Essen. Das Wort „Heimat“ spaltet die Gemüter. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer sagt, was der Begriff für ihn bedeutet.

Wenige Begriffe sind emotional so aufgeladen und gleichzeitig politisch so diffamiert wie der Begriff „Heimat“. Mit klugen Autoren und einer Umfrage von Forsa beleuchtet ein neues Buch aus dem Klartextverlag, herausgegeben von der Brost-Stiftung, dieses Thema. Bei der Vorstellung im Konzernsitz der FUNKE Mediengruppe war der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer Ehrengast und stellte sich unseren Fragen.

Herr Ministerpräsident, was bedeutet für Sie der Begriff „Heimat“?

Alexander Schweitzer: Heimat ist für mich ein wohlklingender Begriff. Er ist für mich nicht politisch, sondern sehr persönlich und löst gute Gefühle aus. Ich würde den Begriff Heimat gerne vor politischen Manipulationen und Verhetzungen schützen.

Verstehen Sie Menschen, die mit diesem Begriff nichts anfangen können?

Schweitzer: Ich verstehe Menschen, denen der Begriff nicht leicht über die Lippen geht oder die vielleicht ein gebrochenes Verhältnis zur Heimat haben. Ich habe das Glück, dass ich ein sehr positives Verhältnis zu meiner Heimat habe. Das hat in meinem Fall viel mit meiner rheinland-pfälzischen Herkunft und mit Familie zu tun.

Warum tun sich gerade in der Politik, besonders im eher linken politischen Spektrum, so viele in schwer mit diesem Wort?

Schweitzer: Dieser These kann ich so nicht zustimmen, denn auch ich sehe mich als Sozialdemokrat klar in linksdemokratischen Traditionen. Der Begriff Heimat ist verbindend, er kann Menschen zusammenbringen, er ist offen und nicht ausgrenzend. Heimat wird gemeinsam erlebt und verändert sich auch gemeinsam. Ich halte den Begriff Heimat für sehr modern.

Der Begriff Heimat ist von extremen Rechten gezielt vereinnahmt. Die ehemalige NPD heißt jetzt „Die Heimat“. Warum ist der politischen Mitte dieser Begriff abhandengekommen?

Schweitzer: Vielleicht aus Sorge, dass man Menschen verletzt, die ihre Heimat verloren haben, oder weil es Menschen gibt, die Angst haben, dieser Begriff könnte zu stark von Rechten besetzt sein. Ich nehme  diese Auseinandersetzung um den Begriff Heimat offensiv an. Ich möchte, dass Heimat Menschen zusammenbringt, der Begriff immer wieder neu gemeinsam definiert wird. Heimat kann auch neu gefunden werden. Heimat darf kein Begriff der Rechtsextremen sein. Niemand hat der Heimat in Deutschland und Europa so viel Schaden zugefügt wie Rechtsextreme, Nationalsozialisten und Faschisten.

Alexander Schweitzer.

„Heimat ist nicht nur der Bus, der regelmäßig fährt, Heimat ist mehr. Heimat ist, auf Augenhöhe zu sein, gleichwertige Lebensverhältnisse zu haben. Heimat ist Austausch, Heimat ist soziale Absicherung und Heimat ist, frei von wirtschaftlicher Not zu sein.“

Alexander Schweitzer
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz

Unsere Heimat funktioniert oft nicht mehr. In Dörfern schließt der letzte Laden und der Bus fährt nur noch selten. Hat die Politik diese Heimat, also den Ort, an dem Menschen gerne leben, vergessen?

Schweitzer: Als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident sage ich hier Nein. Ich habe das Leitmotiv, Heimat oder auch Heimaten möglich zu machen. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und mag den ländlichen Raum sehr gerne, in dem übrigens auch die meisten Menschen in unserem Land leben. Für sie habe ich jüngst ein Programm aufgelegt, mit dem wir stark in kleine und mittelgroße Dörfer und Gemeinden investieren. Für mich ist das ein klarer Auftrag: Damit sich Menschen heimisch fühlen können, brauchen sie gute Rahmenbedingungen, um die sich Politik kümmern muss. Ich sage aber auch: Heimat ist nicht nur der Bus, der regelmäßig fährt, Heimat ist mehr. Heimat ist, auf Augenhöhe zu sein, gleichwertige Lebensverhältnisse zu haben. Heimat ist Austausch, Heimat ist soziale Absicherung und Heimat ist, frei von wirtschaftlicher Not zu sein. Das ist nicht nur die Aufgabe von Politik, sondern auch der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Heimat kann auch heißen, dass ich gerne in einem Betrieb arbeite, in dem ich nicht nur meine Arbeitskraft einbringe, sondern auch als Bürger wahrgenommen werde, weil ich weiß, es ist ein mitbestimmter Betrieb.

