Berlin. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Volkswirtin Jasmin Gröschl sagt, ob der Trend anhält – und was die Huthis damit zu tun haben.

Bekommt Deutschland die Inflation in diesem Jahr in den Griff? Die Senior-Volkswirtin des Kreditversicherers Allianz Trade, Jasmin Gröschl, warnt im Interview vor zu hohen Erwartungen. Denn ist das Preisschild erst einmal angepasst, drehen Händler die Zeit nur ungern zurück. Außerdem erklärt die Expertin, warum ausgerechnet die Huthi-Rebellen im Roten Meer ein Risiko für die hiesige Preisentwicklung sein können.

Frau Gröschl, die Inflation flachte zwar zuletzt etwas ab, lag im Gesamtjahr 2023 aber immer noch bei 5,9 Prozent. Welche Entwicklung erwarten Sie in diesem Jahr?

Jasmin Gröschl: Ich würde nicht zu optimistisch sein. Der Wegfall des reduzierten Mehrwertsteuersatzes in der Gastronomie, die höhere CO₂-Abgabe sowie die Ausweitung der Lkw-Maut werden dazu führen, dass die Teuerungsrate nur langsam abflacht. Für das Gesamtjahr 2024 gehe ich davon aus, dass wir am Ende bei 2,7 Prozent Inflation landen werden. Das ist ja schon noch etwas entfernt vom Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB).

Dennoch würde damit die Teuerungsrate deutlich zurückgehen. Können Verbraucher denn damit rechnen, auch an der Supermarktkasse entlastet zu werden?

Es ist nicht davon auszugehen, dass Handel und Hersteller einmal durchgesetzte Preiserhöhungen nun großflächig wieder zurücknehmen. Dabei wäre das für einige Unternehmen sicher möglich, schließlich gab es 2023 deutliche Anzeichen für Gewinnmitnahmen in einigen Branchen. Unseren Berechnungen zufolge war 2022 etwa ein Drittel der Inflationsrate nur auf Unternehmensgewinne der Konzerne zurückzuführen.

Jasmin Gröschl ist Senior-Volkswirtin beim weltweit führenden Kreditversicherer Allianz Trade.
Jasmin Gröschl ist Senior-Volkswirtin beim weltweit führenden Kreditversicherer Allianz Trade. © Allianz Trade | Allianz Trade

Wo landet die Teuerung für Lebensmittel in diesem Jahr?

Im zurückliegenden Jahr waren die Lebensmittelpreise einer der Haupttreiber für die Inflation. Für dieses Jahr gehe ich davon aus, dass wir bei Nahrungs- und Genussmitteln eine Inflation fast auf Normalniveau – also bei gut 2,1 Prozent – sehen werden. Das heißt, die Preise werden zumindest nicht mehr so stark ansteigen. Wir werden vermutlich aber mehr Preisschwankungen erleben. Wie sich Preise in einzelnen Warengruppe entwickeln werden, ist aber nur schwer zu prognostizieren.

Wenn sich Teile der Wirtschaft tatsächlich zuletzt die Taschen vollgemacht haben, müsste man dann nicht darauf drängen, dass Preisreduktionen nun an Verbraucher weitergegeben werden?

Das wäre aus Verbrauchersicht natürlich wünschenswert. Denn Ausgaben für Lebensmittel machen einen großen Teil der Kosten für einen Haushalt aus. Das heißt, viele Konsumenten wurden eben gerade durch den Einkauf im Supermarkt zuletzt stark belastet. Und das in einer Phase mit starken Kaufkraftverlusten. Denn vielfach sind die Reallöhne gefallen, weil die Inflationsrate so hoch war und Gehaltssteigerungen da nicht mithalten konnten. Das Problem ist aber, die gesamtwirtschaftlichen Übergewinne einzelnen Branchen oder Unternehmen zuzuordnen. Es gab auch Branchen und Unternehmen, die keine Übergewinne gemacht haben. Staatlich festgelegte Preise sind am Ende auch nicht gut für den Verbraucher.

In Frankreich gibt es eine Preisbeobachtungsstelle, die für mehr Transparenz sorgen soll. Verbraucherschützer haben so etwas auch für Deutschland angeregt. Wie sinnvoll ist das?

Eine Preisbeobachtungsstelle wird die Inflation an sich nicht begrenzen und so etwas umzusetzen, ist auch sehr komplex. Für den Konsumenten wären zwar die Preise transparenter, gleichzeitig müssten sie aber wohl mehrere und teilweise längere Wege in unterschiedliche Geschäfte in Kauf nehmen, um dann wirklich auch den günstigsten Anbieter für ein Produkt zu erreichen. Da halte ich es für fraglich, ob der Aufwand die Mittel rechtfertigt. Ohnehin würde ja nur beobachtet werden, wie hoch Preise einzelner Produkte sind, die Marge dahinter jedoch nicht.

