Vor Gericht ziehen dürfen Diplom-Wirtschaftsjuristen nicht. Dennoch sind sie in Kanzleien und Firmen gefragte Experten
Richter und Rechtsanwälte werden von vielen bewundert: Laut aktueller Umfrage der GfK-Meinungsforscher zählen beide zu den angesehensten Berufen in Deutschland. Der Weg zum ehrenvollen Titel ist allerdings lang - jeder zweite Jurastudent braucht laut Hochschulstatistik mindestens sieben Jahre bis zum zweiten Staatsexamen.
Marcus Busch, 30, hat sich stattdessen in nur neun Semestern an der Uni Lüneburg zum Diplom-Wirtschaftsjuristen ausbilden lassen - und trotzdem einen hoch dotierten Job bei einer Top-Kanzlei bekommen. Vor vier Jahren stieg er bei Hogan Lovells in München ein. Mit 2500 Anwälten rund um den Globus zählt die Wirtschaftskanzlei zu den größten der Welt. Busch unterstützt die namhaften Klienten bei komplizierten Produkthaftungsprozessen.
Flammende Plädoyers vor Gericht hat er aber noch nie gehalten - und wird es auch nicht. Denn zum Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder Richter werden nur Volljuristen zugelassen. Ein Master of Law (LL.M) oder ein Diplom in Wirtschaftsrecht ersetzen Referendariat und zweites Jura-Staatsexamen nicht.
Dennoch stellen Großkanzleien wie Hogan Lovells, Clifford Chance, Linklaters oder Gleiss Lutz rechtskundige Zahlenprofis, wie Marcus Busch auch einer ist, gern ein. Als "Project Associate" oder "Professional Support Lawyer" arbeiten Diplom-Wirtschaftsjuristen dort den Anwälten als Datenbeschaffer zu. Milliardenschwere Immobiliendeals, Firmenübernahmen oder Konkursverfahren erfordern eine Menge Recherche.
Um sich durch Aktenstapel zu fressen, sind Prädikatsexamen oder Doktortitel nicht so wichtig. Hilfreich sind solide Kenntnisse in Bilanzanalyse, Finanzierung, Unternehmensbewertung. Die bringen Wirtschaftsjuristen aus dem praxisorientierten Studium mit, ein Großteil der 1000 Absolventen jährlich kommt von der FH. Zudem sind sie durch die kürzere Ausbildung jünger als Volljuristen. Beim Berufseinstieg erhalten Wirtschaftsjuristen durchschnittlich zwischen 35 000 und 40 000 Euro. Das habe eine Umfrage der Uni Lüneburg unter ihren Absolventen ergeben, meldet das Webportal wirtschaftsrecht-studieren.com. Der lukrative Aufstieg zum Partner ist ohne Anwaltstitel allerdings versperrt.
Auch außerhalb der großen Kanzleien sind Wirtschaftsjuristen zunehmend gefragt - selbst wenn mancher Personaler noch immer nicht weiß, ob er die Absolventen eher in die Rechtsabteilung oder ins Rechnungswesen stecken soll. "Hauptabnehmer sind Wirtschaftsprüfer und Steuerberatungsgesellschaften, aber auch Banken", sagt Susanne Meyer. An der Hochschule für Wirtschaft und Recht HWR in Berlin leitet die Professorin den Masterstudiengang Wirtschaftsrecht.
Im Gegensatz zur Anwaltszunft herrscht bei Prüfungsgesellschaften wie Deloitte, Ernst & Young, KPMG oder PwC keine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Wirtschaftsnahe Juristen und rechtskundige Finanzprofis werden hier gleichermaßen eingesetzt. Wer nach zwei bis drei Berufsjahren die Prüfung zum Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer besteht, hat ähnlich wie in der Großkanzlei gute Aussichten auf ein Gehalt oberhalb der 50 000-Euro-Marke und kann später zum Partner aufsteigen. Durchfallquoten zwischen 40 und 50 Prozent zeigen allerdings, dass die obligatorischen Berufsexamen mehr als reine Formsache sind.
Auch Banken und große Unternehmen schätzen Wirtschaftsjuristen - zum Beispiel als Steuerexperten oder Treasurer. Die sind in der Finanzabteilung fürs Liquiditätsmanagement zuständig, überwachen Zahlungsströme und analysieren Kredit- oder Währungsrisiken.
Aber auch in der Personalabteilung haben Diplom-Wirtschaftsjuristen gute Chancen. Dort möchte Arzu Adalioglu hin: Nach ihrem ersten juristischen Staatsexamen ist die Kielerin deshalb von der Universität an die Fachhochschule gewechselt, um dort ihren Master in Business Law abzulegen: "Ich möchte nicht als Richterin oder Anwältin arbeiten, sondern in einem Unternehmen. Dazu brauche ich Wirtschaftskenntnisse", sagt sie.
Statt Rechtsreferendariat hat sie deshalb an der FH Kiel vier Semester lang Marketing, Controlling und Unternehmensführung gelernt. Das Thema ihrer Masterarbeit "Trennungsmanagement" - also wann und wie trenne ich mich als Arbeitgeber betrieblich sinnvoll und legal von welchen Mitarbeitern - liegt genau an der Schnittstelle von Wirtschaft und Recht. Arzu Adalioglu: "Das finde ich viel interessanter als Scheidungsfälle."