Berlin. Was tun gegen die hohe Zahl an Krankschreibungen in Deutschland? Top-Hausärztin ergreift eine eindeutige Position – auch gegen Kollegen.

Es ist ein Rekord. In Deutschland lassen sich in diesem Jahr so viele Menschen krankschreiben wie selten zuvor. Ob Corona, Grippe, Erkältung – in den ersten neun Monaten waren die Erwerbstätigen durchschnittlich 14,3 Tage krankgeschrieben, berichtet die Techniker Krankenkasse (TK). Im Vorjahreszeitraum waren es noch 13,8 Tage.

Die Folgen bekommen auch die Unternehmen zu spüren. Arbeitgeber mussten 2023 insgesamt 76,7 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer erkrankten Mitarbeiter bezahlen. Damit hat sich die Summe innerhalb von 14 Jahren verdoppelt, hat das IW Köln ermittelt. 2010 beliefen sich die Kosten noch auf 36,9 Milliarden Euro.

Umso mehr gerät ein bewährtes Modell aus Skandinavien in die Diskussion: Die Teil-Krankschreibung von Mitarbeitenden. In Schweden können Ärzte die Beschäftigten nicht nur zu 100 Prozent krankschreiben, sondern auch Teilzeit – zu 25, 50 oder 75 Prozent. Ärzte beurteilen das Arbeitsvermögen der Patienten je nach Krankheit und persönlicher Konstitution.

Teilzeit-Krankschreibung: Das fordert der Ärtztepräsident

Ärztepräsident Klaus Reinhardt kann sich Krankschreibungen auch nur für einige Stunden am Tag vorstellen.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt kann sich Krankschreibungen auch nur für einige Stunden am Tag vorstellen. © dpa | Christoph Soeder

In Deutschland gibt es diese zeitliche Abstufung nicht. Wer krankgeschrieben wird, gilt als arbeitsunfähig. Man ist krank – und zwar ganztägig und muss nicht im Job erscheinen. Der Präsident der Bundesärztekammer zeigt sich für das System der Teilkrankschreibungen jedoch auch in Deutschland angesichts von Homeoffice offen.

„Eine praktikable Form von Teilzeitkrankschreibung für einige Stunden täglich könnte den neuen Möglichkeiten Rechnung tragen und für mehr Flexibilität sorgen“, sagte Klaus Reinhardt dieser Redaktion. „Klar ist natürlich“, unterstreicht der Ärztepräsident, „dass dabei das Wohlergehen und die ungefährdete Genesung der Erkrankten immer an erster Stelle stehen muss.“

Hintergrund: Krankschreibung in Teilzeit: Ärztepräsident macht klare Ansage

Teilzeitkrank: Widerstand formiert sich

Doch mit seiner Einschätzung stößt Reinhardt nicht nur bei Gewerkschaften, sondern auch bei Hausärzten auf vehemente Kritik. „Teilzeit Krankschreibungen bei einfachen Infekten wie einer Erkältung halten wir weder für sinnvoll noch praktikabel“, kritisierte die Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth.

„Wenn eine Arbeitsunfähigkeit ausgestellt wird, dann bedeutet das, dass diejenige oder derjenige aus medizinischer Sicht nicht in der Lage ist, seiner Arbeit nachzugehen. Dieses Prinzip sollte nicht aufgeweicht werden.“

Die Gewerkschafterin Anja Piel sieht die Arbeitgeber in der Pflicht, mehr für den Gesundheitsschutz anzubieten.
Die Gewerkschafterin Anja Piel sieht die Arbeitgeber in der Pflicht, mehr für den Gesundheitsschutz anzubieten. © dpa | Christoph Soeder

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) reagierte noch schärfer: „Die Idee der Teilkrankschreibung ist schlicht absurd“, sagte Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied dieser Redaktion. „Wer krank und arbeitsunfähig ist, soll sich vollständig auskurieren. Ansonsten steigt das Risiko, länger und ernsthafter zu erkranken.“

Schon heute gingen bereits viel zu viele Beschäftigte krank zur Arbeit oder arbeiten krank im Homeoffice. „Sie gefährden damit sich und andere und setzen auf Dauer ihre Gesundheit und Erwerbsfähigkeit aufs Spiel“, so die Gewerkschafterin. Ziel müsse dagegen sein, dass mehr Beschäftigte gesund bis zur Rente arbeiten können.