Inflation 2023 bei 5,9 Prozent - Anstieg im Dezember
Inflation 2023 bei 5,9 Prozent - Anstieg im Dezember

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    Was könnte denn helfen, die Inflation im Lebensmittelbereich zu begrenzen?

    Zum Beispiel das Schweizer Modell. Dort wurden relativ flexibel Importzölle auf Agrarprodukte angepasst. Das heißt, als die Preise stiegen, wurden die Zölle auf das Produkt gesenkt, sodass die Lebensmittelpreise gedämpft wurden. Sinken die Preise wieder, werden die Zölle angepasst. Das schützt auch die heimische Wirtschaft. Über dieses und weitere Instrumente kann die Schweiz sehr gut ihre Inflationsrate in Schach halten. Solch ein Modell wäre aus meiner Sicht auch auf EU-Ebene denkbar, um Zölle flexibler und damit Lebensmittelpreise stabiler zu halten. Soweit mir bekannt, wird das jedoch zurzeit noch kaum genutzt.

    Worauf achten Sie als Volkswirtin eigentlich bei dem eigenen Wocheneinkauf?

    Mein Tipp ist, sich nicht nur den Preis anzuschauen, der groß auf dem Schild steht, sondern sich tatsächlich den häufig kleiner gedruckten Preis pro Liter oder pro Kilogramm anzuschauen. Wer darauf achtet, kann leicht das günstigere Produkt kaufen. Und gleichzeitig ist dadurch leichter ersichtlich, wenn Lebensmittelhersteller zum Beispiel die Füllmenge verringert haben, ohne gleichzeitig den Preis zu senken.

    Krisen sind auch ein Faktor für die Inflationsentwicklung. Nach den Angriffen auf Containerschiffe im Roten Meer durch die Huthi-Rebellen steigen die Kosten für Seefracht sprunghaft an. Wann merken das die deutschen Verbraucher?

    Containerschiffe fahren aus Sicherheitsgründen bereits einen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung. Das betrifft etwa zwölf Prozent des globalen Güterhandels, der also normalerweise durch den Suezkanal und damit auch über das Rote Meer gehen würde. Der Aufwand, Waren von Asien nach Europa zu bringen, steigt also durch die Huthi-Rebellen. Unternehmen bemerken das über anziehende Transport- und Personalkosten sowie auch über höhere Versicherungsprämien für die verschifften Waren. Verschärft sich die Situation und hält lange an, könnte es wie in der Corona-Pandemie zu Lieferkettenproblemen kommen, allerdings bei weitem nicht im gleichen Ausmaß. Damals standen viele Vorleistungsgüter nicht zur Verfügung, was zu einer Verknappung führte und letztlich auch zu steigenden Preisen.

    Ein Huthi-Hubschrauber fliegt über das Frachtschiff „Galaxy Leader“: Die Krise im Roten Meer nach den massiven Angriffen von Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe könnte auch Folgen auf die Entwicklung der Preise in Deutschland haben.
    Ein Huthi-Hubschrauber fliegt über das Frachtschiff „Galaxy Leader“: Die Krise im Roten Meer nach den massiven Angriffen von Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe könnte auch Folgen auf die Entwicklung der Preise in Deutschland haben. © dpa | ---

    Ökonomen zufolge könnte eine Zinswende der Zentralbanken bevorstehen. Rechnen Sie mit sinkenden Zinsen? Was würde ein Abflachen der Kurve für die Preisentwicklung bedeuten?

    Im Moment gehen wir davon aus, dass die EZB erst ab September die Zinsen senken wird – vor allem, weil die inflationäre Entwicklung in der Eurozone sehr unterschiedlich ist. Wir rechnen dann auch nur mit kleinen Schritten, für das gesamte Jahr 2024 also zum Beispiel mit einer Zinssenkung lediglich um 0,5 Prozentpunkte. Für die Konsumenten kann ein solcher Schritt aber trotzdem gut sein: Die Kreditaufnahme wird wieder günstiger. Und die Wirtschaft kann dann darauf hoffen, dass die privaten Konsumausgaben wieder steigen.

    Was können Sie und ich eigentlich tun, um die Inflation zu begrenzen?

    Die Sparrate in Deutschland ist ohnehin schon immer recht hoch und zuletzt sogar nochmal gestiegen. Legen Privatleute noch mehr Geld auf die hohe Kante, wäre das für die Wirtschaft fatal. Natürlich muss man die eigenen Ausgaben immer im Blick behalten, aber Sparen ist zumindest in der aktuellen wirtschaftlichen Situation Deutschlands wirklich eine schlechte Idee.