Jeder achte Beschäftigte gibt an, Opfer von Mobbing geworden zu sein. Wie eine Firma damit umgeht, sagt viel über ihre Schwächen und Stärken aus
Es war ein geradezu klassischer Mobbingfall, mit dem der Coach und Mediator Roland von Kiedrowski zu Beginn seiner Laufbahn bei einem Vertriebsunternehmen konfrontiert wurde. Ein kurz zuvor eingestellter Mitarbeiter kam in ein Team, das bereits seit Jahren zusammenarbeitete. Die Teammitglieder zeigten sich dem Neuen gegenüber - dem absoluten Wunschkandidaten des Abteilungsleiters - von vornherein misstrauisch.
Der Neue wurde bereits nach wenigen Tagen offen ausgegrenzt. Gespräche verstummten, wenn er die Küche betrat. Trafen die anderen Verabredungen zum Mittagessen, wurde er übergangen. Als ihm auch noch Informationen vorenthalten wurden, war der neue Mitarbeiter bald emotional nicht mehr in der Lage, die an ihn gestellten Aufgaben zu erfüllen. Er fühlte sich hilflos und zunehmend verzweifelt. Schließlich begann er unter Schlafstörungen und Magenschmerzen zu leiden.
"Die Teammitglieder befürchteten, dass der Neue, hinter dem ja in ihren Augen der Abteilungsleiter stand, zu mächtig werden könnte", resümiert Mediator Roland von Kiedrowski. "Den meisten Mobbingfällen liegt ein Status- oder Verteilungskonflikt zugrunde." Solche Fälle seien schwierig zu lösen. Denjenigen, die andere ausgrenzen, fehle oft jegliches Schuldbewusstsein. Sie versuchten nach eigenem Empfinden lediglich, ihr Terrain zu verteidigen, zur Not mit unlauteren Mitteln.
Es beginnt meist harmlos, doch beim Mobbing wird gezielt schikaniert
Wissenschaftler sprechen von "Mobbing", wenn ein Einzelner über eine längere Zeit gezielt und systematisch von einer Gemeinschaft ausgegrenzt und schikaniert wird. Was in vielen Fällen harmlos beginnt, kann sich zu einer Art personellem Super-GAU ausweiten, der Kündigungen, Versetzungen, psychische und psychosomatische Krankheiten nach sich zieht. In einer repräsentativen Befragung des Markt- und Sozialforschungsinsituts IFAK gaben 13 Prozent der Teilnehmer an, bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber schon einmal gemobbt worden zu sein. Fast jeder Dritte (29 Prozent) berichtete, Mobbing bei Kollegen mitbekommen zu haben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schätzt den mobbingbedingten volkswirtschaftlichen Schaden auf 15 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr.
"Mobbing gibt es überall: im Kindergarten, in der Schule, beim Militär, in Unternehmen", sagt Werner Fürstenberg, Geschäftsführer des Hamburger Fürstenberg-Instituts, spezialisiert auf Gesundheitsmanagement für Unternehmen. "Es gibt Fälle, in denen wird es ganz bewusst eingesetzt, um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden und Abfindungszahlungen zu sparen. In der Regel aber laufen diese Prozesse eher subtil versteckt und unbewusst ab." Oft handele es sich sogar um normale Konflikte, die von Mitarbeitern zu schnell als Mobbing definiert werden.
Opfer kann jeder werden. Meist trifft es aber Menschen, die auffallen: Neulinge, Aufsteiger, Ältere, Dicke, Dünne, Schweigsame, Extrovertierte. Mitunter werden auch besonders leistungsstarke, ehrgeizige, gewissenhafte oder kreative Menschen zu Opfern - weil ihre Leistungsbereitschaft den üblichen Rahmen zu sprengen droht.
"Grundsätzlich hat Mobbing nicht nur etwas mit den Tätern oder Opfern zu tun, sondern auch mit einem Arbeitsumfeld, das solche Verhaltensweisen duldet oder sogar fördert", erklärt die Berliner Mobbingberaterin und Buchautorin Gabriele Haben. "Es entsteht, wenn Hierarchien und Zuständigkeiten unklar verteilt sind, aber auch wenn ein Unternehmen eine unzureichende Informationspolitik betreibt. Je älter und je undurchsichtiger die Strukturen in einem Unternehmen sind, umso größer ist die Gefahr, dass sich Mobbingfälle ereignen." Kommt es zu tief gehender Feindseligkeit und Intrigen, wird die Angelegenheit in vielen Unternehmen zunächst einmal unter den Tisch gekehrt. Den Satz "Das sollen die mal unter sich regeln", habe sie schon häufiger von Vorgesetzten gehört, sagt Gabriele Haben.
"In Mobbingfällen richtet sich der Blick meist nur auf Opfer und Täter", hat auch Roland von Kiedrowski festgestellt. "Die Rolle der Führungskräfte wird in der Regel unterschätzt. Dabei entsteht Mobbing oft in einer Art Führungsvakuum." Wird ein solcher Fall bekannt, muss die Unternehmensführung sofort reagieren.
Expertin rät zu Einzelgesprächen: Runde Tische seien kontraproduktiv
Als erste Maßnahme bei Mobbing-Vorwürfen, so rät Gabriele Haben, sollten Vorgesetzte mit den beiden Parteien Einzelgespräche führen: "Das Problem an einem großen runden Tisch zu besprechen, halte ich für absolut kontraproduktiv. Oft verschärft sich die Situation danach erst recht." Einen schweren Mobbing-Fall zu lösen, dauert meist mehrere Monate. In einigen Fällen wird die Versetzung einzelner Mitarbeiter nötig.
Doch mitunter bieten selbst schwere Auseinandersetzungen die Chance, wichtige Prozesse in Gang zu setzen. Es gibt Abteilungen, die nach einem tief gehenden Konflikt besser zusammenarbeiten als zuvor. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Thema ernst genommen wird und dass eine offene Kommunikations- und Streitkultur in dem Unternehmen herrscht. "Ein Konflikt ist etwas ganz Natürliches. Unternehmen tun gut daran, für ein Klima zu sorgen, in dem Probleme offen angesprochen werden dürfen", sagt Mediator von Kiedrowski. "Die Angst vor Konflikten und Veränderungen fördert dagegen eine Atmosphäre, in der Misstrauen und Mobbing gedeihen können."
Quelle: www.mobbing-web.de