Hamburg. Hamburg verzichtet auf Milliardengewinn und hält an Beteiligung fest – doch Risiken für die Reederei und das Wertpapier steigen.
Wenn Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sich die Börsenkurse der Hamburger Unternehmen mit städtischer Beteiligung anschaut, müsste ihm eigentlich zum Weinen zumute sein: Zum Beispiel das Wertpapier der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), an der die Stadt 69 Prozent hält. Es hat kurz nach Börsenstart im Herbst 2007 einmal 65,70 Euro gekostet und seitdem kontinuierlich in Wellenbewegungen verloren. Derzeit dümpelt die Aktie bei einem Preis zwischen 13 und 14 Euro das Stück. Selbst den Wert von 20 Euro, mit dem das Wertpapier ins Jahr 2022 gestartet war, hat es zuletzt nicht mehr erreicht.
Besonders groß dürfte aber die Ernüchterung sein, wenn Tschentscher die Aktienentwicklung der anderen großen maritimen Beteiligung der Stadt ins Auge fasst: Hapag-Lloyd. Hamburgs Traditionsreederei, die in diesem Jahr ihr 175-jähriges Bestehen feiert, erzielt seit zwei Jahren ein Rekordergebnis nach dem anderen. Grund dafür ist ein extremer Anstieg der Frachtraten, also der Transportpreise, die sich auf einigen Diensten gegenüber der Vor-Corona-Zeit sogar fast verzehnfacht haben.
Börsenkurs: Hapag-Lloyd-Aktie stürzt innerhalb zwei Monate ab
Entsprechend stieg die Beliebtheit der Aktie bei den Anlegern: Höchststand war am 17. Mai, als ein Anteilsschein 458,80 Euro kostete. Hamburg ist mit 13,9 Prozent drittgrößter Anteilseigner der Reederei. Mit 24.353.475 Aktien betrug der Anteil der Stadt am Börsenwert des Unternehmens 11,17 Milliarden Euro. Doch dann kam der große Absturz, innerhalb von zwei Monaten. Am Dienstag zeichnete das Wertpapier morgens bei rund 270 Euro. Es hat in wenigen Wochen etwa 40 Prozent der Marktkapitalisierung eingebüßt. Wenn Tschentscher die Anteile der Stadt an der Reederei verkaufen würde, erhielte er gerade noch 6,6 Milliarden Euro.
Am Schlimmsten war der Absturz zwischen dem 6. und dem 16. Juni, als das Wertpapier innerhalb weniger Tage rund 100 Euro an Wert verlor und die Stadt damit fast 2,5 Milliarden Euro in den Wind schoss. Selbst wenn man die Dividende von 35 Euro je Aktie, die Hamburg erhalten hat, sowie den Kaufpreis für die Aktien in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro abzieht, könnte Hamburg heute etwa neun Milliarden Euro reicher sein, wenn die Stadt sich zum Höchstpreis von ihren Anteilen getrennt hätte.
Hapag Lloyd: Tschentscher hielt an Aktien fest
Befürworter, die der Stadt zu dem Schritt rieten, gab es damals genug. Der Hamburger FDP-Chef und Bundestagsabgeordnete Michael Kruse, verwies auf die günstige Gelegenheit, mit der die Stadt das einstmals von Ex-Bürgermeister Olaf Scholz in Anlehnung an Margaret Thatcher getätigte Versprechen „I want my money back“ („Ich will mein Geld zurück“), hätte einlösen können. Auch die CDU sprach sich zumindest für einen Teilverkauf aus. Doch Tschentscher blieb hart. Er begründete das Festhalten an den Aktien mit der großen Wichtigkeit, die Hapag-Lloyd für Hamburg hat. In seiner Rede vor dem Übersee-Club vor einigen Wochen bezeichnete er die Beteiligung der Stadt als „von größter standortpolitischer Bedeutung“. Sie gehöre „zu den wichtigsten hafen- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen“ des letzten Jahrzehnts. „Die Stadt wird Ankeraktionär der Hapag-Lloyd AG bleiben“, schloss Tschentscher.
Möglicherweise hatte er auch nicht mit einem derartigen Absturz gerechnet – andere hingegen schon. Der Hamburger Analyst Christian Cohrs von Warburg Research etwa sagt: „Die Hapag-Lloyd-Aktie war überbewertet. Wir sehen das Kursziel bei 187 Euro.“ Der extreme Anstieg der Frachtraten der vergangenen zwei Jahre habe sich abgekühlt. Gleichwohl bewegten sie sich immer noch auf hohem Niveau. Der World Container Index von Drewry stünde immer noch bei 7000 Punkten. Vor Corona Anfang 2020 lag er bei 1800 Punkten.
Sinke Aktien: Weitere Reedereien betroffen
Die Gründe für die Konsolidierung der Frachtraten sind laut Cohrs vielfältig: „Zum einen kommen bis zum Jahresende viele neue Schiffe und damit Transportkapazitäten auf den Markt. Zum anderen verschieben sich mit den zunehmenden Corona-Lockerungen auch wieder die Prioritäten. Die Konsumgüternachfrage lässt nach. Der Dienstleistungssektor kommt wieder in Schwung. Und schließlich wächst in der Wirtschaft die Sorge, dass wir makroökonomisch in den kommenden Monaten in schweres Fahrwasser geraten. Das alles schlägt sich in der Bewertung der Aktie nieder“, meint der Analyst.
Der maritime Nachrichtendienst Tradewinds verwies unlängst darauf, dass neben Hapag-Lloyd auch andere große Reedereien wie Maersk und die israelische Frachtschifffahrtsgesellschaft ZIM in den vergangenen Wochen bis zu 40 Prozent ihres Börsenwerts eingebüßt haben. Tradewinds nennt als Gründe die steigende Inflation und die aufkommende Angst vor einer Rezession, die Anleger zu einer Flucht aus den Titeln führt.
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Jan Tiedemann, Schifffahrtsexperte des Branchendienstes Alphaliner, will den Schritt nicht mitgehen: „Schaut man sich die Fünf-Jahres-Kurve bei der Hapag-Lloyd-Aktie an, relativiert sich der derzeitige Rückgang. In der Schifffahrtskrise ist es den Reedereien zehn Jahre lang nicht gelungen, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, dass stabile Gewinne abwarf. Seit Corona hat sich das gedreht und die Kurse sind enorm nach oben gegangen.“ Da sei der jetzige Einbruch nur eine Abkühlung. Zudem verweist Tiedemann darauf, dass nur sehr wenige Aktien von Hapag-Lloyd auf dem freien Markt gehandelt werden. „Da führt jede kleine Verkaufsbewegung zu großen Ausschlägen.“ Hapag-Lloyd selbst möchte zur Kursentwicklung nichts sagen, außer: „Es ist bekannt, dass die Schifffahrtsindustrie volatil ist. Ebenso volatil verhalten sich die Aktienkurse.“
Wie es weitergeht, vermag niemand zu sagen. Analysehäuser wie JP Morgan
Chase, Goldman Sachs oder Warburg Research raten dazu, die Aktie im Portfolio zu reduzieren. Andere wie Berenberg, die Deutsche Bank oder der Finanzdienstleister Kepler Cheuvreux empfehlen, die Hapag-Lloyd-Aktie zu halten. So wie es Bürgermeister Tschentscher macht.