube außerdem und fühlt sich damit als Führungskraft vor neue Herausforderungen gestellt. „Inzwischen klopfen die Männer schon nicht mehr bei mir an, weil sie einmal einen Nachmittag bei ihrem kranken Kind sein wollen, sondern weil sie selbst in Elternzeit gehen wollen“, erzählt sie. Weiterhin bemerke sie, dass neuerdings sogar bei Männern die Ängste vor einem diesbezüglich eventuell zu erwartenden Karriereknick schwinden.
Denn heutzutage wollen auch die Väter Kind und Karriere unter einen Hut bekommen und sind bereit, dafür bei ihrer Chefin einzustehen. Grube ist überzeugt: „Frauen führen nicht grundsätzlich anders als Männer, aber Führungskräfte mit Kindern handeln anders als solche ohne.“