Hannover/Bonn (dpa/tmn). Missbrauchsskandale, veraltete Rollenbilder: Viele Menschen wenden sich von der Kirche ab. Dabei sollte man nicht nur die gesparte Kirchensteuer im Blick haben, sondern auch andere Lebensbereiche.
Die Zahl der Kirchenaustritte ist seit Jahren hoch. Allein die Evangelische Kirche verzeichnete 2022 etwa 380 000 Austritte - und damit 100 000 mehr als noch im Vorjahr. Auch die Katholische Kirche bricht mit knapp 523 000 Austritten einen Rekord. Das Vertrauen in die Kirche schwindet, auch der sonntägliche Gottesdienst ist für viele nur noch ein Relikt vergangener Zeiten. Wer austreten möchte, muss je nach Bundesland unterschiedlich vorgehen. Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Wie und wo kann man aus der Kirche austreten?
Die Anlaufstelle variiert je nach Bundesland: In Bremen kann der Austritt direkt in den Kirchenbüros stattfinden. In NRW, Berlin und in Brandenburg ist das Amtsgericht zuständig. In allen anderen Bundesländern müssen Menschen beim Standesamt vorsprechen. Grundsätzlich gilt, dass der Austritt persönlich stattfinden muss: Eine Online-Abwicklung ist nicht möglich.
Für den Austritt wird der Personalausweis oder ein Reisepass mit Meldebescheinigung benötigt. Eltern, die den Austritt für ihre Kinder erklären möchten, brauchen zusätzlich noch deren Geburtsurkunde. Das gilt allerdings nur für Kinder unter 15 Jahren. Mädchen und Jungen, die älter sind, können den Austritt selbstständig veranlassen.
Je nach Bundesland muss eine Gebühr für den Verwaltungsaufwand entrichtet werden. Auch hier gibt es Unterschiede: Während er beispielsweise in Brandenburg kostenlos ist, kostet er in Niedersachsen 30 Euro und in Baden-Württemberg je nach Wohnort bis zu 60 Euro.
Welche Folgen hat ein Austritt auf ein Ehrenamt?
Manche Menschen haben gar nichts mit der Kirche am Hut, andere engagieren sich leidenschaftlich in der Gemeinschaft, zum Beispiel bei der Verteilung von Lebensmitteln. Gerade letztere haben möglicherweise Sorge, nach einem Austritt ihrem Engagement in kirchennahen Gruppen nicht mehr nachgehen zu können.
Einer Sprecherin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gibt Entwarnung: „Die Kirche lebt vom Engagement ihrer Mitglieder und aller Menschen, die in ihrer Kirche eine erfüllende Aufgabe finden - egal ob Mitglied oder Gast.“
Ähnlich handhabt es auch die Katholische Kirche: Eine Teilhabe bei Gottesdiensten oder in karitativen Gruppen ist kein Problem. „Vielleicht findet so auch wieder eine erste Annäherung an die Kirche statt. Denn natürlich besteht die Möglichkeit der Rückkehr und Wiederaufnahme in die Kirche“, sagt Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz.
Wie steht es nach dem Austritt um Trauung, Taufe der Kinder oder Trauergottesdienst?