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Hamburger Modell: Hier ist Teilzeit-Krankschreibung sinnvoll

Nur bei längeren Erkrankungen halten Hausärzte eine schrittweise Wiedereingliederung – wie das „Hamburger Modell“ – für sinnvoll. „Die Idee ist, dass die Betroffenen nach einer Krankschreibung nicht direkt wieder mit 100 Prozent einsteigen, sondern sich schrittweise ihrem alten Arbeitsumfang nähern. Das kann beispielsweise bei psychischen Erkrankungen ein sehr sinnvolles Modell sein und sollte definitiv ausgebaut werden“, sagte Buhlinger-Göpfarth.

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Die Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth, ist gegen Teil-Krankschreibungen und nimmt Patienten gegen Unterstellungen in Schutz. © picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Als weiterer Treiber der Krankenstände wird von Politikern wie Christian Lindner (FDP) auch die elektronische Krankschreibung (eAU) verantwortlich gemacht. Doch hier sind sich Krankenkassen, Hausärzte und Gewerkschaften einig, dass diese sich bewährt habe. Sie sei eine Erleichterung für Patienten, Ärzte und Praxisteams und schütze vor zusätzlichen Ansteckungen in vollen Wartezimmern – gerade in der Infektsaison.

„Blau machen“ durch telefonische Krankschreibungen? Das weisen die Hausärzte zurück

„Die Einführung der Telefon-AU war aus medizinischer Sicht sinnvoll und ist eine der ganz wenigen erfolgreichen politischen Maßnahmen zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesens. Sie jetzt abzuschaffen, wäre schlichtweg absurd“, meint die Hausärtze-Chefin. Sie sehe auch keinen Missbrauch durch Patienten. „Die Unterstellungen, dass sich die Menschen mithilfe der Telefon-AU einen schlanken Fuß machen, können wir aus unserer täglichen Arbeit nicht bestätigen.“

Für telefonische Krankschreibungen gelten klare Regelungen. So müsse die Person bereits Patient der Praxis sein, zudem dürfe die Telefon-AU für maximal 5 Tage ausgestellt werden.

Ursachen für die hohen Krankenstände

Eine Ursache für die aktuellen Rekordzahlen sehen die Hausärzte vor allem in einer besseren systematischen Erfassung durch elektronische Krankschreibungen (eAU). „Dadurch werden auch Krankschreibungen erfasst, die früher von den Versicherten häufig nicht an ihre Kasse gemeldet wurden.“

Der Fokus sollte vielmehr auf die medizinischen Ursachen von Krankheiten gerichtet werden. So nehmen vor allem psychische Erkrankungen wegen Stress und Druck am Arbeitsplatz besorgniserregend zu, mahnte die Hausärzte-Verbandschefin. „Statt mit dem Finger auf Erkrankte zu zeigen, sollten die Arbeitgeber sich lieber an der eigenen Nase packen und fragen, was sie für ein gesünderes Arbeitsklima tun können und es dann auch wirklich umsetzen.“

Hintergrund: Krank im Job: Burn-out-Welle erfasst auch junge Berufstätige

Ähnlich bewertet dies auch die DGB-Vorständin Piel: „Was Beschäftigte wirklich brauchen, sind Arbeitgeber, die ihre Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ernst nehmen. Wer versucht, sich auf Kosten von Beschäftigten politisch zu profilieren und das gesellschaftliche Klima weiter anheizt, löst damit kein einziges Problem in unserem Land.“

Ausgewogene Ernährung: Tipps von Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl

  • Essen Sie fünf Hände voll Obst (2x) und Gemüse (3x) am Tag,
  • Nutzen Sie Vollkorn-Produkte,
  • Essen sie prä- und probiotische Lebensmittel: Joghurt (auch vegan), Kefir, Buttermilch, Kimchi, Sauerkraut etc.,
  • Essen Sie Hülsenfrüchte und Nüsse,
  • „Eat the rainbow“: Seien Sie flexibel und abwechslungsreich in ihrer gesunden Lebensmittelauswahl.