Essen. Jede zweite Sparkasse hat in den vergangenen Jahren dichtgemacht. Was jetzt auf Kunden zukommt, sagt Sparkassen-Präsident Ulrich Reuter.

Die Stimmung in der Wirtschaft ist so trüb wie der Himmel draußen: Als Sparkassen-Präsident Ulrich Reuter in der neunten Etage der Sparkassenzentrale Essen die Gäste zu mehr Optimismus ermutigt, zucken um den gläsernen Saal hoch über der Innenstadt die Blitze mal rechts und mal links. Im anschließenden Interview mit unserer Zeitung macht Reuter deutlich, dass die trübe Stimmung sowohl die Leute als auch die Betriebe davon abhält, Geld auszugeben bzw. Kredite aufzunehmen, um investieren zu können. Dennoch sieht er einige Anzeichen, dass die Wirtschaft und auch der Immobilienmarkt sich wieder fangen.

Herr Reuter, die Sparkassen haben in den vergangenen zehn Jahren jede zweite Filiale in Deutschland geschlossen. Wo geht diese Entwicklung noch hin?

Ulrich Reuter: Tatsächlich entscheiden unsere Kundinnen und Kunden darüber, wie viele Filialen wir behalten. Jede Geschäftsstelle ist ein Aushängeschild und jede, die schließen muss, ein Verlust. Wir kommen aber nicht am Kundenverhalten vorbei, unsere App setzt sich enorm durch, hat inzwischen 14 Millionen Nutzer. Rund 30 Millionen nutzen unser Online-Banking. In Filialen, deren Kunden ihre Bankgeschäfte verstärkt digital erledigen, überlegen wir zuerst, was wir tun können, um sie wiederzubeleben. Funktioniert das nicht, ist auch ein Sparkassenchef am Ende ein Kaufmann und kann die Filiale nicht um ihrer selbst willen erhalten.

Also geht das Filialsterben weiter?

Reuter: Der große Schwung an Filialen, die wir in den 60er und 70er Jahren aufgebaut haben, wird – wo notwendig – an den realen Bedarf angepasst. Das heißt, in einzelnen Filialen wird künftig eine Grundversorgung, zum Beispiel mit Geldautomaten, angeboten oder die Filiale auch geschlossen. Der größte Teil dieser Anpassungen ist in den einzelnen Regionen bereits vorgenommen worden. Im Übrigen gibt es auch Regionen, wo neue Geschäftsstellen eröffnet werden.

Gib es einen Mindestsockel an Filialen, die eine Sparkasse behalten muss?

Reuter: Wir haben auch immer die Menschen im Blick, die digital nicht so affin sind, vor allem die Älteren. Im ländlichen Raum wird mit Service-Bussen oder einem Bargeld-Bringservice gearbeitet. In großen Städten wie denen im Ruhrgebiet sind die Wege zur nächsten Filiale nach wie vor nicht sehr weit. Wir haben immer noch so viele Filialen wie Aldi und Lidl zusammen. Wenn wir aber merken würden, der Kunde nimmt uns vor Ort nicht mehr wahr, dann wäre die emotionale und auch die tatsächliche Grenze erreicht. Wir müssen vor Ort für alle präsent bleiben.

Wie viele Kunden verlieren Sie, wenn eine Filiale schließt?

Reuter: Wir verlieren in solchen Fällen kaum Kunden. In der Regel sind wir ja die letzten, die sich aus einem Ort oder einem Stadtviertel zurückziehen.

Ebenfalls immer dünner wird das Netz an Geldautomaten. Setzt sich auch diese Entwicklung fort?

Reuter: Die Nutzung der Geldautomaten nimmt seit Jahren ab. Allein die Sparkassen betreiben trotzdem noch rund 21.000 Geldautomaten in Deutschland – das ist das dichteste Netz aller Anbieter. Deswegen brauchen nach wie vor die meisten Kunden maximal sechs Minuten bis zum nächsten Automaten. Das ist weniger als die Frist für Rettungsdienste: Die müssen in zehn Minuten beim Unfallopfer sein.

Wie sehr beschleunigen die vielen Automaten-Sprengungen den Abbau?

