Chemielaborantin Birgit Hoffmann wagte den Neuanfang als Seniorenassistentin. Das bedeutet zurzeit noch viel Arbeit für wenig Geld. Aktuell baut die Gründerin ihr Angebot weiter aus.
Ihre Geschäftsidee hat Birgit Hoffmann quasi auf der Straße gefunden: Als Nachbarin mit Herz und Händchen für Senioren war sie schon vor Gründung ihrer Seniorenassistenz Wandsbek in der Umgebung gefragt. Der Stromzähler soll gewechselt werden, wie das funktioniere. Der sehbehinderte Nachbar müsste zum Augenarzt, ob sie helfen könne.
Als sie sich in die Selbstständigkeit wagte, hatte die Chemielaborantin 34 Jahre Angestelltendasein hinter sich. Und wusste als langjährige Betriebsratsvorsitzende: „Ein neuer Arbeitgeber wartet nicht auf mich.“ Der Schritt in die Selbstständigkeit folgte allerdings keiner inneren Sehnsucht: „Ich wollte mich eigentlich nie selbstständig machen. Aber mein Mann und ich arbeiteten beide im selben Werk – einer von uns hätte früher oder später gehen müssen.“
Also ging Birgit Hoffmann lieber freiwillig und besuchte Kurse zu Themen wie Demenzbegleitung, Sterbehilfe und Gedächtnistraining. Das Ziel: Senioren so lange wie möglich ihr gewohntes Lebensumfeld zu erhalten, sie im Alltag beim Ankleiden, Arztbesuch oder Behördengang zu unterstützen, ihre geistige und körperliche Mobilität sowie die Kontaktfähigkeit zu fördern. Der Bedarf sei groß, davon war die Hamburgerin schon weit vor ihrer Gründung überzeugt: „Ich bin ja auch Tochter und weiß, es ist nicht einfach, eigene Bedürfnisse, den Beruf und die Betreuung der Eltern in Einklang zu bringen.“
Hoffmann versteht sich als Tochter-Ersatz
Schon gar nicht, wenn man weit entfernt vom Elternhaus lebt und beruflich stark eingespannt ist. Dann möchte man Vater oder Mutter zumindest in freundlichen, kompetenten Händen wissen. „Ich binde die Angehörigen gerne von Anfang an ein. Manchmal werde ich auch direkt von Kindern gebucht, die mich im Internet finden“, sagt Hoffmann, die ihre Dienstleistung als „Tochter-Ersatz“ versteht – in dem Bewusstsein, dass es für ältere Menschen nicht einfach sei, eine fremde Person in ihr Leben zu lassen, wenn dieses schon aus den Fugen geraten ist.
Menschen, die rechtzeitig für ihren letzten Lebensabschnitt vorsorgen und investieren, sind Hoffmanns Zielgruppe. Das Angebot soll eine Ergänzung zur gesetzlichen Pflegeversicherung sein und wird nur in Ausnahmefällen von den Krankenkassen getragen. „Ich muss sehr genau trennen, Fensterputzen oder Medikamente geben, das gehört nicht zu meinen Leistungen“, erzählt Birgit Hoffmann.
Sich in die Pflegeversicherung und ihre Stufen einzuarbeiten war das eine. Das andere, sich in Steuer- und Versicherungsfragen einzuarbeiten und die Anstellung einer geringfügig beschäftigten Betreuungskraft zu organisieren. Das „Nebenbei“ beschäftigt Hoffmann weit mehr als früher in ihrer Vollzeitstelle in der Chemiebranche. Bei deutlich geringerem Verdienst. „Das grenzt schon an Selbstausbeutung“, sagt sie. Dennoch denkt sie im dritten Jahr ihrer Selbstständigkeit nicht ans Aufgeben: „Wenn sich eine Tür schließt und eine Sache verloren scheint, geht eine nächste Tür auf“, sagt die 55-Jährige.
Drei Dinge haben ihr bei dem späten Start in die Selbstständigkeit geholfen. Erstens: möglichst viele Angebote der Existenzgründungsberatung wahrzunehmen. „Wir sind zu allen möglichen Vorträgen gefahren und haben die Referenten befragt.“ Wir, das sind die Gründerin selbst sowie ihr Ehemann, der sie voll unterstütze – Grund zwei für ihren Erfolg. Grund drei: das Schreiben eines Businessplans. „Dadurch habe ich mich mit den Rahmenbedingungen meiner Gründung auseinandergesetzt und verfeinere das Angebot immer weiter.“ Etwa den Bereich Gedächtnistraining, den Hoffmann gerade aufbaut.