Berlin. Arbeiterkind, ostdeutscher Gewerkschafter, CDU-Mitglied - ein politisches Etikett lässt sich Claus Weselsky kaum aufdrücken. Seit Jahren ist er das Gesicht der GDL. Sein Nachfolger wird es schwer haben.
Lügner, Nieten in Nadelstreifen, Vollpfosten - wenn Claus Weselsky gegen Bosse austeilt, dürfte alteingesessenen Linken das Herz aufgehen. Meist richten sich die Schimpftiraden des 64-jährigen Gewerkschaftschefs gegen das Management der Deutschen Bahn: Während sich „Die da oben“ trotz schlechter Leistung die Taschen voll machten, blieben Lokführer und Zugbegleiter auf der Strecke, lautet seine Kritik.
Aktuell ringt der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit dem bundeseigenen Konzern wieder um höhere Tarife und weniger Arbeitszeit für die Beschäftigten. Es ist der letzte Tarifstreit vor seinem geplanten Ruhestand.
Vor den Kameras setzt Weselsky wieder auf den krawalligen Auftritt. Konzentriert, routiniert, mit ernster Miene prangert er dann die Uneinsichtigkeit der Arbeitgeber an. Er dürfte dabei im Hinterkopf haben, welche Worte vor allem seine Mitglieder hören wollen. „Gehasst in Wirtschaft und Sozialmedia, doch Claus Weselsky ist immer noch da“, sang kürzlich der Satiriker Jan Böhmermann über Weselsky, der die GDL seit Mai 2008 meist unangefochten anführt.
One-Man-Show des Vorsitzenden
Denn die GDL ist vor allem eine One-Man-Show des Vorsitzenden. Alles ist auf Weselsky zugeschnitten, in der Regel spricht auch nur er in die Mikrofone und Kameras. Seine beiden Stellvertreter, Mario Reiß und Lars Jedinat, stehen dann meist rechts und links von ihm und schauen finster drein, während ihr Chef in die Mikros schimpft. Vor allem auf Jüngere dürften die drei weißen Herren in ihren Anzügen und stets mit Krawatte etwas altbacken wirken.
Weselsky gehört in der Bundesrepublik sicher nicht zu den beliebteren Menschen, ganz im Gegenteil. Tarifkonflikte mit ihm an der GDL-Spitze bedeuteten zuletzt immer auch Ärger und Frust bei den Fahrgästen der Bahn. Vor einigen Jahren brauchte der Gewerkschaftschef sogar Polizeischutz, weil ein Medium seine private Adresse veröffentlicht hatte. Bis heute verbindet ihn deshalb eine Freundschaft mit dem Polizeigewerkschafter Rainer Wendt, der ihn damals unterstützte.
Doch die GDL-Mitglieder vertrauen auf sein Verhandlungsgeschick. „Clausi-Mausi“ richte das schon, sagten einige von ihnen im Sommer, als die Gewerkschaft ihre Forderungen für die Tarifrunde mit der Bahn festlegte. Und „Clausi-Mausi“ legte los: Nur fünf Tage nach der ersten Verhandlungsrunde mit der Bahn rief er zum ersten Warnstreik auf. Nach der zweiten Runde erklärte er die gesamten Verhandlungen für gescheitert und leitete eine Urabstimmung ein. Nun läuft der erste mehrtägige Streik.
Er zeigt durchaus auch mal Humor
Als linker Popstar der Arbeiterklasse eignet sich Weselsky trotz allem Arbeitskampf nur bedingt. Schon allein deshalb, weil er als Gewerkschafter CDU-Mitglied ist. „Weil das meiner konservativen Grundhaltung am nächsten kommt“, erklärte er kürzlich in einem Interview. Abseits der Kameras kann er auch weniger krawallig sein. Nahbar, freundlich und sogar humorvoll tritt er dann auf.
Weselsky kann stundenlang erzählen über vergangene Tarifrunden, über seine Erfahrungen mit der Presse aber auch über die Ferienwohnung im Spreewald, wo der Gewerkschafter sich bald zur Ruhe setzen will. Es ist seine letzte Tarifrunde. Im kommenden Jahr will er vom Vorsitz zurücktreten und in den Ruhestand gehen. Weselskys Nachfolger Reiß dürfte es schwer haben.
In seiner langen Amtszeit hatte der in Dresden geborene Weselsky stets einen großen Glaubwürdigkeitsvorteil, den viele Mitglieder schätzen: Er war selbst jahrelang Lokführer, fuhr mit Güterzügen und auch im Personenverkehr durchs Land. Die Reichsbahn hatte den Sachsen in den 1970er Jahren erst zum Schlosser, dann zum Lokführer ausgebildet. Bis 1992 arbeitete Weselsky in dem Beruf, zuletzt als Personaldisponent und Lokleiter in Pirna. In der GDL ist er seit 1990, seit 1992 arbeitet er hauptamtlich für die Gewerkschaft.
Harte Konkurrenz zur EVG
Als Vorsitzender versuchte er regelmäßig, den Organisationsbereich der kleinen Gewerkschaft zu erweitern und Tarifverträge auch für Betriebsbereiche auszuhandeln, in denen es solche von der GDL bisher nicht gab. Bis heute steht die GDL in harter Konkurrenz zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die viel mehr Mitglieder hat und im DB-Konzern deutlich stärker vertreten ist. Während die EVG immer wieder als handzahme Hausgewerkschaft verspottet wurde, gab Weselsky den knallharten Gegenspieler zum „roten Riesen“, wie er die Bahn gerne nennt. Intern warfen ihm Kritiker aber immer wieder „einsame Entscheidungen“ vor.
Angesichts der frühen Warnstreiks und dem Scheitern der Verhandlungen wurde Weselsky oft gefragt, ob er es nun vor seinem Ruhestand noch einmal wissen wolle und deshalb den Tarifkonflikt ungeachtet der inhaltlichen Fortschritte eskaliere. Der GDL-Boss wies das stets zurück. Tatsächlich unterscheidet sich die aktuelle Tarifrunde in ihrer Heftigkeit nicht von den vielen anderen, die Weselsky in seiner langen Laufbahn angeführt hat. Allein im Jahr 2015 dauerte der Konflikt rund ein Jahr. Weselsky fängt so gesehen gerade erst an.