Ihre Meinung ist gefragt“

Hamburg. Die anonymisierte Bewerbungsmappe soll verhindern, dass Kandidaten aus oberflächlichen Gründen ausgemustert werden. Die Idee: Bevor Personalabteilungen und Führungskräfte die Unterlagen zu sehen bekommen, werden Foto, Name, Angaben zu Alter, Geschlecht, Herkunft und Familienstand entfernt oder geschwärzt. Das soll die Einstellungschancen für ältere Bewerber, Ausländer, Frauen und alle anderen möglicherweise Diskriminierten verbessern. Wird das den Auswahlprozess wirklich gerechter machen?

Das meinen Personalverantwortliche

Bettina Grafke, Inhaberin Dallmann Heizungsbau und Sanitärtechnik, Neumünster
„In den ersten zehn Sekunden, in denen man eine Bewerbung beurteilt, sieht man sich tatsächlich zunächst das Bewerberfoto an. Hier entscheidet sich Sympathie oder innere Ablehnung. Auch die gesamte Aufmachung einer Bewerbung in Form und Art lässt Rückschlüsse auf den Bewerber zu. Dass diese täuschen können, wissen wir alle aus der Praxis. Oft werden die Bewerbungen nicht selbst gefertigt, sondern von sogenannten Coaches. Das führt natürlich zu falschen Vorstellungen vom Bewerber.

Vorteile der anonymisierten Bewerbung sehe ich für beide Seiten darin, dass vorab keinerlei Vorstellungsbilder entstehen und sich so die Chance erhöht, eine passende Person für den Job zu finden. Nachteile sehe ich für den Arbeitgeber darin, dass er mehr Arbeit mit dem Bewerbungsprozess hat und das erste Kennenlernen nur in einem persönlichen Vorstellungsgespräch möglich wäre.“

Iris Gordelik, Vorstand der Gordelik AG, Buxtehude
„Als Personalberater und Headhunter üben wir ja eh eine besondere Funktion aus: In einem mehrstufigen Selektionsprozess (Unterlagen sichten, Telefongespräch, Diagnostik, persönliches Interview und Referenzen einholen) erheben wir ein sehr umfassendes Leistungs- und Persönlichkeitsbild. Also das vollkommene Gegenteil von Anonymität. Würde uns also eine Bewerbung erreichen, die ohne Foto, ohne vollständigem Namen, ohne Geschlecht und Alter, jedoch eine auf die zu besetzende Vakanz passende Vita aufweist, würden wir den Bewerber durch unseren Selektionsprozess ja dennoch kennen lernen.

Der vertrauliche Bericht über den Kandidaten, den wir für unseren Auftraggeber erstellen, enthält also wieder sehr detailliert sämtliche Informationen. Das einzige, wovon wir immer schon Abstand genommen haben, ist es, den vertraulichen Bericht mit einem Foto des Kandidaten an unseren Kunden zu schicken, um so nicht vom Wesentlichen abzulenken. Ein Foto ist unserer Erfahrung nach das, wonach am meisten ungerechtfertigt ‚ausselektiert’ wird.“

Dr. Jürgen Albers, Personalberater, Hemer (NRW)
„Eine anonyme Bewerbung ist die Quadratur des Kreises. Eine wirklich anonyme Bewerbung kann es nicht geben. Oder ich muss die Bewerber so stark anonymisieren, dass ich dann gleich alle Bewerber einladen muss, weil sie in ihren schriftlichen Darstellungen alle gesichtslos daherkommen.

Statuieren wir etwas, was jeder ehrliche Personaler zugeben wird. Jeder hat seine Vorurteile. Dieser Umstand selbst ist nicht die Tragik, tragisch ist es, daran nicht zu arbeiten. Aber an Vorurteilen arbeiten, heißt ganz bestimmt nicht, die Merkmale, an denen sich Vorurteile manifestieren, zu kaschieren. Sondern ich muss an den Ursachen der Vorurteile ansetzen.

Gesetze dürfen immer nur der letzte Ausweg sein, wenn sich die Gesellschaft in diesem oder jenem Punkt nicht selbst regulieren kann. Darin liegt ihre Macht, aber auch ihre Tücke. Gleichberechtigung bei Bewerbungen per Gesetz quasi zu befehlen, entspricht dem Durchschlagen des gordischen Knotens. Für den Moment eine martialische Geste, aber eben auch das Eingeständnis, den Knoten nicht von Hand lösen zu können.

Wir müssen an dem Bewusstsein arbeiten, dass es sich keine Firma, aber erst recht nicht unsere Volkswirtschaft leisten kann, aufgrund von Vorurteilen schon einmal 50 Prozent der Bewerber auszusortieren. Weitere gesetzliche Eingriffe in das intimste Verfahren, dass zwischen Unternehmen und Bewerber stattfindet, die Bewerbung, schaden mehr, als das sie nutzen.“

Dr. Rainer Stelling, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg
„Zu viel wohlmeinender Schutz vor Diskriminierung ist kontraproduktiv. Aus Angst vor Diskriminierungsklagen verzichten schon jetzt immer mehr Arbeitgeber gerade aus dem Mittelstand auf Stellenausschreibungen. Dabei stellt der Mittelstand in Deutschland die meisten Arbeitsplätze. Ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren würde den Trend, freie Arbeitsplätze ausschließlich über persönliche Empfehlungen und Headhunter zu besetzen, nur noch verstärken. Diejenigen, die durch anonymisierte Bewerbungen vor Diskriminierung geschützt werden sollen, bekämen so gar nicht mehr die Chance, sich überhaupt anonym auf eine Stelle zu bewerben.“