Einige Länder haben es geschafft, ihre Staatshaushalte zu sanieren. Die Einschnitte sind aber immer schmerzhaft.
Hamburg. Die Kurven sind beeindruckend - schlimmer noch, sie sind beängstigend. Zeichnet man die absoluten Beträge der Staatsschulden von führenden Industrieländern über eine Reihe von Jahren auf, so scheint die Botschaft eindeutig zu sein: Die Schuldenberge wachsen unaufhaltsam in immer höhere Billionen-Dimensionen und niemand kann diesen Trend stoppen.
Doch der Maßstab, mit dem an den Finanzmärkten gemessen wird, ist ein anderer. Dort zählt das Verhältnis des Schuldenstandes zur Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) eines Landes. Demnach ist Deutschland in diesem Jahr mit 79 Prozent des BIP verschuldet, in den USA sind 92 Prozent, in Griechenland 120 Prozent und in Japan gar 197 Prozent.
Zwar steigt in vielen Ländern auch die sogenannte Verschuldungsquote immer weiter an. Ein Blick auf die zurückliegenden drei Jahrzehnte zeigt jedoch eine Anzahl bemerkenswerter Ausnahmen: Staaten wie Kanada, Australien, Dänemark, Schweden und Irland ist es gelungen, die Schuldenquote deutlich zu senken - jedenfalls bis zur jüngsten Krise. So drückte Irland die Quote von zeitweise mehr als 90 Prozent auf weniger als 30 Prozent, Kanada kam von mehr als 100 Prozent auf nur noch etwa 60 Prozent. Beispiele wie diese belegen, dass es einen Weg aus der Schuldenfalle gibt. "Selbst Spanien hat sich vor der Finanzkrise gut entwickelt, und es ist gerade erst zehn Jahre her, dass die USA als Musterknabe im Hinblick auf die Haushaltsdisziplin galten", sagt Jörn Quitzau, Volkswirt beim Hamburger Bankhaus Berenberg.
Auch Deutschland hat eine realistische Chance, auf einen Konsolidierungskurs einzuschwenken, meint Henning Klodt, Leiter des Zentrums Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Um die Vorgaben der im vergangenen Jahr im Grundgesetz verankerten "Schuldenbremse" einzuhalten, müssen derzeit im Bundeshaushalt rund 42 Milliarden Euro eingespart werden. "Rund drei Viertel dieser Summe lassen sich durch eine Rückführung der krisenbedingten Mehrausgaben der Jahre 2009 und 2010 erreichen", so Klodt. Ein erhebliches Einsparpotenzial in zweistelliger Milliardenhöhe böten darüber hinaus die Steuervergünstigungen und die Finanzhilfen des Bundes.
Eines wird beim Blick auf die Schuldenabbauerfolge verschiedener Länder in der Vergangenheit klar: Patentrezepte gibt es nicht, wohl aber Grundmuster. "Am Ende geht es immer darum, die Ansprüche gegenüber dem Staat herunterzuschrauben", sagt Kai Carstensen, Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. "Man braucht einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was der Staat leisten soll und was nicht." Immer wieder zeigte sich, dass Ausgabenkürzungen bei der Haushaltskonsolidierung die entscheidende Rolle spielen. So wurden die Sozialausgaben gedrosselt und die Subventionen zurückgefahren, hinzu kamen Personaleinsparungen und Lohnzurückhaltung im Staatsdienst. Auch hierfür kann Kanada als Beispiel dienen, dort hat die Regierung die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst seit 1995 um rund ein Viertel abgebaut und die Transferzahlungen an die Provinzen erheblich gekürzt.
Höhere Einnahmen in Form von Steueranhebungen brachten dagegen weniger ein. Allerdings könne die Akzeptanz der Konsolidierungspolitik höher sein, wenn durch moderate Steuererhöhungen alle Bürger einen Beitrag dazu leisten, meint Quitzau. Zudem kommt es darauf an, nicht an den falschen Stellen den Rotstift anzusetzen, sagt Carstensen: "Der Bildungssektor wäre bestimmt nicht der richtige Platz für Kürzungen - außer man schafft es, ein gegebenes Ziel auch mit niedrigeren Ausgaben zu erreichen.
Hilfreich hat sich immer wieder die Inflation gezeigt. Als es den USA gelang, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf 120 Prozent angeschwollene Schuldenquote innerhalb von 30 Jahren auf nur noch 35 Prozent zu drücken, ging dies nach Schätzung von Experten der schweizerischen UBS zu mehr als der Hälfte auf das Konto des Preisauftriebs. Es geht allerdings auch anders, erklärt Quitzau: "Manche Länder sind beim Abbau der Schulden ohne Inflation ausgekommen, zum Beispiel Kanada."
Einig sind sich die Fachleute jedoch darin, dass die dringend notwendige Haushaltskonsolidierung nicht ohne Härten erreichbar ist - und dass sie die aktuelle Erholung der Wirtschaft dämpfen dürfte. Ohnehin waren die Rahmenbedingungen für den Schuldenabbau in den 90er-Jahren günstiger als heute. Denn damals hatten nur einzelne Länder ein Schuldenproblem, was die Aussichten verbesserte, das Wachstum mittels Exporten anzukurbeln. Aktuell hingegen besteht in praktisch allen größeren Industrieländern Konsolidierungsbedarf. "Nahezu alles, was man zum Abbau von Staatsschulden tun kann, ist schlecht für die Konjunktur", fasst Quitzau zusammen, "und nichts davon ist schmerzfrei für die Bürger."
Letzteres machen die zuletzt quer durch Europa beschlossenen oder angekündigten Sparprogramme nur allzu klar. "In einer ganzen Reihe von Ländern stehen die Chancen aber gar nicht so schlecht, dass die Verschuldung tatsächlich eingegrenzt werden kann", meint Carstensen dazu.
Allerdings hat gerade Deutschland bisher nicht schon einmal bei früherer Gelegenheit die Fähigkeit dazu bewiesen: "In Deutschland haben wir keine Erfahrung mit sinkenden Schuldenständen", sagt Quitzau. Doch dafür gibt es Gründe: "Zu der Zeit, in der andere Staaten ihre Haushalte konsolidierten, mussten wir die deutsche Einheit finanzieren."
Ein anderes Hindernis betrifft nicht nur Deutschland, sondern ebenso viele andere Industrieländer - die Demografie und der fehlende Nachwuchs. Der steigende Altersschnitt der Bevölkerung verschlechtert nicht nur wegen der abnehmenden Arbeitskräftezahl das Wachstumspotenzial, er führt auch zu immer höheren altersbedingten Staatsausgaben. Dabei sind solche Kosten in die offiziellen Verschuldungsquoten noch gar nicht eingerechnet, wie Quitzau erklärt. "Rechnet man alle Verpflichtungen für die Sozialsysteme ein, ist die tatsächliche Verschuldung ungefähr dreimal so hoch."
Nach Einschätzung von Carstensen sind aber auch die alterungsbedingten Staatsausgaben "kein unlösbares Problem", sofern man davon abkomme, bestimmte Leistungen verbindlich zu garantieren. Darum meint Quitzau: "An einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird man auf längere Sicht kaum vorbeikommen. Das Thema Rente mit 70 wird uns in den nächsten Jahren noch häufiger begegnen."