Viele träumen schon seit ihrer Kindheit von einer kirchlichen Hochzeit. Anders als häufig gedacht, ist das teilweise trotz eines Austritts noch möglich: Die EKD erlaubt eine Hochzeit, solange einer der Partner noch Mitglied ist. Auch die Katholische Kirche zeigt sich offen. Laut Kopp muss zuvor eine Erlaubnis zur Eheschließungsassistenz beim Ortsordinarius eingeholt werden. „Diese setzt ein Versprechen über die Bewahrung des Glaubens und die katholische Kindererziehung voraus.“
Für frisch gebackene Eltern stellt sich oft auch die Frage, ob sie ihr Kind raufen lassen können. Auch hier erwartet die EKD, dass mindestens ein Elternteil Mitglied ist. Zwar können Pfarrerinnen und Pfarrer Ausnahmen machen, doch ein Anspruch darauf besteht nicht. Die Katholische Kirche entscheidet hier je nach Einzelfall: Die Eltern sollten prüfen, warum sie die Taufe des Kindes wünschen, während sie selbst aus der Kirche ausgetreten sind, sagt Kopp. „Hier sollte man in einem Gespräch mit den Eltern deren Motivation erörtern.“
Auch am Lebensende kann die Kirche eine wichtige Rolle spielen: Bei einem Trauergottesdienst oder der Wahl des Friedhofs. Auch hier entscheidet wieder der Einzelfall: Bei beiden Kirchen können Geistliche eine Beerdigung verweigern. Die Beisetzung auf einem evangelischen Friedhof ist laut der EKD aber „ohne Probleme möglich“, so deren Sprecherin. Bei der Katholischen Kirche ist auch hier eine Absage möglich. Nähere Details müssen letztlich mit der Pfarrgemeinde abgesprochen werden.
Ist die Kindergarten- oder Schulauswahl nach dem Austritt begrenzt?
Zwar stehen hinter vielen Kindergärten und Schulen die großen Kirchen, doch die fehlende Konfession der Eltern ist hier kein Hindernis. „Kirchliche Schulen stehen allen Interessierten offen“, so die EKD-Sprecherin. Gleiches gilt auch für katholische Einrichtungen.
Welche Auswirkungen hat ein Austritt auf den Beruf?
Auch hinter einigen Arbeitgebern - zum Beispiel Krankenhäuser oder Kitas - kann eine der großen Kirchen stehen. Fachkräfte, die sich trotz eines Austritts bei einem evangelischen Arbeitgeber bewerben möchten, müssen keine Konsequenzen fürchten, solange sie die religiösen Grundsätze unterstützen.
Bei der Katholische Kirche sieht das anders aus: Sie versteht einen Austritt als „Distanzierung von der Kirche“, so Kopp. Bei einem Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsverfahren müssen daher die Gründe und die „erforderliche Identifikation mit den Zielen und Werten der Einrichtung“ überprüft werden.
Wie viel Geld lässt sich durch einen Austritt sparen?
Finanzielle Aspekte können gerade in Zeiten hoher Inflation ein Grund für einen Austritt sein. Während man in Bayern und Baden-Württemberg acht Prozent Kirchensteuer zahlt, müssen Bürger anderer Bundesländer mit neun Prozent tiefer in die Tasche greifen. „Wenn keine Kinder zu berücksichtigen sind, ist die Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer die im Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommensteuer“, erklärt Steuerberaterin Andrea Feuchtgruber. Weil diese bei jedem Steuerpflichtigen anders ausfällt, ist auch die Höhe der Kirchensteuer individuell.
Auf der anderen Seite ist die Kirchensteuer selbst in voller Höhe als Sonderausgabe steuerlich abzugsfähig. Sie mindert also am Ende des Jahres bei Abgabe einer Steuererklärung die Steuerlast. Mit dem Austritt fällt also nicht nur die Kirchensteuer, sondern auch diese Steuerentlastung weg.
Und was, wenn ich es mir nach dem Austritt anders überlege?
Wer glaubt, mit dem Austritt einen Fehler gemacht zu haben, kann diesen durch den Wiedereintritt rückgängig machen. Die EKD rät, sich dafür an die zuständige Pfarrerin oder den zuständigen Pfarrer der Gemeinde zu wenden. Eine Anlaufstelle für den Wiedereintritt finden Interessierte zudem im Netz.
Bei der katholischen Kirche beginnt die Versöhnung mit einem Seelsorger-Gespräch. Unter www.katholisch-werden.de/wiedereintritt können Ausgetretene eine Anlaufstelle in ihrer Nähe finden.