Reuter: An einzelnen Risikostandorten kann es auch mal zum Abbau eines Automaten kommen. Das ist aber eher die Ausnahme. Deutschland hat mit rund 51.000 Geldautomaten ein im europäischen Vergleich dichtes Netz. Wenn ein Automat abgebaut wird, liegt das in erster Linie an der sinkenden Bargeld-Nachfrage. Um die Sicherheit der Standorte zu garantieren, arbeiten Banken und Sparkassen eng mit der Politik und den Sicherheitsbehörden zusammen. Das hat Erfolg, die Zahl der Sprengungen geht zurück.

Man hört aber bereits von neuen Methoden zur „Geldwäsche“ im wahrsten Wortsinn, also zur Reinigung gefärbter Scheine.

Reuter: Die Färbetechnik ist nur eine von vielen Maßnahmen. In den vergangenen Jahren wurden über 300 Millionen Euro in die Sicherheit der Geldautomaten in Deutschland investiert. Dazu gehören technische Aufrüstungen wie die Installation von Vernebelungs- und Einfärbetechnik, sowie der Nachtverschluss und verschiedene bauliche Maßnahmen, die die Täter abschrecken oder den Taterfolg verhindern. Diese Maßnahmen werden gezielt an Risikostandorten eingesetzt und tragen zur Reduktion der Fallzahlen bei. Auch die gute Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden vor Ort ist entscheidend. Einen 100-prozentigen Schutz gibt es aber nicht. Die Täter werden immer aggressiver und wir müssen weiter in die Sicherheit des Netzes investieren.

Als ich letztes Mal Geld in einer Sparkasse ziehen musste, wollten Sie 4,50 Euro von mir haben, ist das noch zeitgemäß, wenn man in jedem Supermarkt umsonst Bargeld erhält?

Reuter: Es ist schlicht eine Dienstleistung, die für Nichtkunden anders bepreist werden muss. Das machen die Wettbewerber genauso und das halte ich auch für richtig. Sparkassen unterhalten die dichteste Infrastruktur. Das kostet Geld. Der Automat muss aufgestellt, gewartet und regelmäßig mit Geld befüllt werden. Bargeldlogistik ist ein echter Kostenfaktor für Banken und Sparkassen. 

„Bargeldlogistik ist ein echter Kostenfaktor für Banken und Sparkassen. “

Ulrich Reuter
Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands

Nach der Senkung des Leitzinses im Juni sind die Sparzinsen sofort gesunken, die Kreditzinsen nicht. Klingt ziemlich ungerecht.

Reuter: Die Kreditzinsen können dem Leitzins gar nicht eins zu eins folgen, weil im Preis viele andere Parameter wichtig sind, etwa die Kosten für die Risiken und das Eigenkapital, die neben dem Leitzins auch berücksichtigt werden müssen.

Die Wirtschaft war sehr enttäuscht darüber, dass es keine weitere Leitzinssenkung im Juli und August gab. Wie ist ihre Prognose für den Rest des Jahres?

Reuter: Wir gehen davon aus, dass der nächste Zinsschritt möglicherweise im September kommt und halten es auch nicht für ausgeschlossen, dass noch ein weiterer Schritt in diesem Jahr folgt. Die wirtschaftliche Entwicklung könnte einen Zinsschub nach unten gebrauchen. Die Betriebe brauchen positive Signale für die nahe Zukunft, dann investieren sie auch wieder.

Kleine und mittelständische Betriebe klagen seit Jahren, dass sie nach wie vor schwerer an Kredite kommen als früher. Ist das so?

Reuter: Nein, rückläufig war stattdessen die Kreditnachfrage aus den Betrieben. Das hat sich in diesem Jahr aber stabilisiert, im Juni haben wir Sparkassen sogar wieder ein Plus von 4,3 Prozent zum Vorjahresmonat gesehen, es geht also wieder etwas nach oben. Bei Unternehmen ist es ohnehin meist nicht der aktuelle Zinssatz, der sie von einer Investition abhält. Sondern ihre Aussichten auf die künftige Geschäftsentwicklung - und die sind aktuell bei vielen trübe.

Welchen Anteil daran hat die Politik?

