Berlin. Verbraucherschützer warnen vor den Billigplattformen aus China, denn viele Produkte entsprechen nicht den Qualitätsstandards in der EU.
Ein digitales Nachtsichtgerät für gerade einmal 107,98 Euro, Barfußschuhe für 15,38 Euro oder eine Soundbar mit Basslautsprechern für 38,79 Euro. Mit derlei Schnäppchen lockt seit gut einem Jahr die Online-Plattform Temu auch in Deutschland neue Kunden an. Der chinesische Versandhändler hat es mit den Billigprodukten auf den dritten Rang im Onlinehandel geschafft.
Der Monitorbericht des Einzelhandelsverbands sieht Temu mit 29 Millionen Besuchern der Webseite allein im Februar 2024 schon vor dem Textilunternehmen Zalando. Nur Amazon und Otto wecken bei den Deutschen noch mehr Interesse. Amazon ist mit 310 Millionen Klicks unangefochtener Spitzenreiter.
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Mit Schnäppchen wirbt auch die sehr ähnlich aufgemachte Plattform des chinesischen Textilhändlers Shein um Kunden. Sie erreichte im Februar rund 3,4 Millionen Verbraucher in Deutschland. Gemessen an der kurzen Zeit ihrer Präsenz am hiesigen Online-Markt lässt sich getrost von einem Siegeszug der Neulinge sprechen. Doch die Geschäftsmodelle der beiden Händler stoßen zunehmend auf Kritik. Auch wenden sich enttäuschte Käufer schon wieder ab, wie der Handelsverband feststellt.
Hinter dem Erfolg von Shein und Temu verbirgt sich simples Konzept
Einer Umfrage des Forschungsinstituts für den Handel (IFH) zufolge sind es vor allem die Billigpreise, die Käufer anziehen. Auch würden die Online-Plattformen Produkte anbieten, die anderswo nicht häufig zu finden sind. „Ohne die Inflation und die Verunsicherung wären Temu und Shein hierzulande nicht so schnell gewachsen“, sagt IFH-Chef Kai Hudetz. Doch wie können die beiden Handelsunternehmen überhaupt so niedrige Preise anbieten?
Shein setzt auf superschnelle Mode – Fast Fashion. Das Unternehmen stellt Schnitte ins Netz. Kommen sie bei den Kunden an, werden die Textilien in Fabriken gefertigt und von dort aus direkt nach Europa an den Kunden geschickt. Auf diese Weise entfallen Lagerkosten. Bei geringen Warenwerten wird zudem kein Zoll fällig. Ähnlich arbeitet Temu. Auch hier kommt die Ware direkt vom Hersteller. Doch diese Geschäftsmodelle haben Schattenseiten, so mehren sich etwa Beschwerden über die schlechte Qualität vieler Produkte.
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Der europäische Spielwarenverband Toy Industries of Europe (TIE) hat 19 Probekäufe bei Temu veranlasst – mit erschreckendem Ergebnis. „18 von ihnen stellten ein Sicherheitsrisiko für Kinder dar“, berichtet der Verband, keines entsprach den EU-Vorschriften. Ein Probeeinkauf des Senders WDR ergab, dass bisweilen bei elektronischen Artikeln das in Europa vorgeschriebene CE-Kennzeichen fehlte. Die Kunden haben laut IFH entsprechende Bedenken. 62 Prozent sähen ein großes Risiko, dass die bei Temu und Shein bestellten Artikel von minderwertiger Qualität sind, erklärt das Institut. Derlei Vorwürfe weisen die Unternehmen zurück.
Temu und Shein stehen wegen aggressiven Marketings in der Kritik
Ein weiterer Stein des Anstoßes ist das aggressive Marketing für die Produkte. Die Unternehmen erreichen ihre potenziellen Kunden vor allem über soziale Netzwerke. Mit Rabatten, Blitzaktionen und über Influencer werden die Angebote schmackhaft gemacht. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat einige der Praktiken abgemahnt. Dazu zählen so genannte Dark Patterns, also manipulative Designs. Dabei erscheinen während des Bestellvorgangs Hinweise wie „Beeile dich! Über 126 Personen haben diesen Artikel in ihrem Warenkorb.“ Auch Streichpreise ohne weitere Erklärung wurden vom vzbv moniert.
Und der Verband hatte damit Erfolg. In der vergangenen Woche gaben sowohl Temu als auch Shein Unterlassungserklärungen dazu ab. „Es ist gut, dass Temu sich verpflichtet hat, die von uns beanstandeten Verstöße abzustellen“, freut sich vzbv-Chefin Ramona Pop. Manipulative Designs seien für die Verbraucher ein großes Ärgernis. Eben jene Tricks, mit denen potenzielle Kunden überrumpelt werden sollen, haben auch die Bundesregierung alarmiert. Aus der Koalition wurden Forderungen an die EU-Kommission laut, solche Geschäftspraktiken zu unterbinden. Dafür wäre Irland als Firmensitz von Temu zuständig.
Verbraucherschützer raten, bei Shein und Temu nicht in Vorkasse zu gehen
Bestellt man dennoch bei den Billig-Anbietern, sollte man sich laut vzbv unbedingt über geltende Zollbestimmungen informieren. Bei einem Warenwert ab 150 Euro fallen Zollgebühren an. Hinzu kommt eine Einfuhrumsatzsteuer. Nach Möglichkeit sollte man nicht in Vorkasse gehen, sondern erst bezahlen, wenn die Ware angekommen ist. Bei elektronischen Geräten sollte man zudem auf zugelassene CE-Zeichen achten. Außerdem rät der Verband dazu, das Standorttracking in den Einstellungen des Smartphones zu deaktivieren. Temu sei sehr an personenbezogenen Daten interessiert, um diese für kommerzielle Zwecke zu nutzen.
Temu wurde erst 2022 in den USA gegründet und ist eine Tochtergesellschaft des chinesischen Unternehmens Pinduoduo (PDD Holdings Inc.), das an der US-Technologiebörse Nasdaq gehandelt wird. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens ist bemerkenswert: Pinduoduo vermeldete jüngst, dass es seinen Gewinn 2023 fast verdoppeln konnte. Das Unternehmen aus Shanghai kann somit einen im Jahresvergleich um 90 Prozent erhöhten Nettogewinn von 60 Milliarden Yuan (7,6 Milliarden Euro) vorweisen.