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Meine schwerste Entscheidung

In Deutschland leben Millionen Menschen ohne deutschen Pass. Für wen kann Deutschland dauerhaft Heimat sein?

Schweitzer: Deutschland kann für alle Menschen Heimat sein, die sich zu den Dingen bekennen, die uns verbinden. Unsere Verfassung, unsere Werte, unsere Rechte. Heimat kann gestiftet werden, indem man sich engagiert, Wurzeln schlägt, einen Job findet. Heimat kann aber auch bedeuten, dass man seine eigenen kulturellen Wurzeln miteinbringt, sie sind ja Teil der persönlichen Heimat. Aber diese Menschen dürfen sich nicht in den eigenen Kokon von Kultur oder Tradition zurückziehen. Egal woher man kommt, man muss bereit sein, sich mit anderen auszutauschen.

Kann es gut gehen, wenn man hier eine neue Heimat haben will, aber unsere Art zu leben ablehnt? Das Essen, die Art wie sich Frauen kleiden…

Schweitzer: Ich selbst esse seit Jahren kein Schweinefleisch und mir hat noch niemand abgestritten, dass ich mich zu Deutschland bekenne…

Dann sprechen wir über die Rolle der Frau…

Ja, Gleichberechtigung gehört unzweifelhaft in unseren Wertekanon. Diesen Wertekanon darf man aber nicht immer nur dann herausholen, wenn Menschen zu uns kommen. Unser Wertekanon muss grundsätzlich von allen akzeptiert werden. Gerade wenn es um Frauenrechte geht, habe ich nicht den Eindruck, dass diese nur von Menschen angezweifelt werden, die zu uns kommen.

Regionalmedien fördern den Zusammenhalt und gesellschaftliches Engagement. Warum lässt die Politik Tageszeitungen beim Vertrieb auf großen ländlichen Flächen im Stich?

Schweitzer: Diese Presseförderung war ein Vorhaben der Bundesregierung, das nicht umgesetzt wurde. Ich kritisiere und bedauere das ausdrücklich. Gerade die lokalen und regionalen Tageszeitungen bräuchten diese Unterstützung bei der Zustellung. Nicht weil sie kein Geschäftsmodell hätten, sondern weil sie von der sogenannten „digitalen Transformation“ betroffen sind und auch die Erhöhung des Mindestlohns bei der Zustellung stark zu Buche schlägt. Daher hätte ich mir gewünscht, dass die Bundesregierung diese gute Idee mit den betroffenen Medienhäusern entwickelt. Wir wollen ja kein journalistisches Mäzenatentum…

Das wollen wir auch nicht…

Schweitzer: …das glaube ich und das entspräche auch nicht meinen medienpolitischen Vorstellungen. Das Thema Presseförderung sollte von einer neuen Bundesregierung wieder aufgenommen werden.

Bodo Hombach (Hg.): Heimat im Wandel. Das Wir im Revier. Klartext Verlag, 224 Seiten, 19,95 Euro. 

Heimat im Wandel
Das Wir im Revier Cover
Was hält die Menschen im Ruhrgebiet heute zusammen und wo oder wobei wird Gemeinschaft und Gemeinsinn empfunden und gelebt? Gibt es überhaupt noch ein „Wir“ im Revier und welche Rolle spielt dabei der Begriff „Heimat“? Jahrzehntelang war der Bergbau für die Menschen identitätsstiftend und sorgte für den Zusammenhalt. Je mehr Einwohner des Ruhrgebiets den Bergbau nicht mehr selbst erlebt haben, desto weniger funktioniert die gemeinsame Vergangenheit unter Tage als sozial-kultureller Kitt. So sind zahlreiche Leerstellen im gesellschaftlichen Selbstbild entstanden. Diesen Fragen stellen sich Expertinnen und Experten der unterschiedlichsten Fachbereiche und kommen damit sowohl der neuen Identität des Reviers auf die Spur als auch dem umstrittenen und unterschiedlich besetzten Begriff „Heimat“ näher. © PR | Klartext Verlag