Reuter: Es mangelt uns schon an einem positiven Zielbild für Deutschland. Trotz der multiplen Krisen sollte die Politik daran arbeiten. Man kann eine Corona-Krise nicht vorausahnen, auch nicht den Überfall Russlands auf die Ukraine. Dennoch ist Politik gefordert, auch in schwierigen Zeiten einen positiven Blick nach vorne zu vermitteln. Diesen Fokus wünsche ich mir.

Es gibt mehr Insolvenzen in diesem Jahr, haben die Sparkassen mehr Kreditausfälle?

Reuter: Nein, bisher spüren wir noch keine vermehrten Kreditausfälle. Weder bei Unternehmen noch bei Privatkunden. Die Insolvenzzahlen haben sich auch nicht über das erwartete Maß hinaus entwickelt. Aber die Aussichten für das zweite Halbjahr sind etwas trüber, die Konjunkturprognosen und Stimmungsbarometer in der Wirtschaft zeigen nach unten, deshalb rechnen die Sparkassen zum Ende des Jahres mit einer höheren Kreditrisikovorsorge.

Zu Beginn dieses Jahres wurde noch vorhergesagt, dass im Frühjahr der Aufschwung kommt. Jetzt haben wir bald Herbst ...

Reuter: ... und erwarten erst für das kommende Jahr, dass die Konjunktur anspringt. Wir haben nach wie vor eine Stagnation, die Bürger sparen mehr als die Ökonomen erwartet hatten. Obwohl die Reallöhne zuletzt gestiegen sind, sparen sie das Geld anstatt es auszugeben. Auch das ist Ausdruck der trüben Stimmung im Land.

Eine weitere Folge ist der Einbruch auf dem Immobilienmarkt. Legen die Sparkassen strengere Maßstäbe an Kredite für den Hauskauf an, wie viele Makler beklagen?

Reuter: Es ist im Sinne der Kunden, dass wir kritisch hinschauen, ob das Einkommen und das Eigenkapital ausreichen. Die Leute müssen nun einmal höhere Kapitalkosten abdecken, aktuell durchschnittlich 3,8 Prozent, vor der Zinswende waren es 0,8 Prozent. Wir sind auch rechtlich dazu verpflichtet, genau zu prüfen, ob der Kreditnehmer den Kredit auch zurückzahlen kann und das Objekt genügend Wert hat, um das abzusichern.

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Und seit der Debatte um das Heizungsgesetz ist die Energieeffizienzklasse, sprich Heizung und Dämmung, als weiteres kritisches Kriterium hinzugekommen, oder?

Reuter: Ja, dem Kunden muss bewusst sein, dass er bei einem Haus mit Ölheizung auch einen höheren Investitionsbedarf mit einkauft. Die Kundschaft ist aber selbst bereits sehr sensibel bei diesem Thema. Und zwar völlig zurecht und aus eigenem Interesse: Schließlich sind die Energiekosten im Lebenszyklus einer Immobilie höher als der Kaufpreis.

Seit einem Jahr hören wir, die Talsohle sei erreicht, die Wende am Immobilienmarkt nah. Wann kommt sie denn nun?

Reuter: Wir sehen, dass sich der Markt einpendelt. Die Nachfrage steigt wieder leicht, auch im gewerblichen Wohnungsbau. Wir hoffen, dass das auch im privaten Bereich anzieht, damit wieder mehr Mietwohnungen frei werden. Denn allein aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Tendenz zu Singlehaushalten brauchen wir viel mehr Wohnungen als derzeit auf den Markt kommen.

Können Sie sich vorstellen, auch mit Kryptowährungen zu handeln?

Reuter: Wir überprüfen unser Produktportfolio ständig. Möglicherweise wird es mal zu einer Situation kommen, in der wir das auch mit aller Zurückhaltung in unser Angebot aufnehmen sollten. Bisher sehe ich das nicht, weil es für 98 Prozent unserer Kunden kein verlässliches seriöses Anlageprodukt ist, weder Bitcoin noch Krypto-ETF. Wir glauben nicht, dass die sogenannten Kryptowährungen geeignete Anlagen für die breite Mehrheit unserer Kunden sind.