Frankfurt/Main. Die Inflation im Euroraum ist nach dem Preisschock infolge des Ukraine-Krieges wieder auf dem Rückzug. Das eröffnet der EZB Spielräume - von Kreditnehmer ersehnt und von Sparern befürchtet.
Kredite haben sich seit dem Ende der Nullzinsphase im Euroraum verteuert. Immobilienkäufer, Hausbauer oder Unternehmen hoffen daher auf eine baldige Senkung der Leitzinsen. Bislang haben die Euro-Währungshüter die Zinszügel trotz deutlich gesunkener Inflation allerdings nicht gelockert. Auch heute beließ der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) den Leitzins bei 4,5 Prozent. Volkswirte halten eine Senkung im Sommer aber für wahrscheinlich.
Wie entwickelt sich die Inflation?
Nach Rekordhöhen infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich die Teuerung im gemeinsamen Währungsraum der 20 Staaten mittlerweile wieder deutlich abgeschwächt. Im März stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat nach einer ersten Schätzung des Statistikamtes Eurostat um 2,4 Prozent. Im März 2023 lag die Inflationsrate noch bei 6,9 Prozent. Die Inflation sei weiter zurückgegangen, erläuterte die Notenbank. „Bei den meisten Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation ist eine Entspannung zu verzeichnen“ und das Lohnwachstum schwächt sich allmählich ab.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnte jüngst allerdings: „Im Kampf gegen die Inflation ist die letzte Meile die schwierigste.“ Die EZB strebt mittelfristig eine jährliche Inflationsrate von zwei Prozent an. Bei diesem Wert sehen die Währungshüter Preisstabilität gewährleistet. Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbrauchern. Sie können sich dann für einen Euro weniger leisten.
Warum zögert die EZB bislang mit Zinssenkungen?
Um die zeitweise hohe Inflation in den Griff zu bekommen, hatten die Währungshüter im Juli 2022 die Jahre der Null- und Negativzinsen beendet und die Zinsen zehnmal in Folge erhöht. Die Inflation nähert sich inzwischen dem 2-Prozent-Ziel, doch die Notenbank möchte sichergehen, dass die Gefahr stark steigender Preise tatsächlich gebannt ist. Die jüngste Entwicklung der Teuerungsrate mache die Währungshüter zuversichtlicher, aber „nicht hinreichend zuversichtlich“, hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Ratssitzung im März gesagt.
Nach Einschätzung von BVR-Chefvolkswirt Andreas Bley spricht vieles für eine im Trend weiter sinkender Inflation, die Unsicherheiten blieben aber hoch. Die Energiepreise stiegen aktuell wieder und die Löhne wüchsen kräftig. Daher sollte die EZB jeden weiteren Zinsschritt von der Datenlage abhängig machen. „Ein Auf und Ab des Leitzinses würde zu einer starken Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Finanzmärkte führen.“
Was bedeuten die Entscheidungen der EZB für Sparer?
Seit ihrem Höhepunkt gegen Ende vergangenen Jahres sind die Festgeldzinsen nach Daten des Vergleichsportals Verivox bereits spürbar gesunken. Bundesweit verfügbare Festgeldanlagen mit zwei Jahren Laufzeit bringen demnach im Schnitt zurzeit 2,89 Prozent (Stand: 4. April), Anfang Dezember waren es 3,36 Prozent. Eine Leitzinssenkung im Sommer sei in den aktuellen Festgeldkonditionen schon weitgehend eingepreist, erläuterte Verivox-Experte Oliver Müller. „Sollten die Währungshüter angesichts der gesunkenen Inflation im Euroraum nicht nur eine, sondern sogar zwei Leitzinssenkungen in Aussicht stellen, könnten die Festgeldzinsen noch tiefer in den Keller gehen.“
Auf einem Festgeldkonto wird Erspartes für einen bestimmten Zeitraum angelegt. Sparer können in dieser Zeit nicht über das Geld verfügen und Geldhäuser ihre Konditionen nicht anpassen. Die Finanzinstitute versuchen daher, die erwartete Zinsentwicklung im Voraus zu berücksichtigen.
Beim Tagesgeld stagnieren die Zinsen bundesweit verfügbarer Angebote den Verivox-Daten zufolge bei durchschnittlich 1,75 Prozent. „Perspektivisch rechnen wir auch beim Tagesgeld mit sinkenden Zinsen“, sagte Maier. Die Zinsen für täglich verfügbare Einlagen können die Kreditinstitute jederzeit ändern und an die aktuelle Marktlage anpassen.
Was bedeuten sinkende Zinsen für Kreditnehmer?
Deka-Bank-Chefvolkswirt Ulrich Kater hält eine Leitzinssenkung im Euroraum wie viele andere Volkswirte ab Juni für wahrscheinlich. „Konsumkredite oder Baufinanzierungen werden allerdings nicht mehr viel billiger werden, da hier bereits eine Reihe von künftigen Zinssenkungen in den heutigen Konditionen vorweggenommen sind“, sagt Kater. Nach Daten der FMH-Finanzberatung werden beispielsweise für zehnjährige Baukredite derzeit im Mittel 3,48 Prozent pro Jahr fällig (Stand: 8. April) - Ende Oktober waren es noch über vier Prozent.
Wie hängen Zinsen und Konjunktur zusammen?
Höhere Zinsen verteuern Kredite, was die Nachfrage bremsen kann. Das hilft, die Inflationsrate zu senken. Zugleich sind teurere Kredite eine Last für die Wirtschaft, weil sich kreditfinanzierte Investitionen verteuern. Manche Unternehmen überdenken daher ihre Investitionen. Private Hausbauer ebenso wie große Investoren halten sich mit Bauprojekten zurück. Das kann neben anderen Faktoren wie beispielsweise einem schwächeren Welthandel die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum dämpfen. Die Konjunkturaussichten für den gemeinsamen Währungsraum hatten sich zuletzt eingetrübt. Die EZB sagte in ihrer jüngsten Prognose im März 0,6 Prozent Wachstum für dieses Jahr voraus, im Dezember waren noch 0,8 Prozent erwartet worden. Wegen der Konjunkturschwäche waren Forderungen nach baldigen Zinssenkungen laut geworden.