Thomas Bock ist Experte für Gesundheitsmanagement. Er weiß, was Berufstätige tun können, wenn der Druck zu stark wird
Stress ist per se nichts Schlechtes, er spornt zu Höchstleistungen an - aber er darf kein Dauerzustand werden. Was hilft, wenn das passiert, erklärt Berater Thomas Bock.
Hamburger Abendblatt:
Woran liegt es, dass man manchmal unter Druck gut arbeiten kann, sich in anderen Fällen aber nur gestresst fühlt; eine Frage der Einstellung?
Thomas Bock:
Leider ist es nicht so einfach. Was man über Stress wissen muss: Evolutionsbiologisch läuft ein Programm in uns ab. In dem Augenblick, in dem ein Stressor auftritt, bin ich darauf gepolt, eine Höchstleistung zu erbringen - nämlich zu kämpfen oder zu fliehen. In so einer Situation sind wir also tatsächlich zu Höchstleistungen in der Lage. Wenn Stress aber zu einem Dauerzustand wird, ist er kontraproduktiv, es geht einem nicht gut und wir sind auch nicht mehr so leistungsfähig.
Kommt Stress immer von außen oder macht man ihn sich auch selbst?
Bock:
Sowohl als auch. Es braucht immer einen Auslöser von außen, irgendeine Anforderung, eine Situation, die auf mich zukommt. Ob das für mich in eine Stressreaktion mündet, hängt davon ab, wie ich die Situation bewerte. Ein extremes Beispiel macht dies deutlich - eine Kündigungssituation: Wenn ich mich an meinem Arbeitsplatz wohl und finanziell abgesichert fühle, ist die Kündigung eine Katastrophe. Wenn ich dort jedoch sowieso unzufrieden bin und anderweitig bereits ein sicheres Jobangebot habe, muss ich die gleiche Situation nicht als Stress erleben.
Also lieber positiv denken?
Bock:
Wäre schön, funktioniert jedoch nicht. Es gibt sogar Studien, die sagen, positives Denken kann zusätzlich belastend sein. Wenn alle sagen, denk doch einfach mal positiv, halte ich mich selbst auch noch in dieser Hinsicht für einen Loser, der nicht mal das kann.
Und wie schafft man es, aus einer Stresssituation auszusteigen?
Bock:
Der erste Schritt ist der schwierigste. Nämlich wahrzunehmen, dass es mir mit einer Situation nicht gut geht. Biologisch läuft man bei Stress ja quasi auf Automatik: Da sind Hirnareale aktiv, in denen es nicht ums Denken, sondern ums Handeln geht. Darum muss ich zunächst wahrnehmen, dass ich mich im Stress befinde. Und dann muss ich aus der Situation heraustreten. Das heißt: Wenn der Chef anruft und etwas von mir möchte, darf ich nicht sofort auf Automatik schalten, sondern muss mir bewusst machen: Wenn ich jetzt Ja sage, bekomme ich zum Beispiel zeitliche Schwierigkeiten. Erst in dem Moment, in dem ich die Stresssituation wahrnehme und unterbreche, kann ich über Handlungsoptionen nachdenken.
Ganz praktisch: Wie geht das?
Bock:
Gut ist es, sich einige Standardantworten zurechtzulegen, etwa: "Darf ich Ihnen in fünf Minuten eine Rückmeldung dazu geben?" Und dann kann ich bewusst zehnmal tief einatmen. Mir Tee kochen und mich fünf Minuten nur auf meine Tasse Tee konzentrieren oder, oder ... Das hört sich einfach an. Aber es ist schwierig, den Schritt zu dieser Unterbrechung bewusst zu tun.
Wie geht es dann weiter?
Bock:
Die erste Frage, die ich mir stellen muss, ist: Was macht mir eigentlich den Druck? Wenn mir zum Beispiel eine Beförderung angeboten wird: Ist es die Angst vor der Verantwortung oder davor, der Familie nicht gerecht zu werden, oder beides? Wenn ich mir bewusst mache, dass da etwas ist, womit ich mich unwohl fühle, kann ich den nächsten Schritt gehen und mir überlegen, was mir in der Situation helfen würde.
Also hat der Umgang mit Stress auch mit Selbstbestimmtheit zu tun?
Bock:
Genau. Selbst wieder mehr der Herr oder die Frau im Haus zu sein. Nicht nur getrieben zu sein. Dann kann ich auch wieder die Welt draußen aktiv gestalten und meine Vorstellungen klar vertreten. Natürlich setzt man trotzdem nicht alles durch, was man sich wünscht. Aber man agiert selbstbestimmter. Dabei muss man aber auch sehen, dass Stress ein gesellschaftliches Thema ist. Es wird gern vermittelt, der Einzelne sei zu schwach, wenn er den Anforderungen nicht gewachsen ist. Dabei sind die Anforderungen in Beruf und Privatem so immens gestiegen, dass immer mehr Menschen damit nicht mehr zurechtkommen. Wir müssen als Gesellschaft versuchen, etwas an den Auslösern zu verändern. Damit nicht noch mehr Menschen durch Stress, Burn-out und psychische Krankheiten in Not